Ein langer Samstag oder "klein René" im Paradies
Ich hab lange überlegt, ob ich das im Gedankenthread posten soll, oder lieber hier, aber da hier auch über GAS und Amps geredet wurde und es im Gedankenthread vielleicht doch ein wenig Off-topic wäre, schreibsel ich das mal hier.
Für die Jenigen, die meinen Post im Gedankenthread nicht kenn, hier die Vorgeschichte:
Ich habe ein älteres "Fenix-Schätzchen", das Probleme mit der Saitenlage hat und so bin ich letzte Woche Dienstag kurz bei meinem bevorzugten Instrumentehändler ´reingeschneit, um wegen einem Service-Termin vorzusprechen.
Wir einigten uns auf Samstag und plauderten noch so ein wenig über meine Ellie (die neue Paula) und über meine Röhrenampambitionen und die Tendenz in Richtung Marshall, einfach weil ich rein emotional und bar jeder Sachdisskussion Marshall und das dazugehörige "Mojo" eben sehr mag.
Nuja, am Mittwoch dann klingelte mein Handy und Tom vom Laden sagte:
"Bring mal Zeit und deine Ellie mit, ich hab´ dann was für dich."
Ich quetschte, bohrte und quengelte, bis er mir schliesslich eröffnete, dass er einige Amps im Testraum aufbauen würde, die ich nacj Herzenslust durchtesten dürfe.
Bei der Aufzählung der Testkandidaten (alles Combos) lief mir das Wasser im Mund zusammen:
Bugera 6212, ENGL Thunder 50, Peavey 6505, Randall RG-50 TC, Marshall Haze 40, Marshall JVM205C und Marshall 2266-C
Der Samstag, eine unfassbare Enttäuschung und das Schicksal in Ampgestalt
Es folgt ein "Review", das garantiert 100% subjektiv und emotional und nahezu Technik befreit ist und nur von einem kleinen Jungen handelt, der Augen,. Ohren und Mund nicht mehr zu bekommt.
Nach ein wenig Smalltalk und Toms Versicherung, die Fenix würde er mit einem neuen Sattel und ein bisschen Hals einstellen wieder flott kriegen, ging es in den Testraum, wo der Bugera 6212 bereits anwärmte.
Wir prüften kurz, ob bei den Kandidaten alle EQ-Regler in Mittenstellung waren -ich wollte ja den Grundcharakter der Amps hören- und einigten uns darauf, dass Tom immer den jeweils nächsten Amp anwarf, während ich den vorigen teste.
- Bugera 6212: Ich war nervös. Hatte zum Einen noch nie ´ne Röhre gespielt, schon gar nicht in der Leistungsklasse, zum anderen grübelte ich tagelang schon: "Was spiele ich eigentlich? Die drei Powerchords, 1 1/2 Soli und drei Licks, die ich kenne?!
Musste ich ja, hilft ja nix.
Also...René schüchtern alles eingestöpselt, Volume Poti an der Gitarre auf und angenehm festgestellt, das nichts rauschte.
Also, tief durchgeatmet, offenen C Akkord gekloppt und *schluck*
Scheísse, drückt dat Ding! Jesses!
Ich spiele die beiden A-Saiten Licks aus meinem Übungsbuch, frage mich, wer da eigentlich meine Oberschenkel verprügelt und komme irgendwann darauf, dass es der Amp ist.
Das Teil rotzt und kracht, jault meine "Knocking" Solo-Versuche in den Raum und ich frage mich nichtmal, warum Tom so blöde grinst.
Fazit: nettes Teil, macht richtig gut Krach
Solchermaßen eingestimmt ging es den
- Peavey 6505: Naja, abgesehen davon, dass ich langsam etwas lockerer werde und mich etwas weniger schäme, gibt es nichts groß zu erzählen, der Peavey ist genau wie der Bugera ´ne klasse Rockrotze, die ein wenig "dreckiger" klingt, als der Bugera.
Fazit: nettes teil, macht richtig gut Krach
Ich wende mich dem ersten meiner "Favoriten" zu, dem
- Marshall Haze 40: Als "günstigster" in der Riege bin ich auf den "Kleinen" schon sehr gespannt, von seinem kleinen Bruder, dem Topteil, habe ich ja bislang klanglich nur gütes gehört.
Als Erstes fällt mir auf, dass der Haze in Sachen Druck den anderen beiden Kandidaten nicht nachsteht und die "nur" 40 Watt immer noch mehr als genug sind.
Gutmütig gibt der Haze mein Spiel wieder, immer warm, immer mit Punch und stets gnädig bei ungenauem Spiel. Der Haze hat Stimme, macht richtig Spaß erfreut mich mit einem leichten Schmelz im Mittenbereich.
Fazit: Der Kleine und ich könnten Freunde werden, der sieht aus wie ein Marshall, klingt wie ein Marshall und ist gutmütig zu spielen. Bislang der Favorit!
- ENGL Thunder 50: Wow! Hilfe! Laut, kernig, mit einem Hang zur Kreissäge. Kann dat Ding auch Mitten?!
Kurz und knapp: der ENGL ist nicht meite Welt, ich habe das Gefühl, der ist scharf, schrill und irgendwie... *brrr*
Tom kam der Klang auch seltsam vor und er will mal schauen, ob da nicht irgendein Defekt vorliegt.
- Marshall JVM 205C: Yeah, einer der "großen" Marshalls, was hab´ ich mich auf das Teil gefreut.
Der Stand ist breitbeinig, die Hand schreggelt den C Akkord und...
Was ist das denn?
Ich spiele die A-Licks, ich setze das Intro vom 2. "November Rain" Solo an, spiele im Zerr-Kanal, spiele clean, mal lauter, mal leiser...der Amp ist für mich eine einzige, herbe Enttäuschung.
Ich kann nichtmal sagen, woran genau es liegt, er klingt nicht schlecht, hat Druck und alles, aber er ist irgendwie...lustlos. Uninspiriert. Beliebig.
Irgendwie fehlt zwischen uns jegliche Harmonie, jegliches Band, ich kann spielen, was ich will, es klingt immer irgendwie nach "mir doch egal".
Frustriert greife ich staunend zum von Tom gereichten Bier: "hat man gehört. Ihr passt nicht." Dann trapse ich zum nächsten und vorletzten Kandidaten, dem
- Randall RG-50 TC:
Ich war um 12 Uhr im Laden angekommen und hatte gegen Halb 1 zu Spielen begonnen, mittlerweile haben wir Viertel vor 2.
Ich beginne mein "übliches Prozedere" und...
hell yeah!
Binnen weniger Noten bin ich versöhnt, der Randall rockt wie die Sau, klingt weniger warm, als der Haze, dafür spritziger, insgesamt
hat das Teil Bock, zu rocken!
Ich fühle mich versucht, ein zwei Riffs von "For whom the bell tolls" zu probieren, an denen ich seit ein paar Tagen arbeite, der Randall drückt gezerrt wie ein Tier und matscht kein bisschen.
Für meinen Geschmack ein Tick zu wenig Wärme drin, aber wenn ich einen "Metal-Amp" suchte, wäre dieser erste Wahl!
Es ist kurz nach 2, die Bierdose ist alle und ich schlendere zum letzten Kandidaten, vor dem ich -die letzte JVM Enttäuschung im Hinterkopf- fast ein bisschen Bammel habe.
- Marshall 2266-C: Beinahe zaghaft spiele ich meinen Akkord.
"Hallo René."
Nochmal, diesmal mit mehr Schmiss. "Hallo René!"
Ich hatte vorher schon u.A. hier im Forum gelesen, dass der Amp besonders dafür konzipiert ist, die unterschiedlichen Sounds bzw. "Kanäle" mit dem Volumepoti abzurufen und dass er u.A. dadurch ein sehr spezieller Fall sei.
Was soll ich sagen: der 2266 heisst mich auf Anhieb willkommen.
Ich drehe den Master-Volume am Amp auf, den Volumeregler der Gitarre weitgehend zu und ein Cleansound breitet die Arme aus und hüllt mich ein.
Nicht fenderesk, sondern immer mit der Nuance "Charakter" im Ton, die manch Clean-Puristen stören mag.
Doch was ich auch spiele, wie ich es auch mache, ob Clean, Crunch, Zerre oder ganz viel Zerre, es bleibt immer "mein" Tone.
Meine Ungenauigkeiten im Spiel "kaschiert" der 2266 mit Wärme und Schimmer, gut gespielte Passagen belohnt der Amp mit Samt und Seide, singt und schwingt wie der Teufel.
Ich glaube fast, meine letzte Note aus dem "November Rain" Solo-Intro steht heute noch.
Ich spiele mit Palm-Mute "mein" A-Saiten Riff, der Amp drückt. Es gewittert.
Ich spiele zwei der "For whom the bell tolls" Riffs und der Amp rotzt.
Ich prügele mit meinen Fingerkuppen irgendwelche -natürlich gräßlichen- Phantasie-Tappings auf das Griffbrett (nicht, dass ich das irgendwie könnte) und es heult und jault, dass es eine wahre Freude ist.
Ich spiele das erste "Knocking"-Solo gefühlte 10.000 Mal in immer anderen Variationen, es schüttelt mich, es schmeichelt mir, meine Nackenhaare stellen sich auf und ich fühle mich
gut.
Cry, baby!
Ich bin euphorisiert, total erschöpft und sehe auf die Uhr: kurz vor 5!
Ich habe den 2266 fast 3(!) Stunden lang gespielt.
Tom grinst -den Laden hatte er ohnehin um 16:00 zugesperrt und schnappt sich meine Ellie, spielt die lange Endsolo-Kombination von "One" und anschliessend des Intro-Solo von "Fade to black".
Ich höre andächtig zu und leere die Bierdose, die er mir hingestellt hat.
Tom spielt und spielt und ich höre zu. "High Gain ist nicht so sein Bereich.", sagt er. "Ist er nicht für konzipiert."
Ich nicke. Wer härter spielen will, als Metallica, der wäre damit falsch.
Stratspieler bzw. Single-Coiler wären damit wohl auch falsch.
Ich als Gunslinger bin damit genau richtig!
Wir stossen nochmal an, ich bedanke mich bei Tom für den großartigen Tag, um kurz nach 18 Uhr verlasse ich glücklich und geschafft den Laden.
Folgendes habe ich gelernt:
1) Ich brauche einen Marshall Vintage Modern 2266-C
2) Ich werde meine "größeren" Käufe in Zukunft ausschliesslich in dem Laden machen, der mir diesen Test ermöglichte, obwohl klar war, dass ich in absehbarer Zeit nichts kaufen würde.
3) Ich brauche einen Marshall Vintage Modern 2266-C
4) Nicht jeder Marshall klingt für mich/mit mir gut
5) Ich fand Amps unabhängig von Marke, Preis und Aussehen gut oder auch nicht, bin also nicht voreingenommen.
6) Ich brauche einen Marshall Vintage Modern 2266-C
Wie gesagt, das alles hier ist rein subjektiv, ich wollte einfach einen der für mich bislang umwerfendsten Gittarren-Tage mit euch teilen.
: wir, die jetzt reden, stehen wohl fast alle auf seiner Ignorelist!
