Was ist Ziel beim Freejazz -Zusammenspiel?

Hören hilft. Vielleicht hilft es, sich mal den Jazz der späten 60s, am zeitlichen Übergang zum (grob gesagt) Free Jazz (in amerikanischer Tradition) und der Free Music (in europäischer Tradition), anzuhören. Und dann historisch immer etwas weiter gehen. Ist dann das Bildungsprogramm für das nächste Vierteljahr. Jeden Tag eine CD / einen Youtube-Clip.
Beitrag automatisch zusammengefügt:

Ich kann Free Jazz auch nicht viel anfangen, weder aktiv noch passiv. Da ich mich inzwischen auf die 60 zubewege, sind die Chancen wohl auch eher gering, dass sich daran noch was ändert.
Bist halt zu jung;-)
Ich habe den Kram in homöopathischen Dosen immer wieder gehört, seit Ende der 60er, da ging ich noch nicht in die Schule... Ich werde aber immer wieder von vielen neuen und alten Sachen überrascht, die ich noch nicht kenne. Klar: Nicht alles ist gleich gut und / oder spannend.
 
Meine These: man muss keine Musik gut finden. Ich kann mit Freejazz absolut nichts anfangen, obwohl ich über ein halbes Jahrhundert immer wieder mal versuche, die Töne zu verstehen. Mein Spaß fängt an, wenn die Free-Ebene verlassen wird und Fusion beginnt.
Beim Freejazz ist die Interaktion das entscheidende, von ein paar "Zerstör-Jazzern" mal abgesehen, ist Freejazz das Ergebnis vom Augenblick, wie die Musiker aufeinander reagieren, wie sie interagieren. Die Musik passiert in diesem Augenblick und es fließt alles mit ein: die Mitmusiker, die Instrumente, der Raum, die Zuhörer.
Keines kann für sich stehen, zusammen gibt es Musik.
Keine Frage, das kann mal mehr mal weniger sein, aber auch nicht jede andere Unterhaltung ist immer auf Höchstniveau.


So ist die Welt: bei mir hört der Spaß auf, wo der Fusion beginnt - ist mir gänzlich entbehrlich.
 
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Es gibt beim Freejazz ja auch ganz unterschiedliche Modelle: Freie Improvisation mit "vorbereitetem" Konzept oder gänzlich unvorbereitete gemeinsame Improvisation.

Bei einem meiner Auftritte gab es ein Würfelkonzept: 6 Musiker haben je eine Zahl bekommen, im Publikum wurde gewürfelt, und wessen Zahl drankam, der mußte spielen. Wenn seine Zahl wieder gewürfelt wurde, mußte er wieder aufhören. So entstanden vom Solo bis zum Sextett alle möglichen Konstellationen, und es war ungeheuer spannend, wie die einzelnen Musiker in den freien Improvisationen aufeinander eingegangen sind. Dabei gab es lustige und ergreifende Momente, es gab ruhige und voll abgehende Musik, also an Vielfalt kaum zu übertreffen. Das lustigste war, daß am Schluß tatsächlich nur noch ein Musiker spielte und dessen Zahl dann zufälligerweise wieder gewürfelt wurde. Er mußte also aufhören, und damit war das Konzert beendet.

Einmal haben wir mit einem Freejazz-Orchester Steve Lacy's Precipitation-Suite aufgeführt. Steve Lacy's Konzept gibt dabei einige Improvisationsvorgaben, der zum Improvisieren verwendet werden sollen, wie z.B. einen Tonvorrat oder rhythmische Anweisungen in Textform u.v.a. Bei uns klang das dann völlig anders als in diesem Ausschnitt:


View: https://www.youtube.com/watch?v=0yINjpOZWJY

Dann gab es ein Dirigat, in dem ein Dirigent z.T. nach vorher abgesprochenen Zeichen, z.T. mit freien Gesten das Orchester anleitete. Es gab aber auch die völlig freie, konzeptlose Improvisation, die immer sehr Überraschendes zu Tage brachte.

Das Ganze funktioniert aus meiner Sicht nur, wenn alle Musiker
  1. ihr Instrument möglichst perfekt beherrschen,
  2. gewohnt und geübt darin sind, den Kollegen zuzuhören und auf die Ideen der anderen einzugehen und
  3. in der Lage sind, selbständig eigene Ideen in die improvisierende Gruppe zu geben, die dann wieder von den anderen aufgenommen werden.
Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen:
was ist das "Ziel" beim Freejazz-Zusammenspiel?
Meine Antwort: Kommunikation. Es entstehen musikalische "Gespräche" zwischen den Musikern. Die können aber vom tiefsinnigen Dialog bis zum Geschnatter am Esstisch der italienischen Großfamilie alle möglichen Formen annehmen.

Diese Kommunikation macht aber für mich grundsätzlich den Sinn des gemeinsamen Musizierens aus. Z.B. macht es in einer "normalen" Jazzcombo keinen Spaß, zum Playalong des Solisten degradiert zu werden. Wenn keine Interaktion stattfindet, ist es fad. Und das schöne daran ist, daß man immer auf andere, neue Musiker stößt, damit seine eigene Spielweise jedesmal neu ausrichten muß und so immer neue Gespräche entstehen. Damit entfällt jegliche Routine und man muß sich immer wieder neu erfinden.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich mochte hervorheben, daß es verschiedene musikalische Organisationsformen gibt, und einiges davon findet sich in Free Jazz, Fusion (i.w.S.) und Phree Phunk wieder.

Auch in "außereuropäischen" Musiken ist Improvisation (geschweige Kollektivimprovisation) keineswegs so "frei" wie manchmal behauptet wurde.

Es bedarf ernsthaften Studiums, um einen Maqām, einen Rāga oder ein Jazz-Stück mit Harmolodik (begründet von Ornette Coleman) oder M-Base (Steve Coleman) formgerecht und semantisch sinnvoll aufführen zu können.

Dem zuzuhören kann äußerst interessant sein.

Es geht (zumindest bei ernstzunehmenden Ansätzen) keineswegs um eine bilderstürmerische Haltung wie "Nieder mit der tonalen Organisation!" Im Gegenteil, die tonale Organisation kann äußerst komplex werden.


PS: Ich bin über die allgemeine Ahnungslosigkeit etwas verwundert. Da muß wohl der schulische Unterricht um's andere Mal versagt haben. Allgemeinbildung, ha ha... :hat: Jedenfalls begegnet auch Musiklehrern im Studium etliches, und es stand auch viel in einem unserer Oberstufenlehrwerke, Wenn man sich als Schüler nicht interessiert, dann kommt das halt vor. Man wird eh' mit zu viel Stoff zugemüllt. "Weniger wäre mehr gewesen", LOL :coffee:
 
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Free Jazz ist die Form, das, was man kann, zu nutzen, um das, was man weiß, zu verlassen.
 
Da fällt mir ein, Experimentieren wude mal ganz groß geschrieben, auch im Fusion dann noch. Das war eine Möglichkeit, Können wie Wissen zu erweitern.

Aber schon zu meiner Zeit waren die meisten nicht mehr dazu zu bewegen. Keine Ahnung was in denen vorging :(

Beim Stichwort "Nebeneinander-Herspielen" fiel mir noch ein, es kann vieles so mißverstanden werden. Es ist nicht nur, daß man was man vorfindet ständig reinterpretieren kann. Ganz klassisch kann man auch wie bei John Coltrane in den '60ern eigene Schemata alterierter Akkorde improvisieren. Und sich aus Skalen "herausspielen", im Extrem bis man die eher "umspielt". Das kann äußerst faszinierend sein.

Zu "moderner" Harmonik empfehle ich mal wieder eines meiner Lieblingsbücher: Persichetti, 20th Century Harmony. Da kam ich übrigens drauf, weil es in der kurzen Literaturliste von Rick Laird's (bekannt aus dem ersten Mahavishnu Orchestra) schönem Baßlehrbuch stand. Eine wirklich gute Empfehlung (y)
 
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Da fällt mir ein, Experimentieren wude mal ganz groß geschrieben. ... Beim Stichwort "Nebeneinander-Herspielen" fiel mir noch ein, es kann vieles so mißverstanden werden....

Gbit es denn eigentlich so etwas wie Regeln, die vorschreiben, was man sich musikalisch zu sagen hat? Oben wurde das gut beschrieben: von "Geschnatter" bis hin zu "ernsthaften Gesprächen".

Oder eher anders geschrieben: Gibt es denn hier auch "No Go's" und wenn ja, wer legt sowas fest? :gruebel:
 
Ja, wie ich schon diskret andeutete, das kann sogar äußerst komplex werden. Hängt aber vom gewählten theoretischen Rahmen ab.

"Geschnatter", nun gut... Etwa Harmolodik konnten in D nicht viele. Gut war v.a. Joachim Kühn.
 
...Gbit es denn eigentlich so etwas wie Regeln, die vorschreiben, was man sich musikalisch zu sagen hat?...:gruebel:
das können die Musiker vorher bestimmen, welchen Rahmen, bzw. keinen Rahmen sie sich setzen wollen.
Kommt auch drauf an, welche Rahmen die Musiker in der Lage sind auszufüllen.

Ich hab drumrum geschwurbelt, McCoy hats auf den Punkt gebracht: Kommunikation!
Das ist halt die Frage, wie kommunikationsfreudig die Musiker sind - ist wie im richtigen Leben: einige haben was zu sagen, einige haben nur Luftblasen...
 
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Ein Buchtipp zum Thema:

Herbie Hancock beschreibt in seiner Autobiografie "Möglichkeiten" unter anderem, wie er seine Entwicklung zum Free-Jazz erlebt hat. Wie er zusammen mit seinen Mitmusikern Konzepte entwickelt und umgesetzt hat und sie so den "heißesten Scheiß" zu Gehör gebracht haben, den man bis dahin kannte.

Das Buch zu lesen lohnt sich wirklich, nicht nur für ausgesprochene, bekennende Jazz-Fans. Es hilft, vieles besser zu verstehen.

Zu Hören ist das z.B. auf "Mwandishi" von Herbie Hancock. Die Mwandishi-Formation war seine R&D Abteilung aus den frühen 1970ern und wird dem Fusionjazz zugeordnet.
 
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