Entschuldigt, dass ich jetzt doch mal ausführlich werde:
Wir sollten uns alle nicht auf die klassischen Extremrollen festlegen: entweder so vel nörgeln wie möglich, oder über alle kritischen Punkte hinweggehen. Vielleicht können wir uns dann sachlicher austauschen. Die Extrempositionen schaukeln sich gegenseitig auf.
Ich bin tatsächlich ein extrem zufriedener Kronos-User: das ist nach meinem Empfinden schlicht das mit großem Abstand beste Vielzweck-Keyboard, das ich je unter den Händen hatte: wirklich ein Hammer von Werkzeug zum Musikmachen für mich.
Aber das heisst nicht, dass ich über Hardware-Qualitätsprobleme bei mir (da ist es glücklicherweise nur bald ersetztes Datawheel und eine Spur zu hörbarer Lüfter) oder anderen (ungleichmäßige Tastenabstände, unterschiedliche Tasttaurhöhen) naiv hinwegsehe. Ich würde jeden unterstützen, der bei Korg auf Behebung wirklicher Hardware-Probleme drängt. Und es heißt auch nicht, dass ich bestimmte kritische Rückfragen nicht teile: im Gegenteil, ich unterstütze sie (Qualität des Overdrive im Vergleich zur sonstigen Effektqualität, Qualität mancher HD-1-Sounds, darunter besonders Gitarren, etc.).
Was mir Mühe macht, ist das oberflächliche, oft weitgehende Hinweggehen über hervorragende (damit meine ich wirklich Premium-Klasse) Sounds/Engines und OS-Funktionalität in böswilligen kleinen Tiraden und Nebenbemerkungen, die ich durch meinen Benutzeralltag nicht ansatzweise nachvollziehen kann.
Ich will mal an einem Beispiel deutlich machen, wie ich mir eine offene und faire Diskussion vorstelle: die Kronos-Pianos.
1. Über die Gesamtqualität dieser Pianos (ungeloopte Einzelsamples hervorragender Orgiginal-Instrumente in GB-Größe, mit sehr gutem Paramter-Modelling verschiedenener Klangfaktoren, wie es intensiver nur im sündhaft teuren V-Piano möglich ist) kann man m.E. nicht wirklich disktutieren. Darüber ist sich so ziemlich jeder Testbericht, den ich lesen konnte (Zeitschrift wie Online) ohne EIN EINZIGES mir bekanntes abweichendes Urteil einig. Daher hab ich wenig Neigungen, ein Urteil wie Deines, Carlos, (als wär's halt bloß ein weiterer typischer Korg Sound), zu bejahen - und das ist ehrlich nicht persönlich oder aggressiv gemeint.
2. Geschmäcker zu Pianos gehen trotzdem weit auseinander: manche mögen einen eher dunklen, manche einen eher drahtigen Klang, manche schwören auf das ultraweiche "Alicia's Keys" (das ich auch habe, aber nur für bestimmte Zwecke einsetze), manche auf andere Sampling Instrumente oder Pianoteq Zeug oder was auch immer. Ich finde aber, man sollte Geschmacksurteile (dies Piano liegt mir mehr als jenes) nicht mit Qualitätsurteilen durcheinanderbringen, mit denen sie nur bedingt zu tun haben.
3. Reale Pianos(!) können große Mühe im Mix zeitgenössischer Pop, Rock und Jazz-Stücke machen, weil sie zwar gut klingen, aber (haupsächlich wegen diverser Eigenarten im konkurrierenden Mittenbereich, in dem auch andere Instrumente ihre Nischen brauchen) deswegen noch lange nicht gut im Mix sitzen.
4. Dasselbe gilt für hochwertige Abbildungen realer Pianos. Und wenn sie noch so gut im Solospiel oder in mancher kleinen Jazztrio-Besetzung (Typus: Bill Evans Feinarbeit) klingen, heißt das noch gar nichts für einen erfolgreichen Mix in lauter Besetzung mit EGitarre und/oder Bläser-Solisten. Im lauten, vollen Band-Kontext muss sich jedes Piano ganz neu beweisen.
5. Bestimmte, oft aus meiner Sicht nicht gerade besonders hochwertige, Workstation- oder Stage-Pianos sind für den letzteren Zweck maßgeschneidert. Platt ausgedrückt, finde ich: sie klingen alles andere als überwältigend (leblose, geloopte Mini-Sample-Ware), aber sie sind spezialisiert darauf, den letzteren Zweck zu erfüllen - und machen das im lauten Kontext oft nicht schlecht.
6. Weil sie so sind, sind sie prädestiniert, dem FOH seine Sorgen zu nehmen. Dessen Aufgabe kann es nämlich nicht sein, einen fülligen Wohlklangflügel in ein stromlinienförmiges Bandinstrument zu übersetzen. Er ist nur für's Feintuning und die adäquate Einordnung in den Bandkontext zuständig. Und die FOHs, deren Ergebnisse ich live bewundern darf, scheinen eine ziemlich strikte Arbeitsauffassung zu haben. Danach haben sich in allen Bands, in denen der Keyboarder nicht im Mittelpunkt steht, die Keys einzuordnen in das Gerüst, dass durch andere (Gitarre, Bass und Drums und/oder Bläser) vorgegeben ist. Und das heißt in der Regel: die Keys sind Background, hinten im Mix, sollen alles leisten und dabei niemand stören, die Gitarren haben bis zur Lächerlichkeit Vorfahrt in den Mitten, kurz: FOHs sind (aus nachvollziehbaren, aber nicht unbedingt guten Gründen) geneigt, sich wenig Gedanken über wirklich hochwertige (und wirklich gut und manchmal auch weiter vorne im Mix hörbare!) Keyboard-Sounds zu machen.
7. Für den Kronos heißt das m.E.
a) die puren Flügel sounds gehören zur absoluten Premiumklasse und sind hier gleich gut oder besser als der Rest des Feldes im gesamten Workstation- und Stagepiano-Markt
b) das macht sie noch lange nicht kontexttauglich im oben genannten Sinn.
c) Korg hat zwar gute Piano-Patches für Solo-Spiel und kleine Besetzungen geliefert, aber
d) Korg bietet in seinen Kronos-Presets nix(!) an, was im lauten Bandkontext sofort gut und problemlos funktionieren würde
e) der Korg User (nicht: der FOH!) hat die Aufgabe, mittels EQing und anderer Hilfsmittel die erstklassigen Flügelsounds so umzuprogrammieren, dass sie im lauten Bandkontext gut funktionieren.
f) deshalb würde ich aber nie die m.E. grottige Schlussfolgerung ziehen, einen alten geloopten Minisample-Piano-Sound einem qualitativ hochwertigen Gigabyte-Sound vorzuziehen. Ich würde nur darauf bestehen, dass der Gigabyte-Sound für lauten Bandkontext angepasst werden muss.
Für mich als Korg-User heißt das, dass ich einerseits die Qualität der Flügel über den grünen Klee loben muss (weil ich es wirklich so höre und sehe), andererseits aber ohne jede Beschönigung tadeln muss, dass die Presets offenbar mit wenig Augenmaß für lauten Bandkontext geschrieben worden sind.
So etwas in der Art verstehe ich unter differenzierter Kritik - und hoffe, dass einige ungefähr verstehen, was ich meine.
Sorry, dass es so lang geworden ist, aber ich wünsch mir schlicht eine bessere Diskussionskultur hier, die genauer und differnzierter hinschaut, statt nur Lager-Debatten zu führen.
Sonst macht es auch für mich wenig Sinn, mitzudiskutieren: dann haue ich halt ein paar Infos und einen ironischen Spruch in Gegenrichtung raus, und das war's.
Keine Ahnung, ob so ein qualifizierter Austausch möglich ist, aber alles andere macht aus meiner Sicht wenig Spaß und wenig Sinn.
Als letztes zum Thema "Kronos zu früh auf dem Markt oder nicht":
Ich ziehe mit Abstand die jetztige Lösung vor jeder Verzögerung vor (trotz des ärgerlicherweise noch fehlenden Editors: das ist nicht ok), einfach weil ich heilfroh bin, das Instrument jetzt zu spielen (und bedienen zu lernen) und ncht erst später.
Und ich finde außerdem, dass der Kronos sich in einem besseren Auslieferzustand (mit einem ausgereifteren OS!) befindet als JEDE mir bekannte Workstation der letzten Jahre! Aber das ist ein eigenes Thema.