Nachdem ich den Thread jetzt endlos verfolgt habe, gebe ich auch mal meinen Senf dazu...
Hier wurde ja schon viel pro und kontra diskutiert (wie in einigen anderen Threads zu vor auch) und im Endeffekt läuft der ganze Thread wieder auf das gleiche Ergebnis raus: nämlich gar keines
Ich selbst möchte weder meine "echten" Amps (kann den Begriff mal jemand sauber definieren, wei auch ein Kemper ist ein Amp auch wenn er nicht sehr klassisch aussieht *lach*) oder besser Röhrenamps missen als auch meinen Transistor. Diese Amps haben ihren eigenen Charme und inspirieren mich beim spielen. Tun das Modelling-Lösungen (unabhängig, ob Axe FX, Kemper oder was auch immer) auch? Natürlich, nur anders!
Das sehr oft hervorgebrachte Spielgefühl ist mit einem Kemper sicherlich nicht anders, wenn ich den Kemper ohne Cabsim mit Endstufe in ein Cabinet jage (egal ob Kemper in der Power-Variante oder separater Endstufe). Mit der jetzigen Softwareversion ist das Spielgefühl nahezu identisch und wenn ich einen geilen AC30 Sound zum Beispiel habe, inspiriert mich das genauso, als wenn ich mein echtes Vorbild anschließe.
Stört mich die Optik einer Modellinglösung auf der Bühne? Sicher nicht ... Meist sieht man auch meinen Amp nicht auf der Bühne oder wenn überhaupt, dann nur als kleine Notiz ganz weit hinten am Rand versteckt, da ich für mich (und wir in der Band) entschieden habe, dass ich mit Gitarrensound nicht den ganzen Bühnensound zubraten will. Also muss der Amp wenn möglich von der Bühne weg und es wird bei mir InEar genutzt. Der Sound und das Spielgefühl über InEar ist sowieso komplett anders, als der "amp-in-the-room-sound". Und mal ehrlich: auf der Bühne habe ich "besseres" zu tun, als mich selbst am Anblick eines aufgestellten Marshall-Fullstacks "aufzugeilen"; da will ich einfach eine super Show und geile musikalische Performance für das Publikum hinlegen und nicht nur mit meinem Fullstack (oder was auch immer) protzen.
Ist der Kemper praktischer im Live-Betrieb, im Studio oder zu hause? Sicherlich, aber ist auch wieder von der Situation abhängig!
Wenn ein Amp auf der Bühne abraucht, steht man ziemlich dumm da, besonders wenn man teures Vintage-Gear verwendet. Da findet man nicht einfach mal so schnell Ersatz, da der Sound nicht so einfach mit anderem Ersatzgerätschaften reproduzierbar ist. Klar kann man bei einem anderen Amp schnell mal mit ein paar kurzen Drehungen am EQ und Nachjustierungen am eigenen "Stressbrett" sehr schnell brauchbare Sounds finden und den Gig irgendwie wuppen. Aber sicherlich kennt jeder, der diese Erfahrung mal machen musste dennoch das Gefühl nach dem Gig, dass es einfach nicht so "geil" war wie sonst. Da hat der Kemper und andere Lösungen einfach einen riesigen Vorteil: der gewünschte Sound ist immer wieder reproduzierbar. Deswegen steigen ja auch viele Musiker so gerne auf Kemper und Konsorten um und die Profimusiker haben dann teilweise gleich zwei von den Kemper Toastern (oder Rackversionen) mit auf Tour, um eben für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Mit "echten" Amps ist das leider nicht so einfach, da man sicherlich nicht so einfach zwei gleiche Amps finden wird (selbst aus der selben Baureihe) die identisch klingen. Das macht aber wiederum schon den Charme alter Amps aus.
Im Studio ist mir persönlich das Original auch lieber als die Kopie. Allerdings in der heutigen Zeit wo Studiozeit einfach sehr teuer zu bezahlen ist, kann man sich kaum noch erlauben (vor allem wenn man nicht im Vollprofibereich im Studio ist), sich so viel Zeit zu nehmen, um einen Amp plus Cabinets im Recording-Room perfekt zu positionieren, die richtige Auswahl an Mikros mit Positionierung zu finden usw usw usw... Wenn man dann auch noch mehrere Amps und Cabinets für eine komplette Albumproduktion benötigt, dann wird alleine das Aufnehmen der Gitarrenspuren extrem teuer. Hier machen die Modeller (egal ob Kemper, Softwarelösung oder was auch immer) eben einen sehr geilen Job. Wenn man sich beispielsweise mit einem kemper oder einem Axe zu Hause schon viel Zeit nimmt um sich wirklich qualitativ hochwertige Sounds zu bauen, dann kann ich anschließend ins Studio gehen, Steck nur noch zwei XLR-Kabel an und ab geht's ohne vorher Stunden in Positionierung und Mikrofonierung zu stecken die von der Zeit her auch bezahlt werden müssen ohne überhaupt eine einzige brauchbare Aufnahme getätigt zu haben. Und selbst über Reamping dauert es mit echten Amps durchaus länger. Wenn man allerdings wie ich (da kann ich wirklich glücklich sein) einen eigenen Amp fest im Studio eines Freundes positioniert hat, der da immer steht und die Mikrofonpositionierung bekannt ist, dann nehme ich natürlich meinen Amp
Zuhause gewinnen für mich die Modellinglösungen schon alleine deshalb, dass ich diese auch bei minimalst Lautstärken verwenden kann ohne Soundeinbuße zu haben. Da reagieren Röhren- oder Transistoramps schon etwas empfindlicher. Aber nicht weil die Amps leise nicht gut klingen, sondern weil einfach ein Gitarrenspeaker ein gewisses Level braucht um mal "in Fahrt zu kommen". Wer da nicht alleine im Wald ohne Nachbarn lebt, oder sehr tolerante Nachbarn hat, hat da ganz schnell mal schlechte Karten. Die Erfahrung haben wir sicher auch schon alle mal gemacht.
Auch auf Grund der ganzen Vorteile von Modellinglösungen, möchte ich nach wie vor Röhren- oder Transistortechnik in der Gitarrenwelt nicht vermissen, auch wenn diese Technik eigentlich viele Jahrzehnte alt und wenn wir ehrlich sind auch überholt ist. Vielleicht ist es wirklich eine Art von Faszination oder Magie die ein schöner Röhrenamp zum Beispiel auf uns als Gitarrenspieler zu übermitteln vermag. Wer weiß?
In dem Test von Andertons sollte ja im Prinzip nur die Soundqualität und das Spielgefühl gewertet werden. Gut das Spielgefühl lässt sich natürlich in einem YT-Video nicht vermitteln, aber das der Sound einer Modellinglösung heutzutage wirklich kaum mehr vom Original zu unterscheiden ist, wurde doch eindrucksvoll demonstriert. Und letzten Endes geht es doch wie immer nur um den Sound. Wenn jemand mit dem Sound eines Orange, HiWatt, Marshall, (usw) eines bestimmten Cabinets und ein paar ausgewählten Bodentretern glücklich ist, dann ist doch alles gut
Klar fand ich die Formulierung des Captains auch sehr unglücklich gewählt zu sagen, dass die jetzigen Soundmöglichkeiten eines Kemper, Feedbackverhalten, Spielgefühl usw alte Röhrenamps überflüssig macht. Ich denke aber, dass er damit einfach nur ausdrücken wollte, dass die digitale Nachbildung von bekannten und dem Ohr gefälligen Sounds mittlerweile wirklich den Stand der Technik erreicht hat, dass man nicht mehr zwingend auf Amp xy zurückgreifen muss, sondern auch ruhig mal zur Modellinglösung als wirklich gleichwertige adäquate Alternative greifen kann. Vor ein paar Jahren sah das ganze eben noch ganz anders aus. Für was man sich selbst entscheidet, bleibt jedem selbst überlassen. Ich selbst verwende beides, "Oldschoolbesteck" und Modellinglösungen und bin mit keiner Lösung mehr oder weniger zufrieden, sondern genieße Vorzüge als auch nachteile die alle Lösungen mit sich bringen.
Ich würde nur denjenigen, die sich konsequent ohne fundierte (!!) Erfahrungen, gegen Modellinglösungen aussprechen mal ans Herz legen, wirklich mal den Blick über den Tellerrand hinaus schweifen zu lassen. Verwendet mal eine hochwertige Modellinglösung (von mir aus auch gerne mit einem echten Cabinet und einer Endstufe, wenn es unbedingt um den Amp in the room Sound geht) über einen gewissen Zeitraum im direkten Vergleich zu herkömmlichen Amps und man wird 100% feststellen, dass der Unterschied im Spielgefühl als auch im Sound wirklich nicht mehr vorhanden ist (außer vlt in einer minimalsten Nuance, die aber auch zwei Amps des gleichen Typs im direkten A/B-Vergleich mit sich bringen). Und wenn es wirklich nicht passt, dann ist es eben so, aber zumindest ist man um eine echte Erfahrung reicher und man redet nicht nur kategorisch neues schlecht, wozu wir Gitarristen (leider) gerne auch mal dazu neigen.
Wow .. viel mehr Text als ich eigentlich wollte, aber was solls!?