Hi,
ich dachte heute während der Heimfahrt aus dem Büro drüber nach, dass mich gewisse Fragen im Board total nerven.
z.B. Soll ich nun diese xy-Metal-Gitarre für 129,00 Euro oder lieber diese/jene Blues-Gitarre für 159,00 Euro nehmen?
Meine Fresse!!!
Ich hab 1976 (als 9-Jähriger) angefangen, mich fürs Gitarre spielen zu interessieren ... weils der Papa auch hobbymäßig getan hat. Naja, es war dann zunächst die schrottreife Wandergitarre zum Akkorde-Abschauen. Irgendwann kam der Wunsch, ein eigenes Instrument besitzen zu wollen, damit man auch mal gemeinsam (Papa und ich) Musik machen kann. Ich hatte aber in dem Alter natürlich keine Kohle.
Jungs, zu der Zeit waren Instrumente verglichen mit heute ehrlich sauteuer.
Ich hatte bestimmt ein halbes Jahr nur gerechnet, glücklicherweise hab ich ein paar Tage vor Weihnachten Geburtstag und so konnte ich eher planen. Ein eigenes Instrument musste her! Die allerbilligste Westerngitarre sollte her.
Das einzige, was ich als 10-jähriger damals wusste, war, dass es Gibson und Fender gab. Die Gibson fingen bei 2.500 DM an, die Fender bei 2.000 DM,...
Also, erstmal ne Japan-Kopie einer Western-Gitarre... bekannte Marken waren da Ibanez und Aria. Ich hab mir dann eine Western besorgt, einzig allein bestimmt über den Preis. Es wurde für 320 DM noch nicht mal eine Aria, sondern eine aus dem Hause Ariane, eine Tochterfirma von Aria (?).
Ich hab mich ab dem ersten Tag geschämt, so ein Billig-Teil zu besitzen und hab das Logo an der Gitarre gleich überklebt (dass es nach Aria aussieht).
Ich hatte damals (meinem Alter entsprechend) 10 DM Taschengeld zur Verfügung. Ich musste also sämtliches Geburtstagsgeld plus Weihnachtsgeld plus 10 Monate Taschengeld sparen, damit ich überhaupt ein Instrument besaß.
Und diese Aria ist noch net mal toll. Eigentlich richtig schlecht. Und heutzutage?... zum kotzen.... man musste damals wirklich Opfer bringen und verzichten, um seine Träume zu erfüllen....
Mit dieser Western war ich ca. bis 1979 unterwegs und es kam der Wunsch auf, mit Band und so.... ihr wisst schon,...
... es gab immer noch die unerreichbaren Fender/Gibson und auf dem elektrifizierten Japan-Bereich immer noch Ibanez und andere....
Irgendwie hab ich mich auf Ibanez (die Artist-Serie) eingeschossen. Und vor allem, ich WOLLTE eine E-Gitarre (das war um 1980).
Aus dem kleinen Musikalien-Emma-Laden der nächsten Stadt hatte ich alle Prospekte, die es gab, gesammelt und für mich eine Entscheidung gefällt:
Die Ibanez Artist ist hübsch, und sauteuer, die muss also gut sein
Ich kann mich noch sehr gut dran erinnern, ich hab die Prospekte aufgesogen, jede kleinste Information verinnerlicht. Welche Mensur, welche Pick-Ups, welches Finish,.... allerdings war jede Gitarre von meinem Taschengeldbudget unerreichbar.... mir blieb also nur davon zu schwärmen. Und das tat ich AUSGIEBIG. Ob das jemand interessiert hat oder nicht, mir war das egal,... jeden aus der Familie und alle Freunde versuchte ich davon zu überzeugen.
Was ich wirklich noch vor Augen hatte, ist, dass ich beim gemeinsamen Abendessen am Tisch saß und den Prospekt vor mir hatte, meinen Teller zur Seite geschoben hab... damit der Prospekt Platz hatte.
Und irgendwann hatte scheinbar mein Vater Mitleid und fragte, was ich denn mit dem Prospekt wolle und ob ich denn wirklich so eine Gitarre haben wolle.
Meine Antwort könnt ihr euch denken: Ich brauch, nein ich will sowas!
Er hatte dann mal kurz rübergelinst (er hatte sich ja auch schon so manche Instrumente gekauft oder geerbt). Jedenfalls schien er zu merken, dass es mir wirklich sehr wichtig war und viel bedeutet hat. Natürlich wusste er auch um meine Finanzen.
Zu dieser Zeit (1976,1977) hatte er gerade angefangen, das Haus umzubauen und mir war völlig klar, dass wir keine Kohle hatten, überall mussten wir verzichten und sparen, aber scheinbar hat mich meine Penetranz, die Prospekte zu studieren irgendwie fasziniert.
Er kann sich kaum mehr dran erinnern, mir hat sich im Gegensatz dazu die Situation unauslöschlich in mein Gehirn gebrannt: Nachdem er mich mit meinen Prospekten eine zeitlang beobachtet hatte und ich schon merkte da könnte was gehen..... kam die Frage von ihm: Sag mal, bist du dir sicher? Natürlich Ok, ich hab ein bischen übrig, was kostet denn sowas?
Durch mein fassungsloses Glücksgefühl etwas irritiert hab ich mich erstmal rausgeredet und hab auf Zeit gespielt. Die Grundvoraussetzung waren plötzlich ganz andere.
Ich hatte quasi erstmal freie Wahl.
Ich dachte, ich müsse das ausnützen, ausreizen, austesten, wie weit diese spontane Großzügigkeit denn ginge. Und hab mir nach tagelangen Überlegungen, aber auch mit etlichen Gewissensbissen aus meiner Ibanez-Traumserie das absolute Topmodell ausgewählt. Eine Ibanez Artist AR 3000 (ich glaub, sie hieß so), mit 3-bandigem aktiven Equalizer,.... damals gabs sowas schon!!!
Ich hatte mich also entschieden und teilte ihm mit Räusper,.... hm... naja, also die Gitarre kostet rund 3.000,00 DM. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, aus der Familie geworfen zu werden, aber er sagte, Naja, ok, wenn du dir sicher bist.
Was war ich glücklich !!!!
Tags drauf sofort mit dem Prospekt unterm Arm in meinen Musikladen und gesagt: Die will ich haben. Verkäufer schaute nach, sorry, nicht mehr lieferbar. OK, dann bin ich heim und hab kurzerhand beschlossen, dann nehm ich (wenn ich schon die Chance hab) eben das nächstkleinere Modell. Die Ibanz Artist AR305 AV, Mahagoni, Vogel-Ahorn-Decke und 2 splitbare (und out-of-phase-schaltbare) Ibanez Humbucker.
Papas damaligen Verdienst schätze ich so auf monatlich 1500 DM netto ein, die nächstkleinere Ibanez kostet 1500, ich bekam sie mit Koffer für 1350 DM.
Das war 1981.
Klar könnte man aus heutiger Jugendsicht sagen, ich hätte nichts dafür geleistet, aber das war eine ganz besondere Situation, in der mir mein Vater gezeigt hatte, was er bereit war für mich zu opfern, sich selbst einzuschränken.
Mir war das damals sehr wohl bewusst, das war immer eine Mischung zwischen schlechtem Gewissen und unbändiger Freude, aber auch Stolz, dass in mein musikalisches Talent so viel investiert wurde.
Heute, wenn ich ihn drauf anspreche, tut er es immer ab, er könne sich nicht erinnern, aber ich traue wetten, das war eine Riesenanstrengung finanzieller Art für ihn. Vielleicht wollte er einfach nur, dass seine eigenen unerfüllten Wünsche seiner Jugend irgendwie wahr werden.
Dieses Instrument spielte ich von 1981 bis 1993 ununterbrochen, bis ich vom Fender-Virus infiziert wurde. Ich kaufte mir eine 1986 Fender-US-Strat, zu der ich nie eine Beziehung aufbaute. Sie ist klasse, alles Top, Spielgefühl, Sound, aber ich hab keine Beziehung zu ihr. Sie hat (fast) keine Geschichte zu erzählen. Wenn sie kaputt ist, kann ich mir ein andere von der Stange holen.... kein Thema,.... aber meine Ibanez. Sie hängt grad neben mir, lacht mich an und will sagen, Jou, Foxy, was wir schon alles erlebt haben....
Fazit, auch wenn sich das jetzt liest, naja, der hat ja nix geleistet, der hats einfach so bekommen, sein Instrument, ja, das ist richtig, es war einfach eine gute Zeit für mich,.... jetzt allerdings (selbst eine Famile, selbst ein Haus gebaut, enorm viele Schulden) lerne ich zu schätzen, wie es ist, seine Kinder fast unter Selbstaufgabe in ihrem Tun zu unterstützen und das ist für mich eine ungemein wichtige Erfahrung. Auch um meinen Vater zu verstehen.