Jede der aktuellen workstations hat Stärken und Schwächen. Ich hab mich seinerzeit für den Fantom G7 entschieden, weil ich den Klang der Soundengine mochte und der Überzeugung war, dass das vielverprechende OS von Roland schnell auf Vordermann gebracht werden würde. Dann hätte der Fantom G das Potential zur führenden Workstation gehabt.
Leider kam alles ganz anders: Roland hat sich einen feuchten Kehricht um angemessene OS-Updates (aktueller Stand kaum anders als vor 2 jahren) gekümmert, so dass der Fantom G zwar mit einigen schönen Stärken, aber auch haufenweise Schwächen und Problemzonen im OS geblieben ist. Heute würde ich das Gerät nicht noch einmal kaufen, und es ist gut möglich, dass ich mich nach der Winter-Namm 2011 davon trenne.
Aus meiner Sicht in sehr abgekürzter Form (in diesem Thread nützen Dir lange Vorträge und Debatten nichts) die wichtigsten Vor- und Nachteile
Pro:
- der Fantom G hat eine sehr gute Sound-Engine: sie klingt warm und punchy, und da wo in seinem Wellenspeicher gute Samplequalität vorliegt, lässt die sich zu gut klingenden Patches verarbeiten
- das Gerät hat viele nützlich Live-Keyboard-Eigenschaften und die Masterkeyboard-Funktionlität gehört zum besten auf dem Markt jenseits von reinen Masterkeyboards
- das große Display und die Maus sind im Prinzip klasse für alles, bei dem man gute Übersicht braucht (Sound-Editieren, Überblick über Live-Sets etc.)
- mit Sample-Ram von bis zu 1 Gb und relativ brauchbaren Sample-Ladezeiten (deutlich schneller als seinerzeit beim Fantom X) kann man sich im Prinzip mit fehlenden Sounds versorgen (nur Flash wie beim Yamaha XF ist noch besser)
- ein Sequencer mit reichlich Midi-und Audio-Spuren könnte fürs schnelle Songschreiben direkt am Gerät sehr nützlich sein
- es gibt viele gute Effekte an Board und "seamless switching" von Sounds samt Effekten im Live Mode, allerdings in einem sehr fragwürdigen und einschränkenden Effekt-Routing (s.u.)
- Ausgänge und Eingänge sind prima bestückt
Contra:
- der guten Sound-Engine steht eine zwar große, aber über weite Strecken veraltete Soundbibliothek aus früheren Produktlinien gegenüber, die nur an wenigen Stellen durch aktuelleres Sample-Material ersetzt wurde. Manche kommen damit klar; ich selbst finde, dass viele der Samples im Speicher des Fantom nur noch unfreiwillig komisch klingen und an alte Zeiten erinnern. Mit viel Effekten drauf kann man sie sich "schöntrinken"
- einige dieser Factory-Sample/Patch Schwächen könnten dir Probleme mit Progrock machen:
*die B3-Sounds an Bord des Fantom, die zum größten Teil ohnehin schon ziemlich gruselige Qualität haben, werden durch zwei unsäglich schlechte Leslie-Effekte (du hast die Wahl zwischen dumpf und wimmernd) verschlimmert, die aufgrund des schlechten Effekt Designs auch prinzipiell nicht mit Overdrive versehen werden können. Die Factory-Patches greifen sogar z.T auf andere schlecht programmierte Formen von Wimmer-Effekten zurück. Jeder Clavia B3-Orgelsound (Electro 3, Nord Stage) klingt nicht um eine, sondern um mehrere Klassen besser. B3-Sounds gehören aber im Progrock immer noch zu den häufig eingesetzen Sounds
* die Klavier/Flügel sounds sind massenweise in schlechter Qualität und nur ganz wenige (Manhatten Grand etc.) in brauchbarer Qualität vorprogrammiert. Soundschrauben hilft, aber nur begrenzt. Klaviere sind immer Geschmackssache, aber ich halte sowohl einige Clavia- als auch einige Yamaha-Flügel für besser einsetzbar.
* die im Progrock öfter eingesetzten Mellotron-Sounds (jedemfalls welche, die den Namen verdienen) gibt es nicht im Fantom G. Dafür gibt es aber genug sounds, die wahrscheinlich kaum jemand jemals braucht
* wie oben schon gesagt, sind die meisten Factory-Patches deutlich unterqualifiziert und z.T. ausgesprochen skurril programmiert: das lässt sich nur dort ausbessern, wo die Factory-Samples brauchbar genug sind (immerhin geht Soundprogrammierung sehr übersichtlich auf dem Fantom)
* ein EQ per patch fehlt im Fantom: der ist nicht immer nötig, wird aber wegen seines häufigen Nutzens/häufigenBedarfs von vielen usern schmerzlich vermisst (workarounds über manche Effekt-Klangregelungen sind kein annähernd vollwertiger Ersatz)
- trotz der nützlichen Masterkeyboard-Funktionalität gibt es Skurrilitäten wie die fehlende Möglichkeit, direkt am Gerät ein Transpose für ein externes Gerät einzustellen: eine nie in Ordnung gebrachte häufige Alltagsfunktion
- das Effektdesign hat m.E. mehr Schwächen als Stärken, weil es sich a) in vielen Kontexten als zu starr und unflexibel erweist, b) ein Routing hat, das schon vielen im Live- und Studio-Mode Rätsel aufgegeben hat, weil das PFX dort oft nicht wie intuitiv erwartet arbeitet und c) ganz alltagsübliche Effektkombinationen unmöglich macht. Effekte und Effektkombinationen lassen sich am Gerät nicht abspeichern und aufrufen: hier hilft nur ein im Computer-Zeitalter vorsintflutliches Arbeiten mit Stift und Papier
- das File-Management des Fantom G ist eine einzige, durch und durch unübersichtliche Katastrophe: es ist nicht möglich, Material (von Sounds über Samples bis Songs) ohne sehr langes, kompliziertes und umständlichstes manuelles Gefummel zwischen Projekten auszutauschen: damit wird die die ganze grundlegende Organisation des Fantom G in Projekten zum schlechten Dauerscherz. Es gibt keine sinnvolle Unterordner-Struktur, und kein relatives File Management (das selbst seine Referenzen verwaltet): es wird einfach alles sequentiell wahllos in die nächsten offenen Slots abgespeichert: Orientierung und Überblick so gut wie ausgeschlossen.
- der Sequencer ist selbst für elementare Editierfunktionen und auch in mancher sonstigen Hinsicht nicht alltagstauglich: aber den brauchst du ja nicht
- das Onboard-Sampling ist für smartes Multisampling völlig unterbelichtet programmiert: ohne Investition in die Fremdhersteller-Programme Nexoe Yase und Resampler läuft hier gar nichts ernstzunehmendes: nicht mal Import von eigenen Roland-Multisample-Bibliotheken oder alten Akai-Bibliotheken: die Entwicklung der Sampling-Unterstützung durch Roland ist ein einziges Armutszeugnis
- Maus und Display werden in vielen Bereichen nicht annähernd so gut genutzt wie es naheliegend wäre: dann klickt man sinnlos Buttons und trifft auf unökonomisch genutzte Bildschirme, statt schnell und übersichtlich voranzukommen
Uuups, ich merke gerade, dass sebst mit dem Vorsatz "kurz gefasst" auf Anhieb einiges zusammenkommt: dabei bin ich noch nicht annähernd ins Detail gegangen.
Alles in allem will dir nicht gegen oder für eine bestimmte Workstation raten: wenn ein Fantom G für dich passt, ok, aber du solltest doch einiges vor Augen haben, bevor du dich entscheidest.
Andere Workstations/Livekeyboards haben andere Schwächen (wenn auch bei keiner aus meiner Sicht vielversprechendes Basis-Design und halbgar belassenes OS so weit auseinander klaffen wie beim Fantom G)
Für Progrock solltest du neben Workstations auch ein Live-Keyboard wie einen gebrauchten Nord Stage ansehen/anhören (leider gibt's die wegen hoher Kundenzufriedenheit nicht so oft gebraucht)
Und ich würde unbedingt die nächste Namm vor einer Entscheidung abwarten: es ist nicht garantiert, aber möglich, dass einige Firmen dort Neuerungen vorstellen oder ankündigen