Dann will ich auch mal versuchen, meinen Senf dazu zu geben.
Meine Frage nun an alle, welche Fortschritte kann man erwarten? Ist es nicht auch genug, ein bestimmtes Niveau zu halten?
Es wäre sehr spannend für mich, eine Entwicklung über ein bis zwei Jahre oder sogar noch länger bei einigen von Euch zu beobachten.
Oder könnt ihr berichten, wie die vergangenen 2 Jahre abliefen?
Erwarten solltest Du gar nichts. Ich glaube, die Aufgabe des Lehrers ist es, den Schüler daraufhin zu beobachten, welchen neuen Anstoß er gerade braucht. Für welche neue Übung er empfänglich ist, auf was er gerade neugierig ist. Anders als für Grund- und weiterführende Schulen gibt es für den Musikunterricht (Gott sei Dank aus meiner Sicht) keinen festgeschriebenen Lehrplan. Der Lehrplan wird, so es überhaupt einen gibt, zwischen Schüler und Lehrer ausgehandelt. Das macht Dir die Arbeit natürlich schwerer. Du musst jeden Schüler nach seinen individuellen und täglich wechselnden Bedürfnissen unterrichten.
Beim Lehrplan sollten aus meiner Sicht auch nicht verbindlich zu erreichende Ziele festgeschrieben sein (1. Jahr alle Tonleitern bis 2 Vorzeichen, 2. Jahr auch die mit 6 Vorzeichen, 3. Jahr Terztonleitern usw.), sondern man sollte im Gespräch versuchen zu klären, welches Musikstück man am Ende des Lernabschnitts spielen können möchte. Spielen können heißt: das Stück in angemessenem Tempo spielen, dabei (nahezu) fehlerfrei zu bleiben und verstanden haben wie sich das Stück gliedert und wie es aufgebaut ist. Letzteres kann schon nicht jeder Akkordeonlehrer vermitteln. Manche sind nur auf das Vermitteln des mechanischen Spielens fixiert (vor allem die aus der russischen Schule kommenden?).
In fortgeschrittenem Alter wird übrigens für jeden Schüler die Situation kommen, daß es nur noch darum geht das erarbeitete Niveau zu halten, dazu bedarf es aber nach meinem dafürhalten keines Lehrers mehr, sondern eiserner Disziplin beim täglichen Üben.
Meine letzten 2 Jahre zu skizzieren bringt Dir wahrscheinlich nicht viel, ich mache es trotzdem und versuche dann mal einen Abriss über meine Gesamte Entwicklung am Akkordeon zu geben.
Hoffentlich wird das nicht zu lang für den Faden.
Die letzte 2 ½ Jahre waren geprägt durch Vorbereitung auf verschiedene Veranstaltungen.
Je näher die Veranstaltung rückte, je mehr Zeit habe ich für die Vorbereitung aufgewendet, von ½ bis 1 Stunde täglichen Übens bis hin zu 2 Stunden. Umgekehrt wäre es wohl produktiver gewesen, ist aber nicht meine Art. Nach den Veranstaltungen habe ich die gespielten Stücke noch eine Weile warm gehalten, bis die Vorbereitungen auf die nächste Veranstaltung die komplette fürs Üben freie Zeit beanspruchte. In diesem Zusammenhang habe ich übrigens die Erfahrung gemacht, daß das länger Liegenlassen und dann wieder Aufnehmen von Stücken einen Verbesserung im Vortrag generiert. Ist komisch, aber ich nehme es gerne hin. Bei allem (manchmal verzweifeltem) Üben waren die Fortschritte immer nur sehr klein. Manchmal gab es sogar Rückschritte, das deprimiert und macht auch nervös, weil man ja ein zeitlich fest gesetztes Ziel hat. Zwischenzeitlich, vor allem nach Zwangspausen, kamen dann die seltenen großen Sprünge auf eine höhere Stufe des Könnens.
Wenn ich die gesamte Zeit betrachte, die ich mit einem Akkordeon inzwischen verbracht habe, lässt sich natürlich eine Entwicklung beobachten und Sprünge im Können feststellen, die teilweise sogar mit bestimmten Ereignissen verbunden sind.
Begonnen hat alles vor 13 Jahren, als ich ein Instrument suchte, das einfacher zu transportieren ist als ein Klavier und leiser und vielfältiger zu spielen ist als mein Dudelsack. Akkordeon schien mir geeignet. Meine Vorstellung dabei war, ein wenig Lieder begleiten können, ein wenig Musettewalzer spielen, und das überall und jederzeit. Aber das kann man hier:
https://www.musiker-board.de/plaude...nisten-vorstellungsthread-13.html#post3037086
nachlesen.
Erste Gehversuche auf dem Akkordeon mit Hilfe der Akkordeonfibel von Hans Lüders und der Holzschuh Akkordeonschule.
Diese beiden Hefte habe ich nach sehr kurzer Zeit beiseite gelegt, es war mir einfach zu albern mich mit Kinderliedern, die zudem noch auf einen Primitivstandart vereinfacht werden zu befassen. Ein weiterer Versuch mit der Haas-Schule die Herangehensweise sagte mir mehr zu, die verwendeten Melodien auch, trotzdem kam nach kurzer Zeit die Erkenntnis, daß ein Lehrer her musste.
Nach diesen 12 bis 16 Monaten war ich auf dem Stand, daß ich einfache Lieder nach Gehör spielen und mit dem harmonischen Grundgerüst (T S D T) begleiten konnte.
Die Suche nach einem Lehrer gestaltete sich schwierig. Meine Forderungen an den Lehrer bzw. die Lehrerin waren: Unterricht nach 17 Uhr (ich bin berufstätig), keine Primitivkinderlieder, keine Etuden, die nur den Sinn haben bestimmte Geläufigkeiten zu üben aber musikalisch ohne Wert sind und Mitsprache bei der Auswahl der Musikstücke. Ungefähr 10 Lehrer und Lehrerinnen haben abgelehnt, der 11. fand das ok, bei dem bin ich heute noch. Der spielt übrigens Knopf und redet mir daher nur auf Anfrage in meine Fingersätze hinein.
Von da an habe ich eigentlich sehr gute Fortschritte gemacht. Das kann ich für mich aber nur in der Rückschau so sagen, während der Jahre hatte ich oft das Gefühl nicht einen Millimeter weiter zu kommen. Den Spruch des Lehrers, daß das Stück schon viel besser geworden ist, hielt ich meistens für wohlwollende Motivation.
Was hat nun der Unterricht bei mir bewirkt?
Der Lehrer hat mir ganz zu Anfang erst mal die Angst vor dem Instrument genommen, ich habe es immer zu vorsichtig angefasst, mich nicht getraut den Balg kräftig und auch mal sehr weit auszuziehen, weil ich immer befürchtete es ginge etwas kaputt. Damit habe ich einen gehörigen Sprung in der Interpretation der Stücke gemacht. Ich habe gelernt, die dem Instrument innewohnende Dynamik zu nutzen.
Er hat mich genötigt, vor Publikum zu spielen. Zunächst natürlich vor sehr kleinem Publikum, inzwischen auch vor größerem. Auch das hat eine enorme Entwicklung angestoßen. Ich übe anders, wenn ich weiß, daß ich das Geübte vorspielen werde. Viel wichtiger aber noch: ich bekomme eine Rückmeldung zu dem was ich spiele, und die ist in der Regel nicht schlecht.
Er bringt mir auch schon mal einfache Stücke mit, die ich zwischen die Konzertvorbereitungen schiebe, das weitet den Blick und entkrampft.
Was mich auch immer wieder weiterbringt sind die Diskussionen über die Stücke, die ich präsentiere um sie zu erlernen. Oft passiert es mir, daß ich ein Musikstück finde, das ich spielen möchte, es mir für das Akkordeon einrichte, so gut ich das kann und dabei dann manche Schwierigkeit des Stücks nicht erkenne. Die Gespräche dazu sind ausgesprochen fruchtbar und geben eine hohe Motivation zu üben.
Ein weiterer Punkt, der mich motiviert hat und damit einen Sprung nach vorn ermöglichte, war, mir auf Konzerten guter Akkordeonisten etwas abzuschauen, auch dazu hat mich der Lehrer immer wieder ermutigt.
Was unter dieser Art mich zu entwickeln eindeutig gelitten hat, ist das nachspielen von gehörten Melodien. Ich habe mich im laufe der Zeit immer mehr von Noten abhängig gemacht. Bisher habe ich das nicht als nachteilig empfunden, merke jedoch inzwischen, auch durch diese Diskussion, daß mir da etwas fehlt, was ich doch wieder reaktivieren möchte.
Ebenso fehlt mir noch die Fähigkeit ein Stück einfach mechanisch vom Blatt herunter zu spielen. Auch das möchte ich noch einigermaßen lernen.
Zwei Dinge gibt es noch, die mich ein Stück nach vorne gebracht haben:
Der Kauf eines neuen und sowohl vom Klang, als auch von der Handhabung besseren Instruments. Das war zunächst ein Rückschritt, weil ich mich erst daran gewöhnen musste, auch die Erkenntnis, daß ich ein Stück nicht mehr spielen kann, weil die Registrierung nicht mehr passt, dann aber sehr schnell große Schritte nach vorn hin zu besserer Interpretation und viel vertrauterem Umgang mit dem Instrument.
Das zweite war, daß ich eine Schülerin unterrichte, nicht weil ich so gut wäre oder der geborene Akko-Lehrer, sondern weil die Eltern (aus der Nachbarschaft) einen Lehrer suchten, zu dem das Kind nicht mit dem Auto hingekarrt werden muß. Dieser Unterricht und der Zwang mich wieder mit den einfachen Dingen beschäftigen zu müssen, bringt mich selbst auch wieder ein Stück weiter.
Was sich durch meine gesamte Zeit des Akkordeonlernens hindurch zieht ist, daß ich selbstbestimmt lernen möchte, daß ich die Zusammenhänge verstehen möchte, daß ich dadurch die Freude am Spielen und am Experimentieren behalten habe und dabei völlig verlerne zu denken, alle anderen seien sowieso besser als ich.
Vielleicht könnte ich bei anderer (professionellerer) Vorgehensweise heute viel besser spielen, aber so gut wie meine Vorbilder (Du Klangbutter gehörst dazu) werde ich sowieso nicht mehr, dafür fehlt mir die Lebenszeit, und bisher habe ich in meinen Akkordeonlehrjahren viel mehr Freude, Befriedigung und Erfolg gehabt als das während meiner Jugend mit dem Klavierspiel der Fall war.
Ich könnte noch endlos schreiben, aber dann wird es zu lang und zu einseitig.
Ob dieser lange Sermon jetzt jemandem weiterhilft weiß ich nicht, ich stelle ihn einfach mal ein.
Gruß
Reini2