Das war natürlich etwas überspitzt formuliert
Aber wie du schon sagst. Selbst in der Klassik, wo der Unterschied wirklich ausgeprägt ist, liegt die Differenz im Technikwechsel bei durchschnittlich lediglich einer Note pro Stimmfach. Wenn mit hohem Kehlkopf und hohem Gaumensegel gesungen wird, können die männlichen Stimmfächer alle mit dem Wechsel an der gleichen Stelle singen. Es ist natürlich immer noch schwieriger für einen Bass die Höhen zu singen und schwieriger für einen Tenor die Tiefen zu singen, aber die Technik und auch die Stimmregister sind dann im Grunde identisch verteilt.
Was sich zudem noch sehr stark unterscheiden kann, ist der Klang der Stimme, vor allem in der sehr tiefen und sehr hohen Lage der Vollstimme. Die Vollstimme eines Bass klingt sehr viel dünner auf dem hohen C als die eines Tenors, weil die Stimmlippen viel stärker gespannt sind, der Modus ist aber der gleiche. Selbst das hohe C eines Tenors klingt in der Grundstellung erstmal "dünn", schließlich wird es im Edge-Modus gesungen, der hell, scharf und dünn klingt. Erst durch die Klangformung des Vokaltraktes bekommt es den aus der Klassik bekannten durchschlagenden, vollen Klang (der im Contemporary-Gesang dann "Fake-Belt" genannt wird). Und genau diese Klangformung geht bei einem Bass eben nicht, er muss in der Grundstellung mit hohem Gaumensegel/Kehlkopf bleiben.
Die Studien darüber stammen v.a. aus dem CVT-Umfeld, weil die allermeisten Studien sonst mit klassischer Technik gemacht werden oder in einem Contemporary-Umfeld ohne genaue Vorgaben, was die Vokaltraktstellung angeht. Auch die "harte Grenze" für den Modus Overdrive ist in diesen Studien bisher bei allen männlichen Sängern exakt gleich bei C5 gewesen, unabhängig vom Stimmfach.
Bisher hält sich auch die Theorie, dass für alle Stimmfächer mit der Vollstimme bei C5 Schicht im Schacht ist, womit das auch keinen Unterschied mehr macht. Die absolute Range hängt v.a. davon ab, wie stark ein Sänger in der Lage ist seine Stimmlippen zu dehnen und seinen Vokaltrakt zu verengen. Beides kann aber in hohem Maße trainiert werden. So ist letztlich auch der Weltrekord von Adam Lopez zu Stande gekommen.
Zu den Stimmlippenmodi liefern die letzten CVT Studien auch sehr interessante Ergebnisse. Während der Modus Overdrive ("Bruststimme"/"Belt") rein vollstimmig ist und der Modus Neutral ("Falsett"/"weibliche Kopfstimme") rein randstimmig, leben die Modi Curbing ("mixed voice") und Edge ("Fake Belt") quasi auf einer Mittelstellung. Der Vokalismuskel schwingt zwar noch mit, womit die beiden Definitionsgemäß vollstimmig sind. Sie besitzen aber eine reduzierte "vertikale Phase", was bedeutet, dass sich große Teile der Vokalismuskel bei der Schwingung nicht mehr berühren. Deshalb klingen diese Modi auch vor allem in der Höhe "dünn", wenn kein zusätzlicher Resonanzraum geliefert wird (z.B. über einen tieferen Kehlkopf).
Es gibt wissenschaftliche Studien die nahelegen, dass das von Adam Lopez erreichte C#8 auch in etwa der höchste mit dem menschlichen Vokaltrakt produzierbare Ton ist, egal ob Mann oder Frau.
Zwischen den Geschlechtern gibt es trotzdem noch einen Unterschied auch bei "vereinheitlichter Technik". Der ist aber wie gesagt geringer als eine Oktave. Bei einheitlicher Technik eher 2-3 Noten, bei typischen Klangformungen mit tieferem Kehlkopf auch schonmal eine halbe Oktave.
Es ist ja auch nicht damit gesagt, dass es in der Praxis keine Unterschiede gibt zwischen Stimmfächern, aber wenn es jemand wirklich darauf anlegt durch Training die maximale Tonhöhe zu erreichen, ist das Stimmfach im Grunde irrelevant. Wie es dann klingt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.