Alte Blockflöten in deutscher Griffweise

Wie spielst Du denn die mit A markierten Flöten?
In "C-Griffweise", die verschiedenen Stimmungen wurden ja damals deswegen so gebaut, dass man jede Tonart mit derselben Griffweise spielen konnte.

"Zimmermann Leipzig"
Der war übrigens nur Händler und hatte nie selbst gebaut, er hat damals Flöten aus verschiedenen Werkstätten bezogen. Die Firma existiert sogar noch, aber nur im russischen Sprachraum:

 
Ich habe mir bereits gedacht, dass er nur Händler war. Der Flöten-Typ mit den zylindrischen statt bauchigen Wülsten erinnert sehr an die Flöten, die Peter Harlan von Kehr bezog.

Nachdem ich ein bisschen über die ersten Blockflöten im Deutschland des 20. Jahrhunderts gelesen habe, habe ich das Gefühl, dass Peter Harlan ein ähnlich dynamisches Verhältnis zur Wahrheit hatte wie sein Bruder. Und das, obwohl er viel weniger Grund zum Lügen hatte. Veit hat Filme für die Nazis gemacht, Peter verkaufte Flöten mit einem groß gebohrten Loch für ein F ohne Gabelgriff. Aber trotzdem log er nicht nur, wenn er behauptete, er hätte selber Flöten gebaut -- die deutsche Griffweise, so sagte er einmal, sei eine "Torheit" gewesen, die er korrigieren wollte, aber...es waren die "Schulmeister" und der Bärenreiter-Verlag, die auf deutscher Griffweise beharrten. (Auch sein Bruder schob gerne anderen Leuten die Schuld in die Schuhe, und dabei handelte es sich um ernste Angelegenheiten, und nicht nur um ein neues Musikinstrument.) Tatsache ist, dass er mit einer solchen "Torheit" für ein Foto posiert hat, und den "Jungstimmer", der aus Versehen ein Loch zu groß gebohrt haben soll, gab es wohl auch nicht. Wie geht das überhaupt? Die Größe des Lochs ist durch den Bohrer vorgegeben, und danach wird mit der Handfeile nachgestimmt. Feinabstimmung. Man kann auf diese Weise nicht ein Loch viel zu groß bohren.
 
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Ich kenne die Aussagen Harlans nur aus den überlieferten Texten und ansonsten bin ich jahrelang mit der deutschen Griffweise zufrieden gewesen. Die Nazischiene mag ich nicht bedienen, da könnte man jede Menge Leute aus dieser Epoche erwähnen, es war eine böse Zeit und Mitläufer gab es wie Sand am Meer... Mich interessieren nur die Instrumente dieser Zeit. Nach frühen Aussagen Harlans wollte er eine einfache Flöte für einfache Weisen bauen (lassen), das ist ihm mit der deutschen Griffweise gelungen.

Bärenreiter hat nicht nur deutsche Griffweise bauen lassen, später kam auch noch die sogenannte barocke hinzu. Da wurde halt einfach nur der "Markt" bedient.

Für das "fehlende Fis" bei der Sopran gibt es auch Sondergriffe welche funktionieren, die barocke hat ja auch einen Gabelgriff... ist doch ok... Spieler anderer Instrumente wie z.B. Dudelsack, Klarinette u.s.w. machen um verschiedene Griffweisen kein so ein Theater, es gibt sie halt und jeder spielt die Variante nach seinen Vorlieben und gut isses...
 
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Wir haben alle unsere Macken...ich bin, so könnte man sagen, jemand der zwanghaft die Wahrheit sagt, auch wenn es unbequeme Konsequenzen mit sich bringt. Vielleicht ist das eigentlich das natürliche Verhalten und Lügen ist erlerntes Verhalten. Ich kann jedenfalls nicht nachvollziehen warum man wegen so etwas Trivialem nicht die Wahrheit sagt. Die Leute wollten bestimmt nicht seinen Kopf, nur weil er Blockflöten vertrieben hat, bei denen das F der Grundtonleiter einen Tick zu hoch ist.

Bei Klarinetten gab es in der Vergangenheit schon einen gewissen "Nationalismus" im Bezug auf die Griffweise. Den "französischen" Klarinetten das "Näseln" abzugewöhnen, das war die Motivation für die Entwicklung neuer deutscher Griffsysteme, die intonationstechnisch mit dem von Klosé entwickelten "Böhm-System" mithalten konnten. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich am Bröckeln war. Oder man wollte einfach nur einen Ton, der näher an den Klarinetten dran war, für die Mozart und Co ihre Werke geschrieben hatten, nur mit einem neuen, verbesserten Klappensystem. Oder vielleicht auch beides. Ich habe, als ich mit Klarinette angefangen habe, zuerst eine mit deutschen Standardsystem (nicht ganz so elegant wie Oehler) gespielt, und mir ging es auf die Nerven, dass die Finger der rechten Hand doch sehr gespreizt werden mussten. Dazu kam, dass es im Ausland nicht immer einfach war, Blätter für deutsche Klarinette zu bekommen, und wenn, dann dreimal so teuer. Also bin ich dann auf Böhm umgestiegen.
 
Ich weiß nicht wirklich was Wahrheit ist und habe auch nicht den Drang sie auszusprechen. Ich mache Musik und erfreue mich auch nach über 50 Jahren immer noch daran. Das ist mir wichtig und ich bin froh, dass ich mir dies bewahrt habe über die vielen Jahre!
 
Das ist in der Tat etwas Gutes.
 
Nazischiene mag ich nicht bedienen, da könnte man jede Menge Leute aus dieser Epoche erwähnen, es war eine böse Zeit und Mitläufer gab es wie Sand am Meer... Mich interessieren nur die Instrumente dieser Zeit. Nach frühen Aussagen Harlans wollte er eine einfache Flöte für einfache Weisen bauen (lassen), das ist ihm mit der deutschen Griffweise gelungen.
Ich denke, dass man hier zwar von der individuellen Schiene wegkommen kann, aber grundsätzlich der Background auch für die Instrumentenkunde spannend ist. Noch in meinen Flötenheften (vermutlich Bärenreiter;-)) aus den 60s hieß die barocke Griffweise "englische" Griffweise. Und sicherlich haben nationale Werkeditionen (Denkmäler Deutscher Tonkunst etc.) in Verbindung mit der Jugendmusikbewegung auch hier einen gewissen Boden für eine "nationale" (nicht zwangsläufig: nationalistische) Musikkultur bereitet.
 
...aber grundsätzlich der Background auch für die Instrumentenkunde spannend ist.

Unbedingt, wenn man Blockflöten aus dieser Epoche sammelt, dann kommt man auch nicht umhin, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. 2021 hat Cornelia Stelzer dazu sogar ein Buch herausgebracht mit dem etwas sperrigen Titel: "Die Bedeutung der Blockflöte zur Zeit des Nationalsozialismus", wo sie das Thema sehr gründlich aufarbeitet. Mit ca. 100€ natürlich kein Buch wo man sich mal flott kauft. Hier gibt es aber immerhin ein PDF dazu mit den ersten 70 Seiten (von ca. 750!) wo man schon einen sehr guten Einblick in das Werk erhält.

Noch in meinen Flötenheften (vermutlich Bärenreiter;-)) aus den 60s hieß die barocke Griffweise "englische" Griffweise.

Aus gutem Grund, denn diese Griffweise ist ja auch "modern" und wurde von Carl Dolmetsch "erfunden", welcher unabhängig von der Bewegung in Deutschland die erste Blockflöte um 1920 in England baute. Er besaß eine Original Bressan, welche aber nicht mehr intakt war und zwischendurch verloren ging, daraufhin begann er mit dem Blockflötenbau und entwickelte seine eigene Griffweise, welche der Originalen sehr ähnlich ist, aber geringfügige Abweichungen hat. Er baute mit der Zeit sehr hochwertige Flöten noch richtig von Hand. In obigem Buchauszug gibt dazu auch ab S. 34 einiges zu lesen zu Dolmetsch.

Alte Dolmetschflöten aus dieser Zeit sind auch immer noch ab und an zu ordentlichen Preisen auf dem Gebrauchtmarkt zu finden und wenn sie gut gepflegt wurden sind sie auch nach wie vor klanglich super. Ich hab nämlich nach jahrelanger Jagd dieses Jahr endlich auch mal eine einigermaßen erschwingliche erwischt...

dol1.jpg


dol2.jpg


Da sie konsequent durchnummeriert wurden kann man das Herstellungsjahr auch eindeutig feststellen, diese mit der Nummer 932 wurde zwischen 1936 und 1937 gebaut. Die waren für die damalige Zeit auch sehr teuer aus gutem Grund, sodass es in Deutschland dazu kam, dass sie preiswerter halbmaschinell nachgebaut wurden und damit begann um ca. 1938 mit der Herwiga Rex aus der Werkstatt Max König...

herwiga rex alt.jpg


herwiga rex alt signatur.jpg




der Siegeszug unserer sogenannten "barocken Griffweise". Die wurde dann auch recht schnell in großer Stückzahl gebaut, auch mit fortlaufender Nummerierung...

herwiga rex nummer.jpg


und andere Werkstätten in Deutschland zogen nach und kopierten auch was das Zeug hielt die "englische Griffweise". Während die Dolmetsch noch in 435 Hz steht, wurde die Herwiga Rex schon in 440 Hz gebaut.


Übrigens @AnneG in dem oben erwähnten PDF kannst du auch zu den Griffweisen und speziell auch zu Harlans "deutscher" so manches nachlesen im Kapitel 2.2 Griffweisen und Tonumfänge, ab Seite 58.
 
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Aus gutem Grund, denn diese Griffweise ist ja auch "modern" und wurde von Carl Dolmetsch "erfunden", welcher unabhängig von der Bewegung in Deutschland die erste Blockflöte um 1920 in England baute. Er besaß eine Original Bressan, welche aber nicht mehr intakt war und zwischendurch verloren ging, daraufhin begann er mit dem Blockflötenbau und entwickelte seine eigene Griffweise, welche der Originalen sehr ähnlich ist, aber geringfügige Abweichungen hat.
Ah, danke! Schöne Bilder, spannende Information!
Dass Dolmetsch in England gebaut war, war mir bekannt, ich hatte aber die Größe der Abweichungen gegenüber den historischen Originalen als sehr gering in Erinnerung. Klar hat man in der Musikgeschichte häufig nationale Bezeichnungen genutzt ("italienischer"/"französischer" Stil, "spanische" Gitarren), aber solche Benennungen sind natürlich auch ein Teil des damaligen "Zeitgeistes", bei dem dann die "Nation" in der Bezeichnung wichtig wird. Dies erst einmal völlig wertfrei (und vor 40+ Jahren habe ich mir im MuWi-Studium auch nur begrenzt Gedanken darum gemacht), man hätte ja genauso gut "moderne" (= "deutsche") und "historische"/"barocke" (= "englische") Griffweise sagen können oder eben auch "Dolmetsch"/"Harlan"-Griffweise. Die Benennung nach Namen ist ja nun gerade bei Holzbläsern nicht ungewöhnlich (Böhm, ...)
 
In meinem "Flötenbüchlein" von Rohr/Lehn wurde die deutsche Griffweise als die "moderne" Griffweise bezeichnet, und mein 9-jähriges Ich fand das etwas verwirrend. Die barocke Griffweise wurde als solche bezeichnet. Alle Leute, die eine alte Flöte spielten, darunter auch ich, hatten eine mit deutscher Griffweise. Flöten mit barocker Griffweise gab es nur in der Stadt, wo sie von den Musikalienhandlungen angeboten wurden wie Sauerbier. Ich erinnere mich noch an eine Kaffeetafel, zu der unter anderem meine Geschwister, meine Mutter und ich eingeladen waren. Die Gastgeberin wusste, dass ich Blockflöte spielte, und sie winkte mich zur Seite. Sie wollte mir etwas zeigen. Sie führte mich dann in ein anderes Zimmer und öffnete einen Kasten, der mit Samt ausgeschlagen war, und darin lag eine nagelneue Blockflöte, ohne Lackschäden am Mundstück (in meinem Fall sogar Beißspuren von einem kleinen Bruder) und barocker Griffweise, und mit Doppellöchern. Und ich törichtes Kind dachte, ich sollte sie bekommen. Nein...sie wollte sie mir wirklich nur zeigen. Tja, Pech gehabt.

Das "Flötenbüchlein" wurde zum ersten Mal 1939 aufgelegt, was erklärt, warum die deutsche Griffweise als "modern" empfunden wurde.
 

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