Aber auch nicht alles.
Ich stell mir gerade den Gig damals in Rahlstedt vor, wo die Locals auf uns absolut unvorbereitet waren. Die hatten ja den Rider erst seit dem Tag vorm Gig, den hatten sie von mir, weil ich da mal vorbeigeguckt hatte, und den hatten sie sich trotzdem bis dahin nicht ein einziges Mal angesehen und rechneten wahrscheinlich mit b/dr/g/g/voc-Einheitsbrei.
Jetzt stell ich mir vor, der Toni hätte z. B. von mir verlangt, ich soll von vier Synths (2 Keyboards + 2 Racksynths) von jetzt auf gleich auf genau einen reduzieren, weil er noch nie jemanden mit Submixer hatte, geschweige denn mit derart vielen Synths, und sowohl einen Submix als auch 8 Key-Signale verweigert hätte. Da wär ich handlungsunfähig gewesen. Ich hatte ja nicht nur vier, fünf Einzelsounds, die ich auch spontan von einem Keyboard hätte spielen können, sondern ein ultrakomplex durchprogrammiertes System, mit dem ich in den zwei Stunden wohl über 50 verschiedene Sounds abgebrannt hab.
Wir waren ja auch die erste Band, die der Toni hatte, mit mehr als einem Keyboarder. Jetzt stell ich mir vor, er hätte sich dagegen geweigert und auch aus Platzgründen* gefordert, daß nur mein leadsingender Kollege seine Keys aufbaut oder womöglich auch davon nur eins, weil er in unserer Preisklasse auch nicht mit mehr als einem Keyboard auf der Bühne gerechnet hätte.
Im Prinzip hätten wir nach Hause fahren können.
*Weil keine Sau vorher den Rider gesehen hatte, war meine Ecke neben dem Drummer mit Cases und anderem Kram so zugemüllt, daß ich da nicht aufbauen konnte, weil kein Platz mehr war. Also mußten wir spiegelverkehrt aufbauen, ich stand vorm Bühnenzugang, und die Locals haben Zeter und Mordio geschrieen, weil unsere Aufstellung nicht mehr dem Rider entsprach.
Das Problem ist ja dass die Band niemals ihr eigenes Spiel vom Platz der Besucher hören kann. Man kann ja nicht zeitgleich spielen und durch den Raum laufen.
Kann man mit Einschränkungen schon.
Mit einem Wireless-Mikro oder einen Wireless-Sender für Gitarre oder Baß kann man von relativ kleinen Musikkaschemmen- oder Stadtfestbühnen mal eben runter in den Publikumsraum oder ins Publikum. Hat unser Leadsänger gemacht, hat unsere Sängerin gemacht, hat vor allem unser Bassist gemacht, der auch fürs Abmischen mitzuständig ist. Beim Bassisten sieht es natürlich doof aus, wenn er während des Gig ins Publikum geht, außer er heißt Mark King, Verdine White, Paul McCartney oder Lemmy Kilmister.
Wenn man dagegen so eine Größenordnung spielt wie Wacken oder Hurricane oder Coachella oder
<Sponsor hier einsetzen> Arena, wo man zwei Gehminuten von der Bühne durch den Backstage in den Publikumsraum hat, dann geht das natürlich nicht mehr so leicht.
Klar kann man richtig auf die Schnauze fallen, wenn man dem falschen vertraut. Ich persönlich habe aber die Erfahrung gemacht, das man dem Typen an den Fadern schon vertrauen kann.
Das ist bei jedem so in unserer Band. Ich hab aber auch mantramäßig gebetet, das man den Monitorsound NICHT mit dem FoH Sound gleichsetzen kann. Sind ja auch vom nutzen her komplett unterschiedlich. Mittlerweile ist das angekommen und verfestigt. Wenn wir also irgendwo spielen, ist uns nur der Monitorsound wichtig, beim FoH Sound lassen wir den Toni machen.
Das Risiko dabei ist, daß man z. B. als stark tastenlastige Band, wo die Gitarre nur eine untergeordnete Rolle spielt, einen Toni kriegt, der nur Gitarrenmusik ab Anfang der 90er kennt, also mit Wummerbaß, Bratgitarre und fast unhörbaren Keys, und der einen dann nach vorne raus so abmischt, wie er das kennt. Über die Monitore hörst du dann nicht, was der Toni sich für eine Scheiße zusammenmischt.
Und wenn der Toni meint, das mein Gitarrensound zu schrill sei, dann sag ich ihm, das er ihn entsprechend am EQ nachbearbeiten soll. Da wir Gitarre und Bass über einen Helix Floor laufen lassen, kann ich das nicht so einfach mal nach EQen. Ich habe für jedes Lied ein eigenes Preset (das auch als Setliste für mich dient). Sind zu 90 - 95% die gleichen Sounds, aber mit unterschiedlichen Snapshots, also z.B. "Intro, Rhythm, Solo, Outro" manchmal auch nur "Rhythm", eben das, was ich im Lied brauche. Hat den weiteren Vorteil, das auch alle Sounds vom Lautstärkeverhältnis gleich sind (mit ganz seltenen und ganz geringen unterschieden; die aber gewollt sind). Soll ich also da was am Klang ändern, müsste ich alle Presets ändern, und das würde dauern. Deshalb ist da der EQ am Mischpult die besser Lösung.
Das ging mir genauso, aber nicht als Gitarrist, sondern als Synthmann mit auch mal einem Vielfachen deiner Sounds - und davon auch mal einigen gleichzeitig und/oder im sehr schnellen Wechsel.
Anfangs wurde in dem Faden aber diskutiert, dass es doch sinnvoll ist, auch diese Sachen dem Tonmann zu überlassen.
Keine Premixe und am besten auch vom Keyboard Stems a la Strings, Leads, Bass etc.
Denn wenn Du etwas vorprogrammierst und dann den Mix ablieferst, kann er ja nix mehr machen. Und es hieß, dass Dein Premix im Probenraum evtl. noch super funktionieren könnte, auf der Bühne aber völlig ätzend sein kann.
Ich glaube nicht, dass man diese Detailarbeit aus den Händen geben kann, das greift zu tief ins Musikalische ein und es würde ihn überfordern bzw wären viele meiner Vorbereitungen einfach nichtig.
Vor allem ist es gerade bei a) größeren klanglichen Paletten, wo man nicht nur drei, vier Kategorien hat, und b) größeren Key-Setups technisch gar nicht mehr möglich.
Man bräuchte ja an
jedem Instrument für
jede Kategorie, die da rauskommt, jeweils dedizierte Ausgänge. Heutzutage kriegt man aber selbst in der absoluten preislichen Oberklasse oder bei extremem Nerd-Nischen-Equipment selten mehr als ein Stereopaar und nie mehr als zwei. Die Zeiten der großen Studio-Racksampler mit 16 Einzelausgängen sind vorbei – ebenso die Zeiten, wo jedes Instrument, was ein Keyboarder auf der Bühne hatte, eh nur eine Art von Sound konnte (Orgel von der Hammond B3 via abmikrofoniertem Leslie, E-Piano vom Rhodes via abmikrofoniertem Jazz Chorus, Streicher vom Mellotron, Synth vom Minimoog, der auch den ganzen Gig über nur einen und denselben Sound liefert...).
Das wäre also allenfalls realisierbar, wenn man in Hardware wirklich nur hochspezialisierte Instrumente hätte (E-Piano, Orgel, Leadsynth) und alles andere von einem Laptop käme mit einem dicken fetten 16-Kanal-Audiointerface dran. Am Ende würde ein einzelner Keyboarder mehr als die Hälfte der Kanäle am 32kanaligen Frontholz für sich beanspruchen, weil er mehr Soundkategorien, also auch mehr Stems, abfährt, als womit gerade der rockorientierte Toni rechnen würde.
Nochmals schwieriger wird es, wenn man mehrere Klangerzeuger hat, die sich in den Kategorien überschneiden. Von meinen letztlich fünf Synths im Bandsetup haben vier Strings geliefert. Der eine konnte die Art von Strings besser, der eine andere, wieder eine andere Kategorie ging überhaupt nur auf diesem einen Gerät. Das hieße im Endeffekt, daß der Keyboarder dann auch noch schlimmstenfalls für jede Kategorie einen
Mixer bräuchte. Und dann würde der Toni doch wieder Submixe kriegen.
Zur Veranschaulichung, falls das jemand noch nicht gesehen haben sollte: Bei mir sah es in der Band
so aus.
Hab ich nur die Summe, müsste ich es entweder so „bescheiden“, wie es ist, lassen oder bin ständig am Kurbeln für nur ein Signal. Denn genauso wie es bessere und schlechtere Tontechniker gibt, gibt es auch bessere und schlechtere Soundgestalter unter den Musikern. Und wenn man nicht gerade voll abgespacestes Experimenalzeug macht, so ist es Realität dass jede Stilrichtung ihre eigene Soundpalette hat, in der sich die Musiker bewegen. Und dem muss auch ein Tontechniker folgen. Wenn aber dann Sounds daher kommen, die da gar nicht reinpassen, dann versucht man als Techniker zu korrigieren. sollten aber unterschiedliche Sounds über ein Summensignal kommen, die noch dazu eher, hmmm „nicht so tolle“ sind, dann hat man als Techniker die A...karte gezogen. Denn dann kurbelt mann permanent an so einem Problemkanal rum und hat für nix anderes Zeit.
Das wär Teil meines Problems gewesen. Wir hatten ja trotz grundlegender Genre-Ausrichtung doch eine ziemliche klangliche Bandbreite. Das war nicht alles Ende-70er-mäßiger Funk, der sich seitens der Keys auf Hörner, Streicher, E-Piano, A-Piano und Hammond beschränkt. Mittendrin wär auf einmal "Clouds Across The Moon" (RAH Band) gekommen, das aus der Perspektive mittendrin im "voll abgespaceten Experimentalzeug" gesteckt hätte. Oder "I Feel For You" (Chaka Khan), das trotz ein paar Vereinfachungen hart an der Grenze dazu gestanden hätte. Da wär schlagartig Schluß gewesen mit der "eigenen Soundpalette" der einen "Stilrichtung".
Und glaub mir, wenn ich dir die 9 verschiedenen Synth-Signale von "Clouds Across The Moon" alle einzeln ans Pult geschickt hätte, weil zu unterschiedlich für eine pauschale "Synth"-Kategorie, hätte es das für dich eher schwerer als leichter gemacht.
Wenn du jede Kategorie von mir einzeln hättest haben wollen, hättest du mindestens 20 Kategorien für 39 bis 40 FoH-Kanäle bekommen (je nachdem, ob der Vocoder nicht auch mono funktioniert hätte) – wenn das denn für mich überhaupt technisch realisierbar gewesen wäre, was es nicht war (bzw. was es nur dann gewesen wäre, wenn ich mir einige Synths mehrfach zugelegt hätte, um mehr Ausgänge zu haben).
Und nein, ich hätte das nicht vor Ort spontan von jetzt auf gleich für dich auf nur fünf Sounds für den ganzen Abend reduzieren können.
Klar, aber letztendlich brauchts in der Regel wenig unterschiedliche Sounds, die man an einer Hand abzählen kann. Also wirklich unterschiedliche Sounds, da mal ein dB mehr oder weniger ist kein Unterschied. Ich wei, mich werden jetzt die ganzen Gitarrenheroes geißeln, oder Häresie. Aber am Ende des Tages ists, wie es ist.
Würdest du dasselbe auch pauschal über Synthleute sagen? Die pro Einzelsound (!) vom Oszillator/Tongenerator bis zum Masterfader des Submixers auch mal weit über 100 – wenn nicht mehrere 100 – regelbare Parameter haben, ganz zu schweigen von einer gegenüber einem Gitarristen eh sehr viel größeren klanglichen Bandbreite?
Ich hab glücklicherweise in den meisten Fällen mit Musikern zu tun die recht genau wissen was sie tun. Und wenn die presets über Jahre in verschiedenen Locations weiterentwickelt haben oder sich Synthesizerburgen bauen und mir einen premix geben, dann funktioniert das. Vielleicht muss man mal den eq oder Kompressor oder den Hall anpassen. Vielleicht auch mal minimal die Lautstärken angleichen. Alles Kleinigkeiten.
Kommt drauf an.
Zu "Analogzeiten", wo Keyboarder selbst in den größten Burgen noch dedizierte Regler für
alles hatten, da ging jede Anpassung ruckzuck, zur Not auch on-the-fly mitten im Song, wenn man gerade eine Hand frei hatte. EQ hatte man, wenn überhaupt, nur am nicht speicherbaren Submixer, Kompressor eher gar nicht, und weil damals bei den Synths die Lautstärken noch nicht speicherbar waren, mußten die auch am Submixer nachgeregelt werden.
Heutzutage ist das sehr viel schwieriger, um so schwieriger, je komplexer das ganze Konstrukt ist und je mehr davon gespeichert und zentral abrufbar ist. Bei mir war das wirklich extrem, zumal sich jeder meiner fünf Synths je nach Song auch mal drastisch anders anhören konnte. EQ, Hall oder Lautstärke (Kompressor hatte ich nicht im Einsatz) einmal für den ganzen Gig einstellen, das wär schon deshalb nicht drin gewesen, weil sich diese Einstellungen nicht nur pro Song, sondern pro Einzelsound individuell für jeden Song ändern konnten – genau wie der ganze klangliche Charakter.
Statt eines Soundcheck hätten wir als Amateurband also an Ort und Stelle mit derselben Backline und derselben Mannschaft vorab den ganzen Gig mindestens einmal durchspielen müssen, und dann hätte ich jedes Detail an die Örtlichkeit anpassen können.
Sofern es denn individuell anpaßbar gewesen wäre. Bei zwei meiner Synths ging der EQ nur für die ganze Maschine, für alle Sounds zusammen, also nicht für jeden einzeln individuell. Bei einem dritten wär das ein Effekt gewesen, den ich zusätzlich hätte einhängen müssen – womöglich zu Lasten eines anderen Effekts. Nur einer, der Virus, hatte für 16 Multimode-Parts jeweils einen eigenen individuellen EQ, und der war klanglich spezialisiert.
On the fly wär sowieso schwierig gewesen. Gerade beim so flexiblen Virus hätte
jede Einstellung für einzelne Sounds ziemliche Menütaucherei bedeutet, auch das Einstellen individueller Lautstärken, weil der Virus nicht 16 einzelne Lautstärkenregler hat.
Letztlich hätte das Ganze auch noch zu einer Verkettung zahlloser neuer Speicherplätze geführt. Jeder individuell veränderte Sound hätte einen neuen Speicherplatz belegt, um nicht das Original zu überschreiben.
Nun hab ich aber keine Einzelsounds an den Synths jeweils händisch aufgerufen. Das ging alles zum einen ferngesteuert und zum anderen per Multimode: Über meinen MIDI-Router konnte ich MIDI Program Changes an meine fünf Synths verschicken und sie damit alle gleichzeitig umschalten. Vier davon waren aber multitimbral, konnten also mehrere Einzelsounds gleichzeitig nutzen. Das ging wiederum über, man kann sagen, Mehrfachspeicherplätze. Die hat der MIDI-Router ferngesteuert aufgerufen.
Wenn jetzt aber ein Einzelsound geändert wär und auf einem neuen Speicherplatz läge, würden sich auch die Einstellungen im Multimode verändern und ich für den Song einen neuen Mehrfachspeicherplatz brauchen. Damit muß aber auch der MIDI-Router an dem jeweiligen Synth in dem jeweiligen Song einen anderen Mehrfachspeicherplatz aufrufen. Also bräuchte ich für den Song auch im MIDI-Router einen neuen Speicherplatz.
Wohlgemerkt, dieser Riesenaufwand wär schon nötig gewesen nach Anpassung einzelner EQ-Einstellungen. (Bei Lautstärken hätte ich nur neue Mehrfachspeicherplätze gebraucht.)
Martman