Ich hätte das nie für möglich gehalten, aber seit ein paar Tagen rüttelt ein Diezel Hagen an den Grundmauern meines Wohnhauses.
Eigentlich bin ich seit jeher im Vintage-Segment sozialisiert worden. Alte Bassmans, Vibroluxes, Twins, JCMs, JMPs, Jim Kelleys, Guytrons, AC30s undundund...ich hab ja schon so einiges mein Eigen nennen dürfen, aber einen Diezel hatte ich nie auf der Liste. Als ich mal durch ein Inserat eines Earforce Two auf den Trichter gekommen bin, einen Metalamp haben zu wollen, hab ich mit Gemach nach so einem Teil ausschau gehalten. Es sollte gar kein Alleskönner sein, sondern einfach fett losbraten können und nen passablen Cleansound abliefern können. Der Earforce ist es dann aber doch nicht geworden.
Dass es letztlich ein Hagen geworden ist, war purer Zufall. Nachdem ich die wenigen gute YT-VIdeos rauf und runter geklickt habe, war ich zunächst etwas skeptisch. Kling der Cleansound wirklich so HiFi, wie ihn manche beschreiben? Ist der Crunchsound dynamisch genug? Kann der Hagen nur HiGain?
Was soll ich sagen? Der Cleansound ist eine absolute Wucht. Der schiebt des Twin auf seinen Rollen direkt in den Postausgang. Warm, rund und trotzdem direkt ohne rumzueiern. HiFi? Nur, wenn du damit ne CD aufnimmst und dann über ne Bose-Anlage abspielst.
Der 2. Kanal war eine echte Überraschung. Hier lag meine größte Sorge begraben: Was kann der Hagen zwischen ultraclean und DEM 3. Kanal? Antwort: viel mehr als man glaubt. Auf den Videos dieser YT-Welt klingt der 2. Kanal immer irgendwie nach heißem JCM800, aber mit einer Strat oder auch einer Paula (mit niederohmigen PU's) kann der auch richtig losschmatzen. Nein, ein Plexi wird da nie rauskommen, aber ich kenne KEINEN Mehrkanaler, der auf einem Kanal wie ein Plexi klingen kann. Es bleibt also weiterhin so: Willst du nen Plexisound, kauf dir nen Plexi. Der 2. Kanal ist sehr dynamisch. Der Pickanschlag lässt hier von schmelz bis heiß alles zu. Für das, was der Hagen in dem Kanal abliefert, bauen andere einen einzelnen Amp und verkaufen den für nen 4-stelligen Boutique-Preis.
Der 3. Kanal ist wohl der oberamtliche Diezelsound. Da ich bisher keinen Diezel gespielt habe, war der Sound für mich natürlich auch neu. Auch hier spielt der Anschlag und die angestöpselte Gitarre eine große Rolle. Ein heißer Marshall mit ner Schippe HiGain Boogie trifft es aus meiner Sicht ganz gut. Der Kanal löst wunderbar offene Akkorde auf, kann einen breiten aber trotzdem stets definierten Rhythm-Teppich ausrollen und ist fett und direkt.
Über Spielfehler mogelt der Hagen in dem Kanal aber leicht hinweg. Den Ein-Finger-Powerchorder wird's freuen. Ein detailverliebter Bonamassa-Blueser wird hier möglicherweise eher argwöhnisch. Der Diezel ist aber trotzdem kein Schönfärber! HiGain-Teppiche haben vermutlich alle mehr oder weniger die Eigenschaft, einzelne Fussel glattzustreichen. Oder wohl eher gnadenlos umzunieten!
Der 4. Kanal ist die Gainschippe on Top! Hier würde ich den meisten Reviewern Recht geben und behaupten, dass es der 3. Kanal für Leadpassagen ist. Hier wird die Presence etwas und der Gain noch deutlicher angehoben. Ich fand, dass Powerchords hier nicht die gleiche Dichte entwickelt haben, wie im 3. Kanal. Aber das kann auch daran liegen, dass ich bislang auf dem Metalsektor wenig aktiv war und mir auch etwas die Übung und das Gehör fehlt.
Ich hab natürlich auch gleich die Südstaatentauglichkeit des Hagen gecheckt und meinen Okko Diablo und den Banzai Fireball III vor den 1. und 2. Kanal gehängt. Den Diablo mag er irgendwie nicht. Zumindest nicht in den Einstellungen mit denen ich sonst meine alten Einkanaler befeuere. Der Fireball hat ja eh mehr Boostereigenschaften als der Diablo und kommt daher besser mit dem Hagen zurecht.
Offengestanden ist ein OD, sei es als Booster oder als OD, beim Hagen vollkommene Stromverschwendung. Dafür deckt der Amp einfach zu viele Facetten von allein ab.Maximal könnte der Hagen ein Delay oder ein Reverb im Loop vertragen, aber das war's dann auch schon.
Achso: mein Hagen wurde im Auftrag des Vorbesitzers von Peter Diezel persönlich mit KT77 bestückt.
Mit Boxen hab ich auch schon ein wenig rumprobiert. Wie nicht anders zu erwarten, macht die Mesa Thiele mit EV-Speaker eine gute Figur, aber es fehlt das Quäntchen, um bei mir die Augenbrauen vor Respekt zu liften. Die 2x12 Harley Benton Vintage (anstelle der V30 hier auch mit 2x EV12L bestückt) klang gar nicht. Die Mittennase, die die Box vermittelt, passt nicht zum Hagen.
Eine Offenbarung ist die 4x12 Tube Thomsen mit V30 Speaker. Und ein wahrer Ohrenschmaus ist die Kombi: Hagen + Thomsen Box + ne alte Orange 4x12 mit Blackbacks. Der Schallpegel flötet dir die Schuppen aus den Locken, wie es sonst nur 300 Flaschen Head&Shoulders schaffen würden.
Ich mag den Hagen. Er ist trotz der viele Knöppe intuitiv bedienbar und bietet eine enorme Bandbreite an Sounds. Jeder einzelne Regler tut nicht nur was er soll, sondern lässt extrem viele Facetten an Sounds zu. Wenn ich da an manche Mesas oder auch den Vox AC30 denke, die im Grunde nur 3 An/Aus-Schalter in der Klangregelung haben, wird man hier von Peters Klangregelungshappen wahrlich verwöhnt.
Wer einen Diezel kauft, hat nicht nur lange gespart, sondern auch hohe Erwartungen. Obwohl ich bei unbekannten Dingen eher mit niedrigen Erwartungen herangehe, wollte auch ich wissen, ob die Lobhudelleien in den zahlreichen "Fach-Reviews" nur Marketingsprech waren, oder ob hier Musiker über ein Musikergerät gesprochen haben. Glücklicherweise ist zweiteres der Fall. Sogar ein Nicht-Musiker würde bei diesem Diezel erkennen, dass er es hier mit einem ernsthaften und bis ins letzte Detail durchdachten Arbeitsgerät zu tun hat.
Gute Arbeit, Peter Diezel!