Ist klassische Musik elitär?

  • Ersteller Effjott
  • Erstellt am
Das ist nicht nur pseudoelitär, sondern auch ziemlich arrogant und versnobt.

Naja, Eure Lordschaft, das ist ein bissel sehr hart formuliert...

Aber wenn man bedenkt wieviel klassische Musik als Auftragswerke für die Unterhaltung bei Tisch und zum Tanze komponiert wurden - da sollte man nicht allzuviel Tiefgang erwarten :)
Andererseits kann man zum Beispiel Wagners Opern sehr wohl etwas Tiefe zusprechen.
 
Auch klassische Musik ist als Gebrauchsmusik geschrieben worden und sollte auch als solche lebendig bleiben. Wenn es hochqualitative Interpretationen gibt, ist das sehr schön, das darf aber nicht der Alleinanspruch werden.
 
Viel Schlimmer finde ich die Andeutung, dass allem Anschein nach andere Musik nicht so tiefergehend sein kann wie Klassik. Kommt außerdem noch hinzu: Was ist alles Klassik?
 
Aber wenn man bedenkt wieviel klassische Musik als Auftragswerke für die Unterhaltung bei Tisch und zum Tanze komponiert wurden - da sollte man nicht allzuviel Tiefgang erwarten :)

Gehe jetzt mal davon aus, das war nicht ganz ernst gemeint ;)

Und: wenn der Komponist halt genial ist (und wer will einem Mozart, Vivaldi oder Verdi die Genialität absprechen?) ist auch was nur mal gerade so für die Unterhaltung bei Tisch komponiert wurde, halt auch ein bisschen genial :) Die konnten gar nicht mehr anders...
 
Vivaldi würde ich gern die Genialität absprechen. Der war nichts weiter als ein Quintfallroboter.
 
Und Telemann?
 
Um die Vorurteile gegenüber klassischer Musik (und auch jeglicher anderer Musikrichtung) flach zu halten, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man dafür sorgt, dass Mensch so früh wie möglich mit einem breiten Spektrum konfrontiert wird. Eine kleine Beobachtung meinerseits: Wenn ich nach Aufführungen für Kinder die Stöpsel in den Straßenbahn treffe, diskutieren die Kleinen geschäftig darüber, wie hübsch das Kleid der Königin der Nacht war und pfeifen die Koloratur nach. Wir sind mit unserem Klassik-Metal-Mix im Bahnhof aufgetreten und haben Bach (recht unbarock) in unserem Stilmix auf das arglose Laufpublikum der Shoppingmeile losgelassen. Wer waren unsere begeistertsten Fans? Dreikäsehochs, die vor der Bühne zu Metalgitarre und klassischem Sopran Ringelreihe tanzten und sich lautstark beschwerten, als wir zu spielen aufhörten. (Erwachsende Zuhörer hatten wir natürlich auch zu genüge, aber die waren nicht ganz so impulsiv.) Außerdem blieben da durchaus auch so einige Leute stehen, die ich mit Sicherheit nie in einem Klassik- oder Metalkonzert angetroffen hätte und ganz erstaunt waren, was ihnen da gerade geschah.
Ich erlebe es auch oft, wenn ich im kleineren Rahmen auftrete, dass die Leute total überrascht sind, weil sie das Erlebnis, in der Nähe einer klassischen Sängerin zu stehen, als vollkommen anders empfinden, als wenn sie irgendwo sonstwo auf der Konzertbühne steht. Da hält dann auch schonmal ein Handwerksbetrieb bei nem hohen piano-Ton plötzlich die Luft an und ist völlig überrumpelt, was da gerade geschieht.
Zwei Dinge, die ich also sagen will: mit Klassik (und generell breit aufgestellt vielfältig Musik) früh Berührungspunkte schaffen und das Ganze auch an öffentliche Plätze bringen, um es nicht nur in irgendwelche Konzertsäle allein zu verbannen, ist viel, viel wert, wenn man Grenzen überwinden will. Und ein persönliches Erleben baut immer einen ganz anderen Bezug auf, als das mal irgendwo auf youtube zu sehen.
 
Was, du singst noch mit "reinen" vokalen und tönen, womöglich mit hoch-rund-stellung statt lippenbreitzug ? Wie élitär und unnatürlich !
Ich habe immer das Jones'sche Vokaldreieck vor augen, das ich in der anglistik kennenlernte, was es auch auf deutsch gibt, aber ich möchte nicht alle, die sich hören lassen, daran messen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vokaldreieck
 
Für einen Liebhaber klassischer Musik - wie mich - ist sie völlig alltäglich. Also in diesem Sinne nicht elitär, sondern eine notwendige und mögliche Klangwelt. Entweder man hört Musik... oder man lässt es bleiben. Das ist, in meinen Augen, eher eine Frage der Phantasie. Viel inspirierender finde ich die Übergänge zwischen den Genres.Warum sollte man John Lennon und John Cage, Martha Argerich und Jimi Hendrix einander nicht zuordnen?

Im Großen und Ganzen ist klassische Musik anspruchsvoller, als irgendeine Durchschnittsmusik, weil sie virtuos komponiert ist und viele Gefühle, auch abgründige, anspricht. Man kann sie nicht einfach kurzfristig konsumieren, sondern muss sich wirklich tiefergehend damit auseinandersetzen, sich Zeit nehmen, aufmerksam sein und zuhören, wird dazu herausgefordert die eigenen Empfindungen und Vorstellungskräfte umfassend kreisen zu lassen und zu reflektieren. Selbstredend trifft das auf die durchschnittlichen Produkte der Musikindustrie nicht zu, was teilweise an der Kürze, also am Format liegt.

Das ist allerdings die übliche Polarisierung zwischen Geist und Geschäft, das Ringen zwischen hochwertiger Musik und den Anforderungen des Musikmarktes. Große Werke haben natürlich auch Led Zeppelin, Pink Floyd, Metallica und Miles Davis geschaffen. Die würde ich in die Reihe der großen klassischen Namen einordnen, denn letztlich gibt es, wie Ingmar Bergman mal meinte, keine Grenzen, denn nur die Angst setzt Grenzen; aber es gibt gute und schlechte Musik. Darüber sollte man reden.


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Auch klassische Musik ist als Gebrauchsmusik geschrieben worden und sollte auch als solche lebendig bleiben. Wenn es hochqualitative Interpretationen gibt, ist das sehr schön, das darf aber nicht der Alleinanspruch werden.

Wer behauptet denn so einen Alleinanspruch? Ich kenne niemanden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Elitär ist immer nur etwas, wenn Menschen es daraus machen (wollen). Golf kann elitär sein, muss es aber nicht...

Interessant ist für mich da z.B. die "Nähe" zwischen Klassik und einigen Metal-Genres. Gitarristen wie Yngwie Malmsteen wollten sicherlich nie Musik für Eliten machen, wenn man jedoch über diese Gitarristen diskutiert, werden diese schnell zur "Elite" erhoben (ob berechtigt oder nicht mal ganz außen vor...).

Ein anderes Beispiel wie unterschiedlich klassische Musik "ticken" kann, habe ich vor langer Zeit mal im Oldenburger Staatstheater erlebt.
Dort wurde ein neuer Orchesterleiter engagiert, der Klassik als "Jedermann-Musik" vermitteln wollte. Deshalb hatte er sich eine Amateur-Schüler-Deutschrock-Band gesucht, um die zusammen mit dem Orchester des Staatstheaters auf die Bühne zubringen. Ein IMO unheimlich spannendes Projekt, was der Band, die ich später kennenlernen durfte, auch unheimlich viel Spass und einiges an Erfahrung gebracht hat. Allerdings hatte der Dirigent die Rechnung ohne sein Orchester gemacht, in dem zumindest einige Musiker saßen, die es ablehnten "mit diesen viel zu lauten Dilettanten" zusammen zu spielen (einzelne der Berufsmusiker hatten mit Verweis auf ihr empfindliches Gehör die Probe unter Protest verlassen...)
Das Konzert war dann ein interessantes Schauspiel, aber musikalisch eine ziemliche Katastrophe. Die Amateurband, durfte ein paar ihrer Stücke alleine spielen, was noch recht gut klappte, aber als dann das Orchester mit einsetzte, haben die "Profis" ihren Part völlig stoisch durchgespielt und nicht für 5 cent gehört, wo die arme Schülerband gerade war...
Da hat die "Elite" mal gezeigt, was "Musik" und was "Schund" ist.
 
Musik ist nicht elitär, egal wie sie genannt wird. Elitär sind Menschen, dafür können die Töne nichts.
 
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Musik ist nicht elitär, egal wie sie genannt wird. Elitär sind Menschen, dafür können die Töne nichts.

Was haben Santana, Joe Bonamassa und Grigory Sokolov gemeinsam? Sie machen großartige Musik. :)
 
Musik ist nicht elitär, egal wie sie genannt wird. Elitär sind Menschen, dafür können die Töne nichts.

Aber Musik gibt es nicht ohne die Menschen, die sie machen und hören. Ein Baum, der auf freiem Feld umfällt - macht er ein Geräusch? Ja natürlich...aber relevant wird es erst, wenn dieses Geräusch jemand hört. Ein Radio, das alleingelassen vor sich hindudelt - macht es Musik? Möglicherweise, aber relevant wird es erst, wenn ein Mensch sie hört.

Es wäre zwar bequem, Musik nur als Töne und Schallereignisse zu betrachten, aber es bringt nicht viel: man wird der Musik und den Menschen dabei nicht gerecht. Musik sind Töne, die von Menschen gehört werden. Menschen nutzen ihre Musik, um sich darin wiederzufinden - oder sogar, um sich selbst und ihre Gruppe damit zu inszenieren. Das gilt für Fussballfans und ihre Stadiongesänge (heute abend lief BVB-Bayern...) genauso, wie für politisch möglicherweise extreme Gruppen (die Machtergreifung der Nazis vor 80 Jahren wurde auch musikalisch inszeniert). Diese Gruppen sind inhaltlich natürlich überhaupt nicht vergleichbar, aber hier wird deutlich, dass Musik weit mehr ist, als Töne. Wir wissen alle wo es hinführt, wenn ein Atomphysiker nur den Standpunkt vertritt, für die sozialen Auswirkungen seiner Forschungen sei er nicht verantwortlich.

Wenn man Musik auf Schallereignisse reduziert, ignoriert man fatalerweise die soziale Wirkung. Und die kann durchaus so sein, dass sich eine Gruppe ihrer elitären Ausrichtung vergewissern will. Jeder Fussballverein hat sein Vereinslied, das die eigene Gruppe beschwört und die Bindung des Einzelnen an die Gruppe als etwas Besonderes charaktierisiert. Das sozialistische Kampflied "Die Internationale" (das heute noch z.B. bei SPD-Traditionsveranstaltungen gerne gesungen wird) strotzt nur so vom Bewusstsein der Arbeiterklasse, statt der Kapitalisten und herrschenden Klasse die wahre Elite zu sein (ob das heutzutage für die SPD eine gute Haltung ist, sei dahingestellt :D).

Elitär zu denken ist letztlich auch nur eine stärkere und möglicherweise übertriebene Form der Identifikation mit einer Gruppe. Identifikation alleine ist ja nichts Schlechtes, und das über Musik zu erreichen, auch nicht - solange die Werte der Gruppe grundsätzlich in Ordnung sind.

Harald
 
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Elitär zu denken ist letztlich auch nur eine stärkere und möglicherweise übertriebene Form der Identifikation mit einer Gruppe. Identifikation alleine ist ja nichts Schlechtes, und das über Musik zu erreichen, auch nicht - solange die Werte der Gruppe grundsätzlich in Ordnung sind.

Harald

Manche Menschen sind einfach besser, sie haben es nicht mal mehr nötig, sich für besser zu halten. Dem von mir genannten Grigory Sokolov scheint seine Genialität manchmal sogar eher peinlich zu sein...solche Künstler gibt es aber grenzübergreifend. Also diese absurde Diskussion a la "mein Genre ist besser als dein's" sollte man, wenn man einigermaßen ernst genommen werden möchte, lieber bleiben lassen. :D

Ehre, wem Ehre gebührt.

[h=1]Leoš Janáček - In the Mists[/h]
 
Selbstverständlich kann Musik von gesellschaftlichen Gruppen mißbraucht werden um ein elitäres Verhalten zu demonstrieren. Das könnte sogar ein Grund sein, warum dann im Gegenzug andere Gruppen diese Musik meiden. Gerade was die klassische Musik angeht, ein naheliegender Gedanke wie ich finde.
Nur glaube ich nicht, dass es an der Musik selber liegt. Als Kinder fanden wir Marschmusik noch irgendwie toll. Da war "was los", wenn die Schützenbrüder mit ihren Kapellen durch die Straßen zogen... bis man erfuhr, dass es sich um militaristische Saufbrüder handelte.
Klassische Musik war mir gar nicht so unsympathisch bis ich entdeckte, dass eine aufgeblasene und aufgedonnerte Minderheit sich mit gekünsteltem Verhalten versammelt um bei solcher Musik ihre elitären Attitüden zu zelebrieren.
Die Suche nach dem Größten und das Bedürfnis irgendwie genau dazu zu gehören war mir schon suspekt, als ich noch sehr jung war. Menschen, die sich für was Besseres halten, fand und finde ich ziemlich dumm. Egal ob Rockmusiker oder Beethovenfan.

Es gibt in vielerlei Hinsicht selbstverständlich Unterschiede zwischen Menschen. Nach meinem Dafürhalten gibt es wohl in jeder Hinsicht "bessere" und "schlechtere". Aber ich kenne niemanden, der unterm Strich mehr wert wäre. Damit stehe ich zwar nicht allein, aber eine solche Haltung wird nunmal nicht elitär zelebriert... Dummheit schon...
 
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Elitär zu denken ist letztlich auch nur eine stärkere und möglicherweise übertriebene Form der Identifikation mit einer Gruppe. Identifikation alleine ist ja nichts Schlechtes, und das über Musik zu erreichen, auch nicht - solange die Werte der Gruppe grundsätzlich in Ordnung sind.

Manche Menschen sind einfach besser, sie haben es nicht mal mehr nötig, sich für besser zu halten. Dem von mir genannten Grigory Sokolov scheint seine Genialität manchmal sogar eher peinlich zu sein...solche Künstler gibt es aber grenzübergreifend.

Wenn man sich den Beginn des threads ansieht, wurde den 3 Tenören vorgeworfen, dass sie ihre klassische Nische verlassen haben um ihre Musik Massentauglich zu machen.

Sie wollten Musik die weniger modern oder weniger gehört wird durch das Konzept und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern den Leuten auf andere Art schmackhaft machen. Oder sagen wir sie wollten sich einfach nur verändern.

Musikalisch haben die 3 Tenöre aber teilweise den klassischen Pfad dafür aufgegeben, dass darf man ruhig kritisieren ohne als elitär abgestempelt zu werden.
 
Musikalisch haben die 3 Tenöre aber teilweise den klassischen Pfad dafür aufgegeben, dass darf man ruhig kritisieren ohne als elitär abgestempelt zu werden.
Erklär mal näher was Du damit meinst, "klassischer Pfad", den man wohl ohne Kritik nicht aufgeben darf...
 
D
  • Gelöscht von Gast 23432
  • Grund: unnötig und provokant
Klassische Musik war mir gar nicht so unsympathisch bis ich entdeckte, dass eine aufgeblasene und aufgedonnerte Minderheit sich mit gekünsteltem Verhalten versammelt um bei solcher Musik ihre elitären Attitüden zu zelebrieren.

Das gleiche gilt aber auch für die Heavy-Metal-Fans, die sich z.B. alljährlich beim Wacken Open Air versammeln: eine aufgedonnerte Minderheit begreift sich als exklusiv. Und zwar mit einer ganz klaren Gegenüberstellung Wir-Ihr, wobei "wir" die Avantgarde darstellen und "ihr" nicht. Zu sehen z.B. am Text von Doro Pesch "We are the Metalheads", wo Überlegenheit ausformuliert wird: "We are, we are the metalheads, Don't wanna sound like you 'cuz our life is true".

Elitäres Denken passt eben auch gut zu anderen Musikformen. Zur Klassischen Musik genauso wie zum Heavy Metal. Es hängt letztlich von den Hörern ab, wie sie ihre Musik verwenden - kein Ton alleine ist von sich aus elitär, aber jeder Ton kann dazu genutzt werden.

Harald
 
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