Bei Lynns Geschichte und den Reaktionen dazu fällt mir eine Anekdote ein, die -im Nachhinein betrachtet- sicherlich mit ausschlaggebend für mein "kreativ-musikalisches Schaffen" war.
Es war der Donnerstag auf der Ring*Con in Bonn im Jahre 2004, als ich Abends in der "Piano-Bar" des Maritim Hotels saß und gemütlich ein Bier trank.
Die Ring*Con startet immer erst Freitags, somit war es eine recht kleine und gemütliche Runde, die sich dort zusammengefunden hatte.
Mir am Tresen gegenüber saß mit einer Karaffe Weißwein (Gavi di Gavi, wie ich bald herausfinden sollte) eine bildhübsche, fast schüchtern wirkende junge Frau Anfang 20.
Es dudelten diverse Songs aus den Lautsprechern, ich frönte meinem Laster des Mitsingens und schliesslich ertönte "My Immortal".
Ich wusste, das die Band Evairgendwas hiess, hatte nie ein Video von denen gesehen, aber ich liebte den Song und tue das auch heute noch.
Also macht René die Augen zu und singt -zwar leise, aber dennoch voller Hingabe- mit.
Der Song ist vorbei, ich öffne die Augen wieder und die junge Frau steht neben mir und lächelt.
Ach du Kacke! ErdlochErdlochErdloch!!!
Genau das denke ich und will im Erdboden versinken, als sie mir die Hand reicht und sagt: "Hi I´m Amy. You like this song, don´t ya?"
"R...René. Yeah, it´s pretty cool. uhm...", stammele ich.
Wir kommen ein wenig ins Gespräch, ich trinke mein Bier aus und wir gehen zu ihrem Wein, ich erzähle ihr, was ich in Bonn mache, was sie ziemlich crazy findet: "Lord of the Rings Convention? Just thought only the Trekkies were this...
special."
Sie erzählt nur, sie sei auf der Durchreise von Essen nach Paris und würde hier in Bonn einfach übernachten, wird aber nicht konkreter und ich frage auch nicht weiter nach.
Wir reden ganz allgemein über Musik, sie fragt mich, wie lange ich schon Musik machen würde, was ich mit "mache ich gar nicht!" beantworte.
Auf einen fragenden Blick erkläre ich, dass ich nur leidlich Noten lesen kann und kein einziges Instrument spiele.
"Your voice!", ist ihre Entgegnung, was mir zwar schmeichelt, ich aber darauf hinweise, dass die Stimme ja zum Einen ja gar kein richtiges Instrument sei (was ich heute durchaus anders sehe) und meine Stimme zum Anderen gar nicht toll sei. (was nach wie vor die Wahrheit ist)
Sie grinst und legt mir eine Hand auf das Herz und eine Hand auf den -damals nicht so stattlichen- Bauch.
"When you´re singing, you lay your heart and soul on your tongue an that´s what is important, the rest is about dealing with tools.
You are a musician, René."
Spätestens jetzt denke ich, ich werde die nacht nicht allein im Bett verbingen und die Kleine will was von mir, nehme aber grundsätzlich kein Wort von ihr ernst.
Nach der zweiten Karaffe Wein deutet sie auf das Piano, das der Bar den Namen gab und zog mich mit dahin.
Amy setzte sich ans Piano und der Barkeeper stoppte die gerade laufende CD, Amy begann zu spielen.
"Ach guck, die klimpert My Immortal", denke ich und setzemit dem Gesang ein, was Amy ebenfalls tut.
"Tolle Stimme", denke ich mir und bremse mich auf die Zweitstimme ein und überlasse ihr die Führung.
Es war wunderschön und wir bekommen von den anderen Anwesenden sogar Applaus, was ein tolles Gefühl war, sie spielt einen weiteren Song, "Angel" von Sarah MacLachlan, den ich ebenfalls leise begleite, dann klimpert sie noch einen Song, den ich zuvor nie gehört hatte.
"Breathe no more", lautete der Titel, der mir durch Mark und Bein ging.
Wun-der-voll!
Sie war fertig, wir setzten uns begleitet von Applaus und einigen Gratulationen wieder hin und plauderten noch ein wenig; zwei Fremde, für einen Abend lang in ihrer Liebe zur Musik vereint.
Schliesslich erhob Sie sich, schrieb noch etwas auf einen Bierdeckel, warf mir einen Kuss zu und verabschiedete sich mit "Good night!"
Irgendwie war ich nichtmal enttäuscht, dass ich sie nicht "abschleppen" konnte, ich nahm den Bierdeckel zur Hand und entzifferte: "For my musician, thank you René for a special night. Kisses, Amy."
Ich schmunzelte, "entsorgte" den Bierdeckel und ging auf mein Zimmer.
Am nächsten Tag schlenderte mir irgendwann irgendein Mädel entgegen, auf deren schwarzem T-Shirt doch tatsächlich ein Druck von Amy(?!) und drei Typen zu sehen war.
Darüber stand "Evanescence".
Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn und lachte Tränen über meine Blödheit, das Mädel ergriff die Flucht vor diesem offenbar völlig durchgeknallten Typen.
Naja, was soll ich sagen, natürlich habe ich Amy Hartzler, heute Lee, nie wiedergesehen, aber ich stand 2005 und 2006 als "Aragorn" bei einem Lord of the Rings Fan Musical jeweils Samstags Abends auf der Bühne der Ring*Con,Co-produzierte und "Co-regierte" das Stück von 2006 und machte somit meine ersten kreativen Erfahrungen, die schliesslich darin "gipfelten", dass ich jetzt endlich tatsächlich Musik mache und es endlich nicht mehr länger aufschiebe.
Was die "Moral" von der Geschichte sein soll?
Das sich ein "sehr guter" Musiker immer auf einen "weniger guten" Musiker einlassen kann, um gemeinsam was auf die Beine zu stellen.
Wenn also der Freund Deiner Schwester, @Lynn, mit Dir spielen will, dann bekommt ihr das auch hin, auch wenn er tatsächlich viel besser als Du sein sollte.
Wie hat Amy gesagt? "Musik ist im Herzen, der Rest ist das Benutzen von Werkzeug."
Ich hoffe, dieser Exkurs in meine Vergangheit hat nicht zu sehr gelangweilt und es ist in etwa klar geworden, was ich eigentlich sagen wollte...
Grüße,
René