Hier ein finde ich interessanter Bericht aus Spiegel Online zum Finale
"Deutschland sucht den Superstar"
Der Brave schlägt den Wilden
Von Christoph Twickel
Fotostrecke: 17 Bilder
DPA
Am Ende war es eine knappe Entscheidung: Mit 56,4 Prozent der Stimmen kürten Fernsehzuschauer Mehrzad Marashi zum Gewinner von "Deutschland sucht den Superstar". RTL inszienierte das Finale zu einem schwülstigen Duell. Dem Verlierer blieb immerhin die Versöhnung mit seiner Mutter.
Wohl noch nie wurde im deutschen Fernsehen das erregungsbedingte Aufrichten der Körperbehaarung so exzessiv herbeigeredet wie in diesen anderthalb Stunden. "Ich hab hier wirklich einen Gänsehautanfall nach dem anderen", "Meine Haare haben sich aufgestellt", "Voll die Gänsehaut": Nach jeder Kostprobe der, na klar, beeindruckenden Stimmen der beiden Finalisten bei "Deutschland sucht den Superstar" erging sich die Jury um Dieter Bohlen wieder in Erschauder-Bekenntnissen.
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Aber natürlich wäre DSDS nicht DSDS, wenn es hier bloß um die Sanges- und Bühnenperformance ginge. Nein, auf RTL sucht Deutschland nicht die besten Sänger, sondern die besten Lebens-Performer. Und in dieser Hinsicht liefern Menowin Fröhlich, 22 Jahre, und Mehrzad Marashi, 29 Jahre, tatsächlich erstklassigen Stoff für eine möglichst krass-authentische Lebensweg-Show.
Auf der einen Seite Mehrzhad, Typ Xavier Naidoo: Als Kind mit seinen Eltern auf der Flucht vor dem ersten Golfkrieg von Iran nach Deutschland gekommen, mit Klavier- und Gesangsstunden gepäppelt, nach mehreren Anläufen als R'n'B-Sänger von Warner fallengelassen. Pleite, aber ein guter Familienvater. Letzter Ausweg DSDS. Dieses Mal will er es schaffen.
"Großes Finale der Erzfeinde"
Auf der anderen Seite Menowin, Typ Mick Hucknall: Gezeichnet, aus zerrütteten Familienverhältnissen, kraftstrotzend, war schon mal Kandidat, wurde aber ausgemustert wegen eines Gerichtsurteils: zwei Jahre Knast wegen schwerer Körperverletzung. Drei Kinder und bis vor kurzem auf Hartz IV. "Ich hab in meinem Leben schon so viel gelitten. So viel Scheiße gebaut und so viel Leute enttäuscht", erklärt der Sommerspross mit dem verletzten Blick in einem der unzähligen Einspielfilme. "Jetzt will ich einfach nur alles richtig machen."
Zweimal letzte Chance, zweimal unbedingter Kampfes- und Siegeswille, ein Paulus und ein Saulus: Natürlich ließ sich DSDS nicht entgehen, den Rohstoff dieser beiden Vitae zu einem möglichst krassen Gegensatzpaar hochzupimpen. Am Strand in der Dom-Rep sind die beiden noch echt gute Kumpel und trällern gemeinsam "A la la la la long". Dann aber werden sie zu erbitterten Konkurrenten.
Damit das "große Finale der Erzfeinde" auch so aussieht, sitzen sie in den Pausen immer möglich muffelig und abgewandt nebeneinander. Warum sie sich nicht abkönnen? Menowin, die White-Trash-Nachtigall, kommt zum Beispiel zu den Endproben viel zu spät. Mehrzhad, der Vorzeigemigrant, mahnt deutsche Tugenden an: Die ganze Crew müsse jetzt warten, wegen dem, dabei "haben die auch Familien".
Die Mama entschuldigt sich
Ersatzjurorin Sylvie van der Vaart, die für die im isländischen Vulkanstaub hängengebliebene Nina Eichinger einsprang, findet es "toll", dass Mehrzad "eine Familie hat". Menowin ist es "scheißegal, was der über mich erzählt", aber natürlich hat er auch eine Familie.
Marco Schreyl, der Moderator, nimmt sich die Mutter vor, zu der Menowin vor Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. "Der Menowin, der hat kein gutes Leben gehabt" erklärt sie und entschuldigt sich für das "was ich dir angetan habe." Na, geht da vielleicht doch noch was in Sachen Mama und Menowin? Dauergrinser Schreyl drängelt dem Kandidaten ein "Entschuldigung angenommen" ab. Tosender Applaus.
So läuft das hier. Der ungeschützte Instant-Seelenstriptease gehört zu DSDS einfach dazu. Zu zwei so "absolut krassen Finaltypen" (Bohlen) muss man eben auch den emotionalen Ausnahmezustand ins Krasse treiben. Mehrzad, der gute Hirte, singt Lionel Richies Schnulze "Endless Love" vor brennenden Herzen und nur für Denise, die Mutter seinen Sohnes, der er auch bereits vor laufenden Kameras einen Heiratsantrag gemacht hat.
Er will "das Pipi in den Augen" sehen
Um Menowin, das Problemkind, tanzen Mädchen im weißen Kleid, während er Dionne Warwicks "That's What Friends Are For" interpretiert. Immer dieser flackernde Blick. "Bild"-Zeitungs-Leser wissen: Es könnte die Angst vor den UnterhaltszahlunGen sein, die die Mutter seiner Kinder einfordert. "Ich sing mir jetzt einfach den ganzen Schmerz von der Seele" erklärt er. Die DSDS-Familie als familientherapeutisches Erlebnis.
Mehrzad will "das Pipi in euren Augen" sehen. "Hier wird viel von Gänsehaut geredet" erklärt er vor seinem letzten Titel. "Aber heute werden die Leute weinen. Ich hab hart gearbeitet." Aller harten Arbeit zum Trotz geben Bohlen, van der Vaart und der dritte Moderator Volker "Megamäßig" Neumüller am Ende dem probenfaulen Menowin den Vorzug. Vielleicht weil der dem von Bohlen selbstkomponierten Siegerstück - der musikalische Tiefpunkt des Abends - etwas mehr Seele abquälen konnte.
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Nicht so das Publikum, und das entscheidet ja bei DSDS. Nach vielen, vielen Einspielern, endlosen Crescendi, Lichtsäulen, Bekenntnissen, Beschwörungen, Publikumsgejohle, Telefonnummerneinblendungen und ähnlichem Tamtam, mit dem RTL das Finale durch möglich viele Werbepausen quält, ist es dann endlich so weit. Denkt man.
Zwei Underdogs
Doch dann muss Schreyl, für die, die's immer noch nicht kapiert haben, noch mal gefühlte zehn Minuten lang die Message verkünden. "Ihr lebt beide in bescheidenen Verhältnissen" ruft er den Kandidaten ins Gedächnis und verspricht in pastoralem Ton ein "komplett neues Leben": "Ein Leben in der Kategorie Fünf Sterne Deluxe." Aber nur für den Gewinner natürlich: "Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten."
Zwei Underdogs, nur einer kann gewinnen. Am Ende "voten" 56,4 Prozent für Mehrzad. Deutschland - wie sollte es anders sein - entscheidet sich für den braven Sanften. Der wilde Schmerzensreiche bleibt auf der Strecke. Ein Loch tut sich auf und verschlingt ihn. Quatsch, natürlich. Stattdessen schießt ein bisschen Pipi in die Augen, der Sieger nimmt den Verlierer in die Arme und erklärt: "Ich mach mir gar keine Sorgen um seine Zukunft." Das Leben geht weiter. Und Bohlen fährt in den Urlaub: "Ist mir alles scheißegal!"