Gibt es noch mehr Gitarristen im Board, die die Kombination aus Tradition und Moderne zu schätzen wissen und dies austarieren? Welches Handwerkszeug, welche Kombis nutzt ihr? Und wie würdet Ihr Vintage definieren, bzw was bedeutet der Begriff für Euch?
Wie gehe ich mit Tradition und Innovation um?
Für mich gibt es vier wesentliche Aspekte: Bespielbarkeit/Bedienbarkeit, Sound, Optik und Preis. Um Tradition und Innovation geht es mir im Grunde nicht, aber natürlich spielen diese Aspekte eine untergeordnete Rolle. Nach diesen Aspekten betrachtet verhält es sich so:
Bei meiner
Fender Classic Player 60s Strat paart sich die Vintage Optik mit dem Sound der 60s mit einer modernen Bespielbarkeit. Das bedeutet für den optischen Aspekt eine Lackierung in Sonic Blue, ein mint-grünes Pick-Guard, synchronisiertes Vintage Style 2-Punkt Tremolo mit gestanzten Stahl-Saitenreitern, Vintage Style Stimmmechaniken, altweiße Schalterkappen und altweiße Drehregler. Für den Sound stehen vor allem die PUs, das sind Fender Custom Shop 69s Single Coils. Für die moderne Bespielbarkeit stehen dagegen die Jumbo Medium Bünde und ein Griffbrettradius von 12", in dem Fall mit einem modernen schlanken C-Profil. Gepimpt habe ich nur die Schaltung, so habe ich 7 anstelle von 5 Soundmöglichkeiten, und den Block für mehr Brillianz im Tone.
Bei meiner
Gibson Les Paul Studio paaren sich die eher traditionellen Gibson PUs 490R und 498T und die traditionelle Halsform eines schlanken 60s-Style Profils mit einem new modern weight reliefed Chambered Body, ebenfalls mit einem Griffbrettradius von 12" mit vor allem einem Fretboard aus Granadillo, das nicht nur optisch massiv vom traditionellen Lock abweicht, sondern auch mittenstärker betont und damit einen Einfluss auf den Tone hat. Granadillo ist ein rötliches Holz und passt damit für mich perfekt zur Optik der Paula in Winered mit Goldhardware.
Bei meiner gepimpten
Squier Classic Vibe 50s Strat paaren sich ein moderner Hals von Rockinger für die moderne Bespielbarkeit, wie bei der CP60s, ebenfalls mit Jumbo Medium Bünden, einem Griffbrettradius von 12" und einem schlanken C-Profil mit dem 50s Sound der Fender CS Fat 50s PUs, die aber auch in modernen Standard US Strats verbaut sind. Da stellt sich schon die Frage, ob die als Vintage oder Modern zu bewerten sind? Da der Hals von Rockinger ist, trägt die Kopfplatte keinen Markenname. Im Grunde ist meine gepimpte CV 50s eine Annäherung an die
Fender Strat #00001, die einst David Gilmour bessen hat und von der er sich am 20. Juni 2019 für 1.815.000 US $ trennte. Mir hat sie knapp 1.000 Euro gekostet und eine Menge Erfahrung beim Pimpen gebracht. Klanglich ist sie Güteklasse 1A+. Hier habe ich erstmals die Gilmour Schaltung seiner Black Strat ausprobiert, und meine Strat #0001 der Güteklasse 1A+ hat 7 anstelle von 5 Sounds.
Mein ES-335 Modell ist eine
Epiphone Sheraton II, die durch Pimpen akademische Reife erreichte. Die PUs sind von Wolfetone und nennen sich Dr. Vintage. Jumbo Medium Bünde und ein Griffbrettradius von 12" habe ich auch hier. Die Epiphone sieht für mich um Klassen besser als eine
Gibson ES-335 aus, und mit der akademischen Graduierung durch Dr. Vintage ist sie eine kostengünstige Variante zur - für meine Begriffe - völlig überteuerten ES-335 von Gibson.
Ergänzend zu meinen eher Vintage-oriented Gitarren habe ich auch eine eher modern gehaltene Strat. Eher modern schreibe ich wohl deswegen, weil es sich um eine gepimpte
Squier Bullet Strat handelt, bei der ich Anlehnung an eine Ernie Ball Music Man Luke I Signature Strat genommen habe. Nachdem Steve Lukather mit Toto schwerpunktmäßig die 80er dominierte frage ich mich gerade, ob man diese Strat noch modern nennen darf, oder ob sie nicht doch auch schon Vintage ist, oder irgendwo dazwischen? Neben dem Steve Lukather EMG SL-20 PU Set (SLV + 85) weist meine "Luke" einen exotische Hals von Warmoth aus, dieser ist aus Ahorn und hat ein Griffbrett aus Satine, auch Bloodwood genannt, mit einem wunderschönen roten Farbton. Wer mitgelesen hat, den wird es nicht wundern, natürlich wieder mit Jumbo Medium Bünde und einem Griffbrettradius von 12". Der Body ist Basswood in Arctic White. Linde eignet sich hervorragend für Zerrsounds und High-Gain, was den klanglichen Aspekt betrifft. Diesen Kontrast benötigt auch das Satine Fretboard. Das Pickguard in Tortoise Shell Parchment habe ich nach optischen Überlegungen zum rötlichen Griffbrett und zum arktisch weißen Korpus gewählt. Auch diese Strat hat keinen Brand auf der Kopfplatte.
Keine meiner Gitarren hat die 1.000 Euro Schwelle überschritten, um die preisliche Komponente nun auch noch zu erwähnen. Meine einzige Gitarre, die über 1.000 Euro gekostet hat, ist meine
Ovation Elite Plus C2078AXP-OAB in Olive Ash Burl mit einem Griffbrettradius von - nein diesmal nicht 12" - sondern lediglich 11 13/16’’. Eine traditionelle Steelstring von Ovation, die für nicht traditonelles Gitarrendesign stehen, mit modernen Features und modernem Look.
Bei der Auswahl meiner
Amps stehe ich auf Tradition. Ich liebe die Sounds der legendären Verstärker, insbesondere des 1973
Hiwatt DR-103, des
Marshall Plexi Super Lead 1959, des
Fender '59 Bassman, des
VOX AC-30 und des
Marshall JCM-800. Damit das ganze preislich erschwinglich und roadtauglich ist, spiele ich nicht traditionel über die Amps, sondern modern über einen Modeler. In meinem Fall ist das
Line6, hier schätze ich die Soundqualität zum günstigen Preis und die intuitive Bedieneroberfläche. Bislang hat mich meine Amp-Potpourri im teuersten Fall 500 Euro gekostet. Wobei zu erwähnen ist, dass ich bereits zwei mal investiert habe, um modern zu bleiben. Und derzeit vor dem Wechsel in die 3. Generation stehe. Nach dem POD 2.0 in Kombination mit dem Toneport UX1 kam das POD HD 500. Nun denke ich an den Wechsel auf Helix, damit werden es diesmal doch etwas über 500 Euro werden. Bei mir geht der Gitarrensound sehr modern über meine eigene PA. Steht eigentlich jemand auf Vintage PA? Über die PA röhren auch Modelsounds und so geht soundtechnisch voll die Post ab, egal ob vintage oder modern oriented.
Was bedeutet Vintage für mich?
Vintage ist für mich ein Marketing-Begriff. Worum es bei solchen Strategien geht ist ein Reframing von Begriffen, die nicht positiv besetzt sind und sich darum nicht zur Verkaufsförderung eignen. Wer will schon ein "
altes" Instrument? Alt wird mit "
veraltet" assoziiert. Eine "
Antiquität" will auch niemand im Zusammenhang mit Instrumenten. Eine Antiquität ist wertvoll, die stellt man aber auf, um sie anzusehen. Einen "
Oldtimer" will auch niemand, ein Oldtimer ist langsamer und technisch nicht mehr zeitgemäß, versprüht einen nostalgischen Charme, kann aber leistungsmäßig und vom Komfort her mit zeitgenössischen Modellen nicht mithalten.
Und da kommt "
Vintage" ins Spiel der Verkaufsförderung. Vintage ist eine Antiquität, also wertvoll. Vintage hat den Charme des Originals. Was Vintage aber vom Oldtimer unterscheidet ist, Vintage ist brandaktuell, sogar leistungsstärker als die modernen Modelle. Und das ist es, was bei den Konsumtenen zieht.
Leistungsstärker? Klingt also besser? Spielt sich also besser? Was ist an den Vintage Instrumenten nun besser? Hier hat schon Edward Bernays, Godfather of PR, 1928 in seinem Werk Propaganda die Mechanismen zur Manipulation der Massen beschrieben, die heute zum kleinen Einmaleins der Lobbyisten gehören. Die zentrale Message lautet: Es kommt nicht darauf an ob Aussagen wahr sind, man muss sie nur oft genug wiederholen, damit sie geglaubt werden.
Vintage ist eine Begrifflichkeit, die für mich unsauber genug definiert ist, so dass man viel darunter verstehen kann und genug Spielraum für eigene Interpretationen bleibt. Würde man die Definition eines Oldtimers hernehmen, dann wären Instrumente, die älter als 25 Jahre sind, bereits Vintage. Damit wäre jedes Equipment, das vor 1997 produziert wurde, aus heutiger Sicht bereits Vintage.
Vintage muss sich auch von
Road Worn abgrenzen. Road Worn Instrumente wären - nach den Gesichtspunkten von Antiquitäten - Fälschungen. Auch hier braucht es ein Reframing, wer will sich schon nachsagen lassen, dass er eine Fälschung spielt?
Da eine gute Marketing-Strategie die Gefühle erreicht, wird ein
Image generiert. Nun geht es bei einem Image um das Bild, das sich ein Einzelner oder eine Gruppe von einem Einzelnen, einer Gruppe oder einer Sache macht. Es geht bei einem Image um eine feste Vorstellung vom Charakter oder von der Persönlichkeit, nicht um die "Wahrheit".
Und das Image von Road Worn spiegelt zweierlei Wahrheiten vor: einerseits hat der Spieler mit genau diesem Instrument schon unzählige male gespielt, war damit auf der Bühne und auf Tournee. Er ist demnach ein echter Musiker. Andererseits ist er ein richtiger Draufgänger, der sich nicht viel um Ordnung kümmert, also nicht der Typ Pensionist, der seinen Oldtimer jeden Sonntag aufpoliert und nur bei Schönwetter Ausfahrten macht. Natürlich gibt es auch jene, denen die geschunde Optik gefällt, und die trotzdem nicht verbeulte und verrostet Autos fahren, die sich auch vom Schwarz/Weiß-Fernsehen lösen konnten und deren Möbel und Inneneinrichtung nicht Road Worn ist. Das würde ich dann als modischen Aspekt sehen, ähnlich wie zerrissene Jeans. Das Image aber bleibt, denn Image ist ein etabliertes Vorstellungsbild.
Was ist für mich nun Vintage? Für mich steht Vintage für ein originales, altes Instrument, das seine Zeit überlebt hat, oder für einen Nachbau. Wenn jemand mehr damit verbindet, dann seh ich das als Ausdruck von Nostaglie, aber einen Mehrwert hat Alter und Original für mich nicht.
Mir ging es hier eher um Leute wie z.B. Thomas Blug, denen nichts z.B. über „ihre“ 63er Strat geht. Andy Summers greift auch immer wieder zu „seinen“ alten Schinken; Eric Johnson; Larry Carlton; Robbin Ford;…
Da fallen immer wieder Aussagen wie „… ein vintage Instrument ist dann doch noch mal eine andere Liga…“
Für mich haben solche Aussagen zwei Aspekte. Einerseits greift so ziemlich jeder gerne zu seinen "alten" Instrumenten, die er sich zu Beginn seines Schaffens gekauft hat, und auf denen er Spielen gelernt hat. Und andererseits sind auch Thomas Blug, Andy Summers & Co nicht davon befreit, dem Narrativ der Marketingstrategen aufzusitzen.
Dazu kommt, dass jemand, der viel Geld für etwas ausgibt - das gilt auch für die erhaltenenen Originalinstrumente der 50er und 60er - und dann ein wirklich gutes Gefühl hat, diese Instrumente zu besitzen, diese niemals schlecht reden würde. Das wäre wie zugeben, dass man eine Menge für etwas ausgegeben hat, das diesen Preis nicht rechtfertigt. Da steht man im Licht der Öffentlichkeit dumm da, hat Erklärungsnotstand, und das will niemand. So erklärt sich für mich persönlich diese Aussage: mein Vintage Instrument in eine andere Liga.