Gitarre spielen - meine Gedankengänge seitdem ich angefangen habe

Hi Relact!

Also, eigentlich dachte mir, eine Bewertung mit gutem Text reicht. Aber ich schließe mich doch noch mal meinen Vorrednern an.

Ich habe Deinen Beitrag nocheinmal gelesen und mir fiel auf, dass Du selbst in geschrieben Worten viele verschiedene Stimmungen transportierst und uns über Worte einen Teil Deines Lebens sehr sehr plastisch dargestellt miterleben läßt. Welche Adjektive, oder Attribute man auch noch dafür verwenden mag.

Auch das ist eine musische Gabe, wenn sie authentisch ist und genau das kommt rüber und berührt mich. Ich dachte erst, boaahh, was ein langer Post, dann fing ich an zu lesen und Deine Geschichte nahm mich mit auf eine Reise!

Hat viel von fast hörbarer Musik an sich, könnte auch in Malerei seinen Ausdruck finden und in Poesie, die es schon ist. Du setzt meiner Phantasie keine Grenzen, finde ich! Viele musikalische Stile und Ausdrücke generell, die sich treffen, überschneiden, parallel laufen ... auch entgegen ....... mit einem großen Lächeln geschrieben, so scheint es mir, aber auch mit losgelassenem, spürbarem Wehmut!

Respekt und Danke dafür!
 
Aus Klagenfurt kommen halt kreative Köpfe!:great:

Es ist immer wieder schön so Geschichten aus dem Leben zu hören!

mfg andi
 
Aus Klagenfurt kommen halt kreative Köpfe!:great:

Es ist immer wieder schön so Geschichten aus dem Leben zu hören!

mfg andi

Immer diese Lokalpatrioten... :rolleyes:;)
Wie wärs mal deine zu hören ?
 
Danke für die diese ausgesprochen netten Worte und dieses wirklich bewegende Feedback. Es macht für mich einen Unterschied, ob ich ein positives Feedback zu einem Fachsimpelkommentar zum Musikmachen bekomme – oder eine so positive Bewertung der Darstellung meiner Lebensgeschichte. Ist das doch – auch wenn das Forum irgendwie anonym und unverbindlich ist – doch eine Art Seelenstriptease. Will sagen: mit meiner Lebensgeschichte geb’ ich ein Stück meines eigentlichen Wesens weiter. Hinter Musikfachsimpelei kann man die eigene Person bei Bedarf auch ganz gut verstecken.

Insofern: einen herzlichen Dank an Euch auf der persönlichen und emotionalen Ebene!

Die „Liebe zur Musik“ – ich denke, das trifft es recht gut. Diese Formulierung erweckt jetzt fast den Eindruck, als habe ich Intimitäten über eine sehr tiefgehende Liebesbeziehung ausgeplaudert – oder Euch „mit auf die Reise“ durch einen Ausschnitt meines Liebeslebens genommen. Das nehme ich als ganz besonderes Kompliment, danke Fiderallala, sehr schön formuliert! Das ist für mich der Inbegriff der Berechtigung, auf der Bühne zu stehen: die Fähigkeit zu haben, mit seiner Darstellung das Publikum in den Bann zu ziehen und mit auf eine Reise zu nehmen – eine Reise in andere emotionale und geistige Welten – jenseits des physischen Körpers. Emotional mit einem „großen Lächeln“ von Herzen geschrieben – das auf wundersame Weise – angekommen sein dürfte!

Ich bin jetzt ein paar Tage auf der Alm – ohne Internet – und meld mich dann zu Euren Lebensgeschichten. Der persönlich gefärbte Touch dieses Threads gefällt mir! Wer sich die Zeit nimmt, meiner Geschichte zu lauschen, dem höre ich auch gerne zu!

Liebe Grüße aus Kärnten
 
Immer diese Lokalpatrioten...
Wie wärs mal deine zu hören ?

Meine Laufbahn als Gitarrist ist leider noch nicht so lang ( 6 Jahre) aber ich werde auch mal wenn Zeit is meinen " Seelenstriptease" durchführen!

mfg andi
 
Meine Laufbahn als Gitarrist ist leider noch nicht so lang ( 6 Jahre) aber ich werde auch mal wenn Zeit is meinen " Seelenstriptease" durchführen!

mfg andi

oooch da kann man sicher ne ganze Menge erzählen :D
 
Mein Respekt für diesen NICHT "0815" Tread!​
Mit Spannung verfolge ich die Geschichten nun schon seit mehreren Wochen. Bei jeder Geschichte komme zu dem Schluss, dass es keine vergeudete Zeit ist, sich über seine Erfahrung mit dem Gitarrenspiel Gedanken zu machen. Es kostet ein wenig Überwindung und ist auch kein leichtes Unterfangen, sie dann auch noch aufzuschreiben. Mein Kompliment an jeden der bisher seine Erfahrung als Teil seiner Lebensgeschichte hier veröffentlicht hat. Und das obwohl Männer eigentlich mit "Seelenstriptease" nichts am Hut haben wollen. Zum Glück hat hier einer den Vorstoß gewagt und weitere Männer folgten dem Beispiel. Und nun zu meiner Geschichte:

1. Teil
Es hört sich gut an und ich bin auch ein wenig Stolz darauf, wenn ich Euch mitteile, dass mich meine Gitarre seit 44 Jahren begleitet. Mit 12 Jahren bekam ich von meiner Pflegetante eine Gitarre und ein Jahr Unterricht an einer Musikschule geschenkt. Mit Rollschuhen und die Gitarre unterm Arm fuhr ich zum Musikunterricht, Woche für Woche. Ich bemerkte schnell, dass mir der Unterricht viel Kummer bereitete, weil ich das Melodiespiel nicht lernen wollte. Ich sperrte mich innerlich vehement dagegen. Es machte mir keinen wirklichen Spaß. Erzählen konnte ich es allerdings niemanden. Ich schämte mich. Auf der einen Seite wollte ich meine Pflegetante nicht enttäuschen und auf der anderen Seite konnte ich es meinem Musiklehrer auch nicht erzählen. Wenn der Musiklehrer mich fragte, warum ich die Stücke nicht geübt hatte, truckste ich rum oder erfand eine Geschichte. Der Musiklehrer bemerkte, dass ich in irgend einer Weise gestört war. Als Konsequenz nahm er mich aus dem Gruppenunterricht raus und erteilte mir Einzelunterricht, was meine Lernmotivation nicht verbesserte. Mir verging die Lust am Gitarrenspiel und ich fing an den Unterricht zu schwänzen. Nach einigen Wochen wurde ich zur Rede gestellt und konnte mir anhören, wie wenig dankbar ich sei, wie könne ich mir einen teuren Unterricht bezahlen lassen, den ich nicht besuche. Schließlich sei es nicht jedem Heimzögling möglich eine Gitarre mit Unterricht geschenkt zu bekommen. Ich reagierte trotzig und erfand neue Geschichten wieso, weshalb und warum ich nicht will. Daraus schlau wurde niemand, am allerwenigsten ich. Aus heutiger Sicht war ich mit meiner Sonderstellung das Gitarrenspiel zu erlernen, hochgradig überfordert. Es sollte niemand aus der Musikschule wissen, dass ich nicht bei meinen Eltern lebe, sondern im Heim. Das preis zugeben war mir viel zu peinlich. Und im Heim konnte ich niemand erzählen, was ich im Musikunterricht lerne, Melodiespiel, so einen Blödsinn, dafür geht man doch nicht zum Unterricht, wären die Reaktionen gewesen. Irgendwie fühlte ich mich entlastet als der Gitarrenunterricht "Schnee von Gestern" war und ich keinem mehr Rechenschaft schuldig war. Die Gitarre blieb aber meine!

Ich brachte mir das Gitarrenspiel in einer anderen Form bei. Ich büffelte verschiedene Akkorde und lernte relativ schnell Lieder begleiten. Möglich wurde mir das durch hervorragend spielende Gitarrenspieler, die regelmäßig ins Heim kamen. Einer der beiden nahm sich Zeit für mich und brachte mir Akkorde bei. Beide waren regional bekannte Gitarrenspieler, die Country Musik machten und selbstverständlich auch Lagerlieder spielen konnten. Beide betreuten in den Sommerferien ein Zeltlager, wo ich als Kind fünf Jahre daran teilnehmen konnte. Mit beiden zusammen und weiteren Gitarristen konnte ich mich mit meiner Gitarre dazu gesellen und wir begleiteten den Gesang der Lieder zur Lagerfeuer Romantik. Das machte mir tierischen Spaß. Es folgte die Zeit wo ich auch Schlagermusik begleiten konnte.

Ich wechselte vom Kinderheim in ein Lehrlingsheim. Da lernte ich Stones- und Beatles und weitere Texte von bekannten Rockbands zu begleiten. Möglich war das, weil ich mit einem aus der DDR geflohenen Gitarrenspieler, mein Zimmer teilte. Nach einem Jahr BRD bekam mein Zimmerkollege Heimweh und er ging in die DDR zurück. Ich begleitete ihm damals bis zur Grenze und war traurig ihm zu verlieren. Ihm fehlte seine Familie. Im Lehrlingsheim wohnte noch ein weiterer Gitarrist, der mir den "Blues" bei brachte. Mit dem Blues lernte ich zu improvisieren.

Fortsetzung 2. Teil folgt in Kürze.
 
Weiter, Du machst mich neugierig!

Gruß Jens
 
Moin Paule514,

schön das du dich hier hingetraut hast ;). Ich kenn dich ja nur aus den "beiträgewerdennichtgezähltunterforen", wo ich deine fundierte Beiträge sehr schätze (ich lese da mehr als ich schreibe).

Schöne Geschichte hast du da mitgebracht. Vielen Dank dafür :great:

Da freue ich mich schon auf den 2. Teil

Gruss, Klaus

btw. das Prob mit dem GT-10 ist mittlerweile gelöst
 
Hallo Paule!

Sehr schön, dass DU hier gelandet bist!! Und Teil 1 Deiner Geschichte läßt sich, WOW, gut an. Verursacht mir schon mal Gänsehaut. Du hast sicher schon festgestellt: man kann noch so sachlich an die Sache rangehen, die Schreibe verselbständigt sich ..........

Ich freu mich auf mehr!!

Liebe Grüße, Axel :)
 
Fortsetzung von Nr.: #227

2. Teil​

Mit dem Blues lernte ich auch einige Zupftechniken kennen und es zog mich förmlich aus dem Lehrlingswohnheim raus. Das Leben im Heim ging mir fürchterlich auf dem Wecker. Jedes Wochenende sich mit Alkohol abfüllen und in unzählige Schlägereien verwickelt zu werden, das wollte ich nicht mehr. Ich war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt, seinerzeit leider noch nicht volljährig, hatte deswegen einen Vormund, der über meinen Aufenthaltsort zu befinden hatte. Er wollte mich nicht ausziehen lassen. Ich sollte zuerst meine Ausbildung zu Ende machen. Meine Ausbildung kotzte mich ebenso an. In erster Linie die Sprüche, der Alkohol und der aggressive Ton meiner Ausbilder mir gegenüber.

Ich kam mit „Flower-Power“ in Kontakt, mit der berühmt berüchtigten Hippiebewegung. Love, Peace & Rock'n'Rol erkor ich zu meiner Lebensmaxime. Und die Gitarre war mit dabei. Wir trafen uns im nahe gelegenen Jugendzentrum und packten die Gitarren aus. Mit dem Blues improvisierten wir die wildesten Sachen. Auf der grünen Wiese ging es dann weiter und unzählige Schlaginstrumente gesellten sich mit dazu. Es gab auch begabte Sänger, Sängerinnen und ganze Chöre, die der Musik eine Stimme gaben, die ganz toll Klang. Es dauerte nicht 2 Jahre, da wurde aus meinem Love, Peace & Rock'n'Rol, Sex, Drugs and Rock'n Roll. Ich stand kurz vor meiner Volljährigkeit und hatte ab meiner Volljährigkeit auf eigenen Beinen zu stehen. Mein Leben entwickelte sich langsam aber stetig zu einem Scherbenhaufen. Ich kam einfach nicht klar. Innerhalb von 2 Jahren hatte ich 2 mal die Lehrstelle und ebenso 2 mal die Wohnheime gewechselt. Ich hatte jedesmal kurz vor der Prüfung die Lehrstelle in den Sand gehauen. Als ich danach die Dritte auch in den Sand gesetzt hatte, zog ich mit meiner Gitarre für mehrere Monate durch die Straßen der Welt. Ich war endlich mein eigener Herr geworden und wollte die Freiheit genießen. Mein Freiheitswunsch zerplatzte wie eine Seifenblase, als ich von den Feldjägern abgeholt wurde und mit zweimonatiger Verspätung meinen Wehrdienst anzutreten hatte. Die Gitarre war mit dabei und bei meinen Ausbildern ein willkommener Gast, die ihren Abend vergoldete. Am Tag paukten sie mit mir in einem grausamen Befehlston das Kompass lesen. Nach zwei Wochen kam ich in den Sanitätsbereich und wiederum nach zwei Wochen wurde ich ausgemustert. Und ich war froh die Bundeswehr als erlegt zu betrachten, allerdings wollte ich nicht weiter auf der Straße leben. Ich entschloss mich für ein Leben ohne Drogen und zog mit meiner Gitarre in eine entsprechende Wohngemeinschaft. Die WG entpuppte sich nicht als drogenfrei. Ich kam in Kontakt zu einem Prediger, der mich aufnahm. Nach vier Wochen wandte ich mich wieder weltlichen Dingen zu und versuchte einen Neustart in meiner alten Welt, der scheiterte.

Ich machte Nägel mit Köpfen und machte einen Drogenentzug. Nach dem ich drei Tage zugedröhnt worden war, wollte ich meinen Entzug ohne Medikament fortsetzen, was meine zuständige Ärztin auch unterstützte. Die Nachtwache wurde nicht informiert und somit erlebte ich einen ernsthaften Konflikt. Ich sollte meine Medikamente einnehmen. Nein sagte ich und der Nachtpfleger kam mit Verstärkung und lachte sich eins. Ich hatte keine Chance und tat willig. Als ich alle Medikamente im Mund hatte bekam ich einen Wutanfall und spuckte dem Pfleger alle eingenommenen Medikamente ins Gesicht. Danach wurde ich in einem Einzelzimmer mit einer „Pissflasche“ zwischen den Beinen fixiert. Die Ärztin fiel aus allen Wolken als sie das Theater mitbekam. Ich bekam meinen kalten Entzug und machte danach eine Drogentherapie. Dort lernte ich einen abgefahrenen Musiker kennen, mit dem ich 9 Monate täglich 3 bis 4 Stunden lang wegen der besonderen Akustik im Badezimmer Musik machte. Er spielte Tabla und Querflöte und war ein fanatischer Jazzfan. Durch ihm kam ich in Kontakt mit Jazz, allerdings spielte Jazz in meinem Gitarrenspiel keine Rolle. Durch die sehr lange Spielpraxis eignete ich mir eine rhythmische Spielweise an. Da waren plötzlich in meinem Gitarrenspiel lateinamerikanische und Flamenco Klänge am klingen. Einfach Geil.

Fortsetzung 3. Teil wird folgen!
 
Das wird ja immer abenteuerlicher:D Aber wirklich interresant zu lesen:great:

Ich freu mich auf Pt.3.
 
Mensch Paule,

Dein Leben sollte man verfilmen. Ich warte mit Spannung auf Teil 3.

Gruß

Andreas
 
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Fortsetzung von Nr.: #227, 231

3. Teil​
Nach dieser tollen Erfahrung stand ich vor der Frage, wie soll es weitergehen? Mir war klar, illegale Drogen kommt nicht mehr in Frage. Ich hatte die Erfahrung mit meiner Gitarre gemacht, dass Musizieren wie eine Droge wirkt, mit der ich zurecht komme. Ich nahm mir vor, Alkohol solange auf Eis zu legen, bis ich auf eigenen Füßen stehe. Mit meinem Musikman ging ich in eine Nachsorge Wohngemeinschaft.

Die WG war neu entstanden und wir waren mit weiteren Zwei Personen, die ersten Klienten. Innerhalb von 2 Wochen fand ich eine Arbeit und in meiner Freizeit machte ich mit meinem Kumpel am Neckar Musik. Es dauerte nur kurze Zeit, da waren wir von "freakigen" Menschen umlagert, die unsere Musik klasse fanden. Es hing Haschisch Duft in der Luft und wir blieben standhaft. Es war nur eine Frage der Zeit bis wir für unsere Freizeitbeschäftigung in der WG Rechenschaft abzulegen hatten. Es folgte ein großes Donnerwetter und wir wurden vor die Konsequenz gestellt, entweder "Kiffer-Musik" am Neckar oder Nachsorge in der WG. Wir entschieden uns für letzteres und in der WG ließen die Donner und Blitze einfach nicht nach. Ich stand drei Monate am Pranger, nebenbei arbeitete ich. Die Nachsorge WG hatte sich inzwischen zu einer Drogentherapieenrichtung entwickelt, weil es keinen "Nachsorge-Nachschub" gab. Das bedeutete, dass neue Mitbewohner direkt nach ihren körperlichen Entzug kamen und zunächst 9 Monate Therapie machten. Selbstverständlich hatte ich keinen Sonderstatus. Ich hatte die Therapie neben meiner Arbeit mitzumachen, wenn ich in der WG bleiben wollte. Eine absolut harte Zeit. Ich tröstete mich mit den Worten, es kann nur besser werden und beschissene Zeitabschnitte gehen auch wieder vorbei.

Es folgte der Tag X wo es um mich und um meine Gitarre ging. Ich wurde massiv beschuldigt meine Gitarre als Ersatzdroge und Ersatzfrau zu benützen. Gegenargumente von mir wurden gnadenlos nieder geschmettert. Sie wurden als Drogenverherrlichung umgedeutet. Ich hatte bis auf weiteres die Finger von meiner Gitarre zu lassen und Therapie machen. In mir brodelte sich alles zusammen, darüber reden konnte ich nicht, mir war Übel und meine Gedanken fraßen mich fast auf. Sie ließen mich nicht einmal auf meiner Arbeit in Ruhe. Ich hatte größte Mühe mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. So beschissen hatte ich mich bisher nicht in meinem Leben gefühlt. In einer stillen Minute überkam mich in meinem Zimmer in der WG ein Wutausbruch. Ich zertrümmerte meine Gitarre und hoffte, dass nun der Spuk vorbei ist. In der nächsten Gruppensitzung kam der Totalschaden, den ich meiner Gitarre angetan hatte zur Sprache. Die Aussage des Therapeuten lautete mit einem süffisanten Lächeln: "Deine Gitarre steht doch für mich, auf den Du eine Wut hast. Warum lässt Du Deine Wut an Deiner Gitarre aus und nicht an mir?" Ich dachte mir Du hast gut reden, wenn ich Dir nicht aus der Hand fresse, setzt Du mich vor die Tür. Es war in der WG inzwischen Gang und Gebe, dass Leute die sich nicht unterordneten ohne Rücksicht auf Verluste rausgeschmissen wurden. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, teilweise hausten wir in der WG mit 40 Leuten, es war aber ausgelegt für 12.

Ich sehnte mich nach dem Tag wo die Therapie endlich zu Ende ist und ich das Haus mit meiner Bezugsgruppe als WG weiter nutzen kann. Der Tag kam dann schneller als ich dachte, inzwischen hatte ich auch einen anerkannten Stand, so dass ich meinen Arbeitsplatz gegen einen neuen eintauschen konnte. Er befand sich im neuen Haus für die Drogentherapie, die ich als Exuser mit entwickelte. Zuvor wurde meine Nachsorgetherapie rückwirkend vom Rentenversicherungsträger anerkannt, so dass mir ein Übergangsgeld von einigen 100 DM zu Gute kam. Das Geld investierte ich in die Renovierung meines Zimmers und in eine, ratet mal, neue GITARRE!

Meinen Start in ein eigenständiges Leben stand nichts mehr im Weg. Meine Tätigkeit in der Drogentherapie machte mir sehr viel Spaß, obwohl sie auch anstrengend war. Mir wurde die Ehre zuteil, dass ich z.B. Psychologen und sonstiges professionelles Personal einzuarbeiten hatte. Wenn es sich ergab brachte ich meine Gitarre zur Arbeit mit und machte mit den Klienten Musik. Es war nicht selten, da grölten 60 Leute, "Mamor Stein und Eisen bricht" und ich begleitete sie auf der Gitarre. Meine Spezialität war Text und Musik so zu verändern, dass man darüber Lachen konnte und gleichzeitig dazu angespornt wurde, einen neuen Text zu kreieren. Die wurden dann zum Besten gegeben und plötzlich erklangen in veränderter Form Kinderlieder oder weitere Schlagertexte, die mit Herz und Seele gesungen wurden und dem Raum eine bezaubernde Atmosphäre gaben. Musik verzaubert, motiviert und schafft Freude und Frieden.

Fortsetzung 4. Teil folgt!
 
Fortsetzung von Nr.: #227, 231, 234

4. Teil​

Ich lebte mit 11 Personen meiner Bezugsgruppe weiterhin in der WG. Innerhalb eines Jahres schrumpfte sie auf 4 Personen zusammen. Mit meinem Musikus und einem Pärchen zogen wir in ein kleineres Haus auf dem Lande. Mein Musikus fing ausgerechnet ein "Tächtelmächtel" mit der einzigen Frau unsrer Mini-WG an, die in festen Händen und Mutter süßer Zwillinge war. Das Haus hatte sich somit erledigt. Mein Musikus bekam ein neues Arbeitsfeld und ich machte einen Neustart mit dem Zwillingspärchen. Das war auch von kurzer Dauer, weil die Zwillingsmama wieder auf Männerfang ging und ihr Mann ausflippte. Er griff zur Flasche und wollte den Liebhaber eines Nachts angreifen, wo ich dazwischen ging. Das war dann auch das Ende vom Lied. Ich war übrig geblieben.

Ich zog wieder in eine WG und lernte meine Frau dort kennen. Eine ehemals drogenabhängige und eine begnadete Flötistin mit der ich, solange es zwischen uns stimmte, gute Musik machen konnte. Es ergab sich, dass ich meinen Arbeitsplatz wechseln konnte, um in Norddeutschland eine Therapieeinrichtung mit aufzubauen. Den Leiter der Einrichtung kannte aus meiner Nachsorgezeit. Er war dort als studentische Hilfskraft eingesetzt. Nach seinem Studium ging er in den Norden. Mit unguten Gefühl nahm ich meine Freundin mit ihren kleinen Sohn mit in den Norden. Wir heirateten und haben einen gemeinsamen Sohn. Ich arbeitete in der Drogentherapie, sie machte ihr Abitur und ich bestand die Nichtabiturientenpüfung (NAP). Die NAP ermöglichte mir eine berufsbegleitende Erzieherausbildung erfolgreich abzuschließen. Nach vier Jahren Katastrophenehe trennten sich dann unsre Wege und die Ehe wurde geschieden. Ich brauchte einige Jahre um die zerbrochene Ehe zu verdauen, obwohl ich die Trennung forciert hatte. Was mir blieb waren die beiden Jungs und sie verschwand in die esoterische Psychoszene. Auf meiner Arbeit entstanden Leitungskämpfe, die mir nicht in den Kram passten.

Mit zwei Balgen am Hals und einer unzufriedenen Arbeit entschied ich mich für ein Psychologiestudium. Dort lernte ich einen Kommilitonen kennen, mit dem ich mich auf Anhieb gut verstand. Wir fanden ein Haus und zogen zusammen. Er brachte seine Freundin und ihren gemeinsamen Sohn mit. Ich meine beiden Balgen. Er war ein Musikliebhaber und spielte sogar ein wenig Gitarre. Unsre Mini-WG bestand solange wie wir gemeinsam studierten. Immerhin 4 Jahre. Dann verschlug es mich in die esoterische Psycho-Szene. Ich entdeckte esoterische Musik zu spielen. Das gelang mir vorzüglich mit einem Pianisten. Außerdem hatte ich meine brutale Drogentherapie aufzuarbeiten. Das kostete Geld.

Für ca. 5 Monate zog ich mit meinen Kindern in eine esoterische 12 er WG. Meine Exfrau zog mit, das war auch gut so. Ich konnte mit ihr klären, dass sie die Verantwortung für ihren großen Sohn übernimmt und ich die, wie gehabt, für unseren gemeinsamen Sohn. Danach kümmerte ich mich um eine Arbeitsstelle, die ich wieder in Süddeutschland fand. Ich übernahm in einer Drogentherapieeinrichtung eine Urlaubsvertretung aus der eine Vollzeitstelle wurden. Den Leiter der Einrichtung kannte ich aus meiner Nachsorgezeit. Ich zog mit meinem Sohn dahin. Seit vier Jahren mal wieder anständiges Geld verdienen und Schuldenfrei zu werden, war ein geiles Gefühl.

Innerhalb kurzer Zeit zog ich mit einer Frau zusammen, die mich sehr liebte, ich sie aber nicht. Und trotzdem haben wir zwei Kinder zusammen, die allerdings bei ihr leben. Das zu zerlegen geht völlig am Thema vorbei, ich stehe zu meinen Kindern, habe auch einen sehr guten Kontakt zu ihnen und das trumherrum ist eine Verrücktheit mehr in meinem Leben. Wir mieteten ein großes Haus, aus dem ein Esoterik-Tempel entstehen sollte. In dieser Zeit entdeckte ich den Tanz, Tanz ist eine Markenzeichen der Esoterik-Szene. Ich machte eine berufsbegleitende Tanzausbildung und fühlte mich als einzigster Mann sehr wohl dabei. Es ging auch um die Psyche. Mit zu bekommen, dass ich eine positive Ausstrahlung habe, tat meiner Männerseele sehr gut. Bei aller Verrücktheit, half mir der Tanz, mein bisheriges Frauenbild zu verändern. Als nächstes beteiligte ich mich an einer Tantra-Jahresgruppe. Dort wurde ich auch gefeiert, aber in meinem tiefsten Innern blieb ich unglücklich. I

Inzwischen hatte ich mich von meiner Arbeit in der Drogenhilfe verabschiedet, weil sie mir mit Kindern einfach zu viel wurde. Ich brauchte eine Teilzeitstelle, die fand ich in der Behindertenhilfe. Zu Guter Letzt wurde mir meine gesamte Lebens- und Wohnsituation zu viel. Das Hin und Her rennen zwischen Beruf und Kindern, mit deren Mutter ich in einem Haus getrennt lebte, brachte mich an meine Grenzen. Ich wollte so nicht weiter leben und machte wieder einmal Nägel mit Köpfen. Meine Krankenkasse finanzierte mir eine 9-monatige stationäre Psychotherapie, die ich wirklich sinnvoll für mich nutzen konnte. Es war eine Therapie, wo Musik und Tanz eine große Bedeutung hatten. Was neu für mich war, dass über das Geschehene gesprochen wurde. Es war insgesamt eine sehr gründliche Angelegenheit, die ich da durch machte. Meine Esoterik-Psychotherapie Erfahrung war im Grunde genommen kontraproduktiv für mich. Ich beteiligte mich an Musik- und Tanzimprovisationen, die vom feinsten waren. Meine Gitarre war ein Instrument unter vielen. Ich lernte mit simplen Klopfrhythmen am, auf und unter dem Klavier, auf dem Boden, an der Gitarre, eigentlich alles was einen Ton von sich gab, ein Konzert zu entfachen, woran sich bis zu 30 Personen als Akteure erfreuen konnten. Insgesamt bekam ich Klarheit in meine Verrücktheit. Ich trennte mich räumlich von meinen Kindern, löste meinen Haushalt komplett auf und fing bei Null ein neues Leben in Norddeutschland an. In der Behindertenhilfe fand ich einen anspruchsvollen Arbeitsplatz, den ich bis heute noch zufriedenstellend ausübe.

Ich habe erneut eine ukrainische Staatsbürgerin geheiratet, mit der ich seit über einem Jahrzehnt glücklich verheiratet bin. Sie ist eine bezaubernde Tänzerin. Wir haben eine gemeinsame Tochter, die ich vor Jahren adoptiert habe. Sie ist inzwischen verheiratet und ich bin Opa! Dem Enkel gefällt meine Musik. Meine Frau hat mir im vergangenen Jahr einen Akustik Marshall Verstärker geschenkt, nach dem ich mir eine neue Gitarre mit Tonabnehmer gönnte.

Musik mit behinderten Menschen zu machen ist meine Spezialität, die sehr viel Spaß macht und aus traurigen Minen, lachende Gesichter macht.

Ich hoffe es wurde deutlich, was für einen Stellenwert meine Gitarre für mich hat. Sie ermöglichte mir ein 2. Leben und ist seit dem mein ständiger Begleiter bis heute geblieben!

Entschuldigt, dass Ihr soviel lesen müsst. Für mich hat sich das Schreiben jedenfalls gelohnt. In dieser Sichtweise habe ich mein Leben noch nie durchleuchtet. Die Gitarre spielt in meinem Leben nun mal eine große Rolle, obwohl ich keine professionelle Musik mache. Sowas gibt es auch!!!!

E N D E​
 
es gibt keine worte die so eine unfassbare geschichte ausreichend kommentieren können. daher ziehe ich meinen hut und schweige.
 
Mein lieber Herr "Gesangsverein", was eine fesselnde Story in 4 Bänden:)!!

Einige Parallelen erkenne ich zu mir und doch ist es eine ganz andere Geschichte, Deine Geschichte!

Vielen Dank für dieses hochinteressante Paradebeispiel an Offenheit und Ehrlichkeit! Diese Geschichte in ihrer Eigenheit erschließt mir nochmal ganz andere Dimensionen. Bin fast sprachlos! ;)

lg, Axel
 
Ich danke Dir für diesen Beitrag und wünsche mir, daß viel mehr Menschen so ehrlich und aufrichtig sind wie Du!

Mit musikalischem Gruß, Jens
 
Unglaublich.

Unglaublich 'schön' (wenn ich ich es so ausdrücken darf), dass du das erzählt hast.
Ich war egtl. auf dem Weg ins Bett, jedoch hat mich deine Geschichte unheimlich gefesselt.

Ich möchte natürlich in keinerlei Hinsicht dein Leben "bewerten" (ohje, wie das klingt), ich erlaube mir lediglich es (so wie es oben steht) zu kommentieren.
Und zwar finde ich es unwahrscheinlich interessant, was du als geschiedener Mann, mehrfacher Vater, der augenscheinlich viel durchgemacht hat, doch an einem Gerät aus Holz und Metall findest.
Es ist toll zu erfahren, wie dich diese Leidenschaft durch das Leben 'boxt'.
Besser gesagt, wie dir diese Leidenschaft hilft, dich durchzuboxen und auch die schwierigsten Zeiten zu überstehen.

Das macht Mut. :)

Auch Mut mal über den Tellerrand hinaus zu schauen. Sprich, nicht nur daran zu denken, wie toll das nächste Riff klingt, wie viel Gage man beim nächsten Gig kriegt oder wie hoch der Preis für die nächste Gitarre sein kann/muss(!), sondern es auch einfach mal zu genießen, abends zu Hause oder sonst wo, alleine oder mit Freunden, zu sitzen und nur Musik zu machen.

Schönes Gefühl.

Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft in deinem Leben mit Familie, Arbeitsplatz und der Musik.

Mit herzlichen Grüßen, Dominik a.k.a. fruchtquark



PS: Seh' ich das richtig, dass du die ersten Jahre lediglich eine Gitarre besessen hast? Also jene, die du von deiner Pflegetante geschenkt bekommen hast und später dann zertrümmert hast? Wieviele Jahre waren das nochmal genau? Ist meiner Meinung nach (für die heutige Zeit) ungewöhnlich.
Also nicht das Zerstören (obwohl, das auch ;) ) sondern, das "so-lange-nur-eine-Gitarre-besitzen".
 

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