Hallo,
Den von
@FerdinandK gesehenen Sachverhalt, durch Funk, Fernsehen und moderne Aufzeichungstechnik sei viel Gesangstechnik verlorengegangen, sehe ich - aus Sicht des Recordisten (ich nehme viel Klassik auf) - nicht. Ganz im Gegenteil hört man schlechte Gesangstechnik um so eher, je besser die Mikrofonierung ist
Man kann nicht alles in der Bearbeitung "weghübschen"
Nicht schlechtere vs. bessere mikrofonierung. Sänger aus der zeit der geposteten videos kannten eine zeit ohne mikrofone, haben so trainiert und praktiziert - anfangs ausschließlich. Und deren direkte vorbilder kannten keine mikros und hatten eine dadurch unausweichliche technik.
Zeiten ohne mikrofonieren, vs. zeiten, in denen die sänger anfingen, von richtung eines gesangs, das lautem, vollstimmigem bühnensprechen ähnelt, in richtung nur mit mikro möglichen säuselgesang überzugehen.
Solche konzerte und studioaufnahmen mit individualmikrofonen erlauben schlechtere technik, die aber gut genug klingen kann. Man kann in einem gewissen rahmen opern-artigen klang imitieren, ohne dass das auf der bühne ohne verstärkung bestand haben müsste. Und bei schrecklichen hohen tönen (die eben mit der technik nicht gut gehen) drücken leute von heute, die noch in die oper gehen, wohl das ein oder andere auge oder ohr zu, "is halt schwierig" oderso.
Ohne mikrofon kann man sich keine technik leisten, die nicht das maximum an "tragender" spektraler focussierung herausholt - bei gleichzeitig kräftigem "grundantrieb".
Natürlich sind so auch neue stile entstanden und wie leute gern mit neuem aufregenden zeug spielen, haben das auch klassische sänger getan.
Opernsänger von heute kommen mir vor wie kopien von kopien von kopien ... nicht mehr viel übrig.
Ich hab mal die bequeme(?) hypothese gehört, dass sänger vor 50...100 jahren gar nicht besser klangen, sondern das wegen der schlechteren aufnahmetechnik nur so scheine, man höre die makel nicht. (wo "besser" definiert sei als: vollstimmiger, ohne rumquetschen in der höhe, stattdessen reichlich squillo bei weitestmöglich offenem vokaltrakt, wo der "boden" des klangs eben nicht verloren geht am oberen ende)
Bei Caruso* um 1900 könnte man das geltend machen. Spätestens ab den 1940ern wird es zunehmend unglaubwürdig, aufgrund der elektronischen entwicklung als auch der aufnahmetechniken (audio engineering), des wissens, wie man sachen aufbauen und einstellen muss, die etablierung von gängigen techniken und vorgehensweisen vs. "auf gut glück" in der anfangszeit, mit oft unnötig schlechten ergebnissen**. Es gibt aber sänger bis in die 70er, teilw. 80er und sehr vereinzelt 90er hinein, die "so" klangen. Hypothese nicht abgekauft.
Wichtig zu bemerken ist, dass es um
tendenzen geht. Weder jede aufnahme eines
tendenziell guten sängers, und noch weniger jede aufnahme einer tendenziell "besseren epoche" ist automatisch ein perfektes beispiel.
Wenn leute beispiele nennen, gerade solche, die sich nicht viel mit technik befasst haben und trends und deren verschieben über längere zeit, dann ist das natürlich oft einfach nur ein subjektiver liebling, den man dann herzerfreut in die "bessere zeit" einordnen kann und auf den damit dessen ruf abfärben soll.
Rudolf Schock ist z.b. kein stellares beispiel, wobei der auch bessere, und schlechtere, aufnahmen hat
Ich hör mir lieber schlechtere tage von Slezak, Völker, Patzak, Wunderlich, Martinelli, Masini, Pertile an als bessere von Knödelkaufmann, Näselflorez oder Pressvillazon. Brownlee wird nach oben hin sehr dünn und luftig. (ja die haben auch mal nett klingende passagen, aber man muss nicht lang warten, bis einem vom zuhören wieder was wehtut) Oder Jerome Hines oder N.Ghiaurov vs. vmtl. jeden heute sog. Bass.
Auch der genannte Corelli, schon etwas später als die obigen, ist nicht übel - dann gab es seinen zeitgenossen R.Tucker, ähnliche kerbe, in gewissem rahmen auch nicht schlechte technik v.a. vs. heute - aber der wäre, trotz der "noch eben so goldenen ära" nicht das beste beispiel weil er seinen hals so komisch eng schnürte, enger als nötig jedenfalls, und das hat man deutlich als störende einfärbung gehört. Weiterer zeitgenosse J.Vickers war noch etwas schlimmer. L.Price, auch gern Corelli's gegenpart, war oft schrecklich hauchig und undeutlich. L.Warren ein muffelheini mit ner socke im hals.
J.Björling (dessen Timbre ich fan bin) - kleines stimmchen, kaum zu hören, wenn das orchester auch was macht. (1939 Trovatore, wo er vmtl noch kein alkoholproblem hatte, mag vllt. wirklich so gut sein)
Pavarotti war am anfang sehr gut, aber das verhielt sich dann scheinbar umgekehrt proportional zur masse. Das war ende 80er, 90er immer weniger offen und bekam so einen "reibigen" klang (was Brownlee immer hatte).
Wenn also jmd. ein Pavarotti video aus der "Three Tenors" era postet, mit dem gedanken, ein beispiel von besseren zeiten zu posten wegen des großen namens, hat sich reichlich vertan
Oder Di Stefano nach 1949 oderso...
Die essenz jedoch, die das "früher war nicht alles gut" camp gern übersieht:
Heute gibt es unter den großen namen keinen einzigen mehr mit annähernd der technik der besten aus vergangenen tagen.
So einfach ist das. Damit zerfällt dieser ablenkungsversuch vor den augen des aufmerksamen
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* Ich machte mir mal den spaß, einen filter zu basteln, der den frequenzgang einer Victor "Victrola" (mechanischer Schellack aka 78 RPM plattenspieler) nachempfindet (angenähert anhand von mit entspr. laborzubehör ausgestatteten victrola fans bzw. deren veröffentlichungen). Und dort aktuelle sänger, gehypte stars, die ich grausig finde, durchgejagt. (haha das wäre witzig - nein, nur dessen aufnahmen, natürlich)
Kurzgesagt, klang das freilich immer noch grausig. Auch mein eigener suboptimaler gesang war nicht auf einmal supertoll *g*
Man konnte allerdings aspiration durch ungenügenden stimmbandschuss nicht so gut hören, wenn der obere teil der übertragungskurve so arg beschnitten war wie bei den ersten Victrolas - also ein bisschen kann man damit schon bestimmte sorten von makeln kaschieren. Aber nicht super effektiv. Wenn man genau hinhört, sind die probleme nicht einfach weg.
** Apropos unnötig schlecht: Die ersten aufnahme- und wiedergabegeräte waren durch zusammenfummeln, ohne theoretisches grundwerk, entstanden, daher waren geräte im ca. 1. jahrzehnt des 20. jahrhunderts, was wiedergabetreue betraf, tatäschlich "unter aller sau"
Ich weiß nicht, wieviel aufwand in die restauration von aufnahmen von z.b. Caruso gesteckt wurde. Wenn man genug material hat, das mit baugleichen geräten aufgenommen wurde, müsste man dessen spektrumsverbiegungen grob herausrechnen und kompensieren können - oder noch besser, wenn man welche von den geräten hat und vermessen kann.
Zumal leute sich auch nicht vorstellen sollten, dass Caruso von der CD so falsch klingt wie von einer Victrola mit schalltrichter wiedergegeben, also mehrfach verfälscht.