Im Geräusche-Dschungel
Weimar. (tlz) Thomas Kessler sagte, er habe nicht erwartet, dass sich für seine experimentelle Installation ""Utopia"", lange schon fertig in der Schublade liegend, jemals irgendwer interessieren könnte. Völlig überraschend kam die Anfrage, ob das Werk beim Kunstfest Weimar zur Uraufführung durch die Staatskapelle Weimar verfügbar sei - als Beispiel für eine Zukunftsschau, wie sie das Motto ""Die Ideale"" meint.
Nimmt man es recht, so bedeutet die am Sonntagabend präsentierte Abkehr von Synthesizer und Computer den Rückfall von der zentralen hin zu einer nun wieder individuellen Tonerzeugung, auch wenn durch elektronische Verkabelung jedes einzelnen Instruments und seines Spielers grundsätzlich das gleiche Hörerlebnis suggeriert wird. Die Ausführung wird komplizierter, vielleicht flexibler durch die Gelegenheit zu persönlichem Eingriff und dadurch wiederum der Höreindruck vielfältiger. Im Ganzen aber tastete sich der Hörer durch einen Dschungel von Geräuschen, die durch geschickte Dramaturgie eine stärkere Wirkung hätten erzielen können. Dann wäre sicher der Experimentiercharakter aufgehoben worden, hätte sich der Weg hin zur künstlerisch-ästhetischen Gestaltung einer Utopie andeuten können, deren zentrales Thema die Humanität bleibt.
Einem Gesamtorchester stellte Kessler vier im Raum verteilte Instrumentengruppen gegenüber, Vorbildern folgend wie der Mehrchörigkeit in Renaissance und Barock oder dem Mozart-Notturno mit vier Orchestern. Dem Dirigenten Heinz Holliger wurde damit eine harte Nuss zu knacken gegeben, die er nur mit Hilfe des Co-Dirigenten Christian Schumann aufzubrechen vermochte. Die Koordination ließ nichts zu wünschen übrig, wenn auch der Eindruck entstand, im Zusammenspiel gäbe es gewisse Toleranzen.
Die Frage nach der Eignung der Viehauktionshalle für dieses Experiment muss unbedingt gestellt werden. Ein Zentralraum hätte die Koordination des Klanges sicher erheblich gefördert. So aber waren die hinteren Plätze der Beschallung durch die beiden hinten sitzenden Orchesterteile ausgesetzt, während die anderen und selbst das Hauptorchester auf der Bühne sich kaum behaupten konnten. Auch die Werke von Franz Liszt im ersten Teil wurden bei der enormen Länge der Halle wahrgenommen wie hinter einem Vorhang gespielt: Wahre Hörkommunikation war eine schöne Utopie. So kamen selbst die Klänge des 2. Klavierkonzertes A-Dur wie aus einer anderen Welt. Ein martialischer Kraftakt war weder beabsichtigt noch zu spüren, mit kammermusikalischer Klarheit wurde Musik mit Gefühl und Sentiment dahingehaucht.
Fast auf der Stelle tretend übertrug sich Empfindungsschwüle, dem absoluten Wohlklang verpflichtet, dann plötzlich umschlagend in prickelnd-verspielte Energie. Anton Kernath interpretierte mühelos mit lebendiger Leichtigkeit, als hätte Mozart Pate gestanden. Kantabel singend und virtuos in Technik und Anschlag, vor allem aber aus flexibler Intuition, gab er Holliger die Vorlage, um die Staatskapelle ideal begleitend zu höchster Anpassungsfähigkeit zu führen. Die Lieder ""Oh, quand je dors"" und ""Die drei Zigeuner"" hatte Bernd Alois Zimmermann einfühlsam instrumentiert. Trotz musikalisch unmittelbar erhörbarer impressionistischer Attitüde war die Nähe zu französischem und ungarischem Kolorit zu bemerken, die solide Basis für die schlichte, schönstimmig überlegene und stimmungsvolle Wiedergabe durch Christiane Iven (Sopran). Dagegen schien die Bearbeitung von Gábor Darvas die Progressivität des ""Csárdás macabre"" ganz erheblich zu glätten.
24.08.2009 Von Hans-Jürgen Thiers