Aus der Sicht eines Gitarrenlehrers mal ein paar Gedanken an Anfänger!

  • Ersteller Nappi (PoA)
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Und wieso die klassischen Gitaristen erst Theorie lernen? Weil der gesammte Orchester- und Klassikbereich imo extrem verkopft ist.

Das kann eine Bekannte von mir auf der klassischen Gitarre auch und ist mir in dem Bereich auch technisch überlegen.
Die kann aber nicht mal "Alle meine Entchen" frei begleiten. Ohne Noten ist die komplett lost.
Das liest sich so, als ob Notenlesen lernen regelrecht verhindern würde, frei zu spielen, zu improvisieren und aus dem Stegreif eine Melodie mit Akkorden unterlegen zu können.
In dieser Pauschalität möchte ich das nicht so stehen lassen und dem widersprechen. Auch, dass "der gesamte Orchester- und Klassikbereich verkopft ist".
Dafür mag es zwar unbestritten Beispiele geben, da kenne ich auch welche. Aber ich kenne auch "Klassiker" die mit zu wenig Kopf und zuviel Bauch an die Musik heran gehen, und so klingen ihre Interpretationen dann auch, nicht selten komplett an der Musik und den Intentionen des Komponisten vorbei.
Wichtig ist, zwischen "Kopf" und "Bauch" im jeweilig dem Stück angemessenen Verhältnis eine gute Balance zu suchen und zu finden. Das sehe ich im Übrigen auch bei anderen Genres so, etwa beim Jazz.

Und warum können tatsächlich viele Profi-"Klassiker" weder frei improvisieren oder ad hoc Melodien harmonisieren?
Schlicht, weil sie es nicht gelernt haben, weil es in ihrem Studium nicht vorkam. Wer z.B. später als Orchestermusiker einen Job bekommen und behalten will, der muss sein Instrument und das Spiel nach Noten möglichst perfekt beherrschen lernen. Das füllt ein ganzes Studium schon so komplett aus, da fehlt die Zeit für solcherart Ergänzungen.
Aber lernen lässt es sich wohl, und tatsächlich gibt es auch unter diesen Klassikern, die das wohl können, weil sie es aus Interesse gelernt haben (das Talent dazu spielt natürlich auch eine gewisse Rolle, und wen es nicht interessiert, der wird sich damit auch nicht beschäftigen).

Es gibt unter den "Klassikern" denen sie üblicherweise zugeordnet werden, eine große Gruppe, die sowohl hervorragend nach Noten spielen gelernt haben (dabei auch noch fast immer aus mindestens 3 Systemen: linke und rechte Hand und Pedal für die Füße), und die praktisch alle mindestens ordentlich (hängt auch wieder vom Talent ab) bis hervorragend improvisieren und Melodien harmonisieren können (dabei auch immer aus dem Stegreif): die Organisten/Kirchenmusiker.
Schlicht, weil sie es gelernt haben und beides zentraler Inhalt ihres Studiums war.


Ergänzung: bei manchen Notationen ist auch die Lage angegeben. Dann hat man auch keine Freiheiten mehr...
In diesen Fällen lag wohl immer eine bestimmte Absicht eines Komponisten zugrunde, die dieser dem ausführenden Musiker mitteilen wollte. Wer immer solche Stücke spielt, ist dann angehalten, im Sinne einer korrekten Interpretation diese Hinweise zu befolgen.
Aber mancher nimmt sich doch eine gewisse Freiheit auch in solchen Fällen, was durchaus zwar abweichende, aber nicht selten interessante Interpretationen gebiert.
Diese Freiheit ist auch nicht grundsätzlich verboten, nicht in unserer Welt.
 
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Hast Du schon mal eine Big Band gesehen? Einen Orchestergraben? Joe Bonamassa im Studio? Ganz allgemein: Proben?
Ich bezog mich natürlich nur auf Gitarristen. Davon gibt es in Big Bands und Orchestergräben soweit ich weiss keine. Joe Bonamassa sagt mir nichts.
 
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Ich kenne auch das andere Extrem:
Da hat man ein Stück geschrieben und einen Solopart, den man gerne von einem Instrument gespielt haben will . Wenn ich das einem Gitarristen gebe: kein Problem, der fängt an, da was drüber zu improvisieren.
Gebe ich es einem Musiker mit klassischer Ausbildung auf einem anderen Instrument, dann werde ich nach Noten gefragt.
Ausnahmen bestätigen die Regel.
 
Lustig, wie lange man so ein Thema am Leben erhalten kann. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

Wer Gitarrespielen von Grund auf, als von Klassik bis zur heutigen Zeit spielen will MUSS Noten lernen.
Wer einfach vor sich hindudelt und nicht davon leben muss, dem reichen TAB´s oder gar nix aus.

So die Folklore.

Aber ist da nicht was Wahres dran?

Wenn man Literatur schreiben will sollte man ja auch lesen können, oder?

Wenn ich mit anderen Musikern spielen will und einer schreit zu mir rüber, der Song handelt in A.
Wäre es nicht gut, wenn ich wüsste, welche Akkorde da vorkommen?

Ansonsten, wenn ich einen Song schreibe und einen Studiogitarristen beauftrage die Gitarrenspur einzuspielen, dann möchte ich nicht warten, bis er die Töne und Akkorde rausgehört hat. Da lege ich Noten hin und gut ist.

Apropos: Keiner spielt nach Noten:


View: https://www.youtube.com/watch?v=k-DwiF-A_YM&list=RDk-DwiF-A_YM&start_radio=1
 
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Deshalb bitte lesen:
Ich kann lesen, habe gelesen, und habe versucht, einen etwas differenzierten Standpunkt aufzuzeigen, auf den man sich vielleicht einigen könnte, wenn man denn wollte. Aber die Sicht vieler Menschen ist ja eher schwarz/weiß oder Freund/Feind oder links/rechts ... Polariseren, Unterschiede simplifizieren und herausstellen, und sich Lagern zugehörig fühlen passt ja auch in die Zeit... aber eben nicht zur Art und Weise, zu der ich versuche durchs Leben zu gehen.
 
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Also mit geschlossenen Augen hat der sicher keine Noten gelesen...
 
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Ok, das sind Profis, die haben den Song sicher intus, aber die Noten liegen dort sicher nicht umsonst rum.
 
In dieser Pauschalität möchte ich das nicht so stehen lassen und dem widersprechen.
Die Nennung eines Einzelfalls hat nichts mit Pauschalität zu tun.
Aber du hast mit deinen differenzierten Ausführungen natürlich recht.
 
Ich kann lesen, habe gelesen, und habe versucht, einen etwas differenzierten Standpunkt aufzuzeigen, auf den man sich vielleicht einigen könnte, wenn man denn wollte. Aber die Sicht vieler Menschen ist ja eher schwarz/weiß oder Freund/Feind oder links/rechts ... Polariseren, Unterschiede simplifizieren und herausstellen, und sich Lagern zugehörig fühlen passt ja auch in die Zeit...

Den Schuh zieh' ich mir nicht an.

Eine Ausnahme scheinen mir Leute zu sein, die E- oder Westerngitarre (NICHT klassische Gitarre) spielen wollen. Hier empfinde ich die Zahl derer, die sich im Selbstudium mit Buch, Youtube oder Online-Kurs an das Instrument wagen als überproportional hoch.

Ich sehe da nichts von Freund/Feind, schwarz/weiß, polarisieren etc. etc.

Auch ist dort keine Wertung enthalten, oder Lager Gut/Schlecht . . .
 
Nebenbei:

Ich kann Noten lesen, andere Instrumente auch nach Noten vom Blatt spielen.
So eine, manchmal auch mehr Stunden in der Woche beschäftige ich mich auch mit Gitarre und Noten.
In der Regel spiele ich aber nach dem bekannten Schema Noten und darunter die Tabs.
Es ist praktisch, übersichtlich . . .

Was ich nur nicht verstehe ist, wie jemand der keine oder kaum Noten lesen kann, und ich rede hier noch gar nicht von Notenschlüssel, Versetzungszeichen u.a., darüber urteilt und diskutiert warum Tabs gut und ausreichend sind und Noten als überflüssig, ja teilweise als hinderlich dargestellt werden.

Wenn ich mir einen Vergleich oder eine Wertung erlaube, muss ich beide Seiten kennen, nicht nur eine.

Ich habe Bekannte, die spielen seit 30 oder 40 Jahren Gitarre, und wenn Du fragst wo auf E-Saite das B ist fängt der eine an abzuzählen, der andere sagt "interessiert mich nicht wirklich". Beide spielen mich an die Wand. Die hören etwas, jammen ab dem ersten Ton oder Akkord treffsicher mit und solieren auch noch.

Ein gemeinsamer Freund ist Berufsmusiker (studiert, z. Zt. u. a. E-Gitarre im Orchestergraben), der findet Tabs "nichtssagend".

Fazit, und gebe ich Dir recht:
"Alles kann, nichts muss".
 
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Ergänzung: bei manchen Notationen ist auch die Lage angegeben. Dann hat man auch keine Freiheiten mehr...
Wieso?
Wenn ein Fingersatz, eine Lage oder ähnliches dasteht, ist das in der Regel eine Hilfe. Wenn man es anders spielen will, kenne ich keine Musikerpolizei, die da Strafzettel verteilt.

Hmm ich habe selbst Profis noch nie mit Notenständer spielen sehen...
Da weiß ich jetzt auch nicht, wie ich Dir weiterhelfen kann. :nix:

Denn: wenn jemand ein Instrument spielen möchte, dann...
KANN er ...
Dem schließe ich mich an.

Ich werde jetzt mal bisschen philosophisch, ;) aber das mit den Noten ist ja nur eine Sache von vielen beim Musikmachen.

Das Geheimnis des Erfolgs ist, seine Zeit darauf zu verwenden, das Richtige zu üben.

Was ist das Richtige?
Entweder das, was Dich am meisten voranbringt (nach vorn gedacht)
Oder das, was Dich am meisten behindert (nach hinten geschaut)

Wenn das Tonleitern sind, dann übe Tonleitern.
Wenn es Noten sind, dann lerne Noten.
Wenn es Theorie/Transkription/... ist ... usw.

Was gerade für Dich das Richtige ist, kann man versuchen, selbst rauszufinden. Ein Lehrer kann extrem helfen.

Wer immer nur das übt, was er schon kann, bleibt im Wohlfühlbereich, verschiebt aber weder die vordere noch die hintere Grenze seines Könnens.
 
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Hmm ich habe selbst Profis noch nie mit Notenständer spielen sehen...
das liegt evtl. daran, das die nach gefühlt 1000mal das auch einfach auswendig können.
Ich MUSS es auch auswendig lernen weil ich keine Noten lesen kann...bzw. das so langsam geht das andere in der Zeit wo ich eine Zeile entschlüsselt habe 5 Songs geschrieben und eingespielt haben.
Aber....nur weil manch einer nicht auf der Bühne mit Notenständer steht bedeutet das nicht das er nicht in der Lage ist diese zu lesen.
Unheimlicher Vorteil, man kann das was man sich ausgedacht hat, für JEDEN lesbar festhalten. Nach 5 Jahren den Notensatz wiederfinden und denken..."ach schau an....ja das könnte ich mal wieder spielen".
Wo ich jetzt denke...."shit....wie war das nochmal....".
 
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