Mir ist bei dieser Debatte über die wechselhaften Einflüsse und die Vielfältigkeit des Blues zum einen und so etwas wie dem Kern oder zumindest Kernelementen des Blues zum anderen der song "where did you sleep last night" eingefallen.
Wer sich ein bißchen einlesen möchte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Where_Did_You_Sleep_Last_Night
Von 1926 stammt die erste bekannte Tonaufnahme, der song wurde nicht nur unter verschiedenen Titeln ("In the Pines", "Black Girl", "My Girl", "The longest Train") bekannt, sondern auch in verschiedenen Spielarten wie Folk, bluegrass, Hillibilly, zumindest Elemente entstammen einem traditional (Appalacha) und der song selbst wurde zuletzt bekannt durch eine unplugged-Version von nirvana, die wiederum etliche covers hervorrief. Wir reden hier also von sicher über 100 Jahren Musikgeschichte.
Hier als Blues-Titel von Leadbelly, dort etwa von 1947:
Hier die unplugged-Version von Kurt Cobain von 1993, noch sehr nahe an der Version von Leadbelly, aber sozusagen zeitgemäßer umgesetzt.
In der MTV-unplugged-Aufnahme auf youtube erzählt er ein bißchen was darüber, aber das hätte hier die Länge etwas gestreckt. Findet man aber leicht.
Bleiben wir kurz beim Historischen - hier eine bluegrass-Aufnahme von 1952 - von Bill Monroe And The Bluegrass Boys:
Nun zu zwei neueren Versionen des songs - die erste von Nomy ist von 2018:
Diese Version ist von Mark Lannegan und von 1990:
In meinem Empfinden (und ich begebe mich nun ohne große Scheu als Nicht-Blues-Experte in diesen thread) sind die Fassungen von Leadbelly und Nirvana eindeutig dem Blues zuzuordnen.
Die Version von Bill Monroe (da könnte man sicherlich auch noch sehr viele andere Versionen etwa von Dolly Parton, The Loving Brothers, Ralf and Carter Stanley und viele andere nennen) ist klar bluegrass, andere eher Folk - um nur zwei weitere Genres aufzuführen. Heißt: es gibt mehrere Spielarten des songs aus etwa der gleichen Zeit, die - musikalisch, textlich und interpretatorisch - allesamt funktionieren und überzeugen können. Und sich musikalisch von der Blues-Fassung unterscheiden lassen. Soll sich die Wissenschaft damit beschäftigen, was zuerst da war und welche Fassung welche andere beeinflusst hat - falls das überhaupt geht und mal unabhängig davon, welchen Sinn das macht.
Interessanter finde ich, nachzuvollziehen und darüber zu diskutieren (wobei ich hoffe, dass der song etwas erhellendes dazu beiträgt), welche Elemente und was es ausmacht, dass wir bei dem einen von Blues sprechen und beim anderen eben nicht. Die Unterschiede liegen für mich klar in den Ohren, so to say.
Bei den letzten beiden Versionen finde ich eher interessant, dass es der gleiche Text ist und die gleiche Grundmelodie und Akkorde (wenngleich eher von der bluegrass-Seite als von der Blues-Seite kommend - aber da vermute ich es mehr als ich es weiß) - und dennoch würde ich bei beiden Versionen nicht von Blues reden. Mag sein, dass da auch ein Blues-Anklang irgendwo da ist - aber es ist für mich kein Blues.
Interessant finde ich weiterhin, wie zwischen den Versionen entweder das 6/8tel- oder das 3/4tel-Feeling betont wird oder auch - ebenfalls in den letzten beiden Versionen die rhytmische Basis eher verschwimmt.
Für weiter interessierte: Hier gibt es einen link zu einer youtube-Zusammenstellung verschiedener "In the pines"/"Where did you sleep last night"-Versionen (auf die ich natürlich ganz zum Schluss gekommen bin, da meine Spur mit Leadbelly und Nirvana anfing):
https://www.youtube.com/watch?v=IZFYTp8bZ00&list=PL6AINSH9vTTJKYjoCYv8V-O9DUKUJLy0D&index=2
So weit erst mal von meiner Seite
x-Riff