Das Problem mit der ganzen Problematik ist einfach die Komplexität und nicht-Vergleichbarkeit von Umständen und dazu die komplette Subjektivität und diverse psychoakustische Phänomene.
Man sollte hier einfach mal unterscheiden zwischen Dingen die man irgendwie nachweisen kann und Dingen die subjektiv wahrgenommen werden.
Was man z.B. messen könnte:
- Änderungen am Holz, z.B. Resonanzverhalten, Feuchtigkeit, Kristallisation (-sgrad) von Harzen
- Änderungen am Obertonverhalten
- Sustain
- evtl sogar Spannungen im Holz (das dürfte allerdings etwas aufwändiger sein)
Probleme dabei:
- äußere Einflüsse müssen exakt gleich sein (gleiche Position im gleichen Raum, gleiche Luftfeuchte, Temperatur etc pp)
- Saiten altern
- genormte Anschläge dürften problematisch sein, bzw müssten maschinell erledigt werden
- man bräuchte wissenschaftliche Messgeräte
- man müsste Messreihen machen mit einigen Gitarren zu verschiedenen Zeitpunkten etc
Soweit ich weiß hat sowas noch nie jemand etwas ernsthafter gemacht.
Wir haben also keine wissenschaftliche Basis und Daten auf die wir zurückgreifen könnten, sondern nur subjektive Eindrücke und zusammenhanglose Anhaltspunkte.
Da kommen nun noch mehr Probleme zusammen:
- Daten von verschiedenen Gitarren
- Eindrücke von verschiedenen Personen geschildert
- teilweise gegenseitige Beeinflussung von diesen Personen
- kaum Aussagen über Qualifikation dieser Personen
Jetzt kommen noch ein paar psychische und psychoakustische Dinge ins Spiel:
- wir hören uns gerne Dinge zurecht, d.h. unser Gehör fokussiert auf verschiedene Dinge, wenn wir uns darauf konzentrieren und blendet Anderes aus
- wenn wir Dinge beurteilen nehmen wir diese beeinflusst von unserem Vorwissen, Skepsis, Tagesform und Stimmung wahr
- unser Gedächtnis für Klänge ist nicht unfehlbar, gerade über längere Zeiträume
Jetzt gibt es verschiedene Fälle die hier diskutiert werden:
1) "Meine Gitarre klingt heute viel besser als vor 3 Jahren"
Dann müsste man rückfragen:
- sind es dieselbe Art Saiten, dieselbe Stärke, dieselbe Stimmung?
- ist es immer noch derselbe Raum, dieselbe Position?
- ist deine Technik vielleicht "besser"/anders geworden? Neue Plektren, anders gefeilte Nägel, generell "besserer" Anschlag?
- erinnerst du dich wirklich noch ganz exakt, wie sich die Gitarre damals angehört hast?
- hat sich dein Gehör evtl über die Jahre verändert?
und nur wenn man alle diese Fragen in Richtung "es hat sich nichts verändert" beantworten kann, kann man darüber reden, dass sich vmtl die Gitarre verändert hat.
2) "Meine Gitarre klingt heute besser als gestern"
- fühlst du dich heute anders als gestern? wacher, fitter, müder, genervter
- sind deine Ohren ähnlich angestrengt? morgens vs abends, Zeit in lauter Umgebung verbracht etc
- sitzt du an derselben Position im gleichen Raum?
etc pp
3) "Meine Gitarre klingt jetzt besser als vor 2 Stunden"
- warst du da schon ähnlich eingespielt?
- bist du ähnlich müde, hungrig, etc
- Ohren ähnlich angestrengt?
etc pp
Das Problem ist einfach, dass sich permanent soviele Variablen verändern, die Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben, dass es wirklich schwierig ist zu unterscheiden was nun aufgrund äußerer Einflüsse bzw psychoakustischer Phänomene wahrgenommen wird, und was tatsächlich eine Veränderung an der Gitarre selbst ist.
Mal ein paar lustige Tests die man machen kann, um zu sehen, wieviel Einfluss schon kleine Veränderungen auf unsere Wahrnehmung haben:
- Setzt euch mit der Gitarre in die Mitte des Raumes und spielt, dann setzt euch einen Meter näher an eine Wand und spielt dort
- Macht eine CD an, hört ein Lied an. Dann hört ihr das Lied nochmal und fokussiert euch auf den Bass. Ihr hört ihn nun viel klarer und "lauter". Aber die Aufnahme hat sich nicht verändert. Nun spielt ein Lied auf der Gitarre. Danach spielt das Lied nochmal, aber fokussiert euch auf den Bass. Der ist nun auch viel klarer und "lauter".. hat sich die Gitarre verändert?
- Spielt ein Lied auswendig auf der Gitarre und versucht dabei einen Artikel in einer Zeitschrift zu lesen. Versucht hinterher zu sagen, ob euer Sound so war, als ob ihr es spielt ohne dabei zu lesen. Geht nicht? Dasselbe passiert in eurem Kopf, wenn ihr unbewusst Dinge des Tages rekapituliert, über Dinge nachdenkt, die euch beschäftigen etc
- Nehmt zwei verschiedene Plektren und spielt dasselbe Lied. Klingt anders? Aber die Gitarre hat sich nicht verändert
- Spielt ein Lied. Dann setzt euch einen Kopfhörer auf und hört laute Musik. Spielt das Lied danach nochmal. Hat sich der Klang verändert?
Meine persönliche Konklusion:
Es ist sehr schwierig wirkliche Aussagen darüber zu treffen, ob sich Gitarren über die Zeit verändern.
Ich persönlich bin eher skeptisch, alleine, weil es soviele Dinge gibt, die unser Gehör und unsere Wahrnehmung beeinflussen. Ich traue mir nicht zu da verlässliche Aussagen zu treffen, und ganz ehrlich spreche ich auch vielen anderen Leuten die Fähigkeit dazu ab. Nicht weil ich ein schlechter Mensch bin, nicht einmal weil ich glaube, dass die die Unwahrheit sagen (bin mir sogar sicher, dass viele Leute das wirklich wahrnehmen), sondern weil ich denke, dass sie dem einen oder anderen Phänomen auf den Leim gehen, ohne es zu merken.
Wenn ich mehrere Stunden übe, klingt es am Ende auch meist besser als am Anfang, aber das könnte sein, weil sich meine Finger erst aufwärmen müssen, es könnte sein, dass ich mich an die Gitarre gewöhnen muss, es kann sein, dass sich mein Gehör drauf einstellt, was ich hören will, es kann sein, dass ich das Stück nach 3h Üben einfach besser spielen kann, es kann sein, dass sich die Gitarre in der Zeit verändert. Alles möglich. Sogar möglich, dass es eine Kombination aus Allem ist.
Ich persönlich glaube sogar, dass meine Gitarre kurzfristig "warm wird", und ich meine das sogar quasi wörtlich. Ich hab z.B. bei meiner Meistergitarre das Phänomen, dass sie immer leicht verstimmt aus dem Koffer kommt. Und wenn ich sie dann stimme, ist sie nach ein paar Minuten wieder verstimmt. Wenn ich sie aber nicht stimme, ist sie nach ein paar Minuten korrekt(er) gestimmt. Ich hab also das Gefühl, dass sich die Gitarre in den ersten paar Minuten quasi akklimatisiert, und ich mache dafür meine Körperwärme verantwortlich. Absolut keine Ahnung ob das stimmt, oder ob ich da auch auf irgendwas reinfalle. Aber mit meinen andern Gitarre habe ich das z.B. nicht, deswegen würde ich nie generelle Aussagen darüber anstellen.
Und hier sehe ich die Problematik: Im Internet werden oftmals eigene Erfahrungen verallgemeinert. Und das ist Quatsch. Wenn jemand meint, dass seine Gitarre über die Zeit besser geworden ist: fein. Aber der Schritt zu "alle Gitarren werden mit der Zeit besser".. sehe ich nicht. Und den zu "alle Gitarren mit massiven Fichtendecken werden besser, die mit Zeder nicht".. sehe ich schonmal gar nicht.
Entweder man beschränkt sich auf subjektive Erfahrungswerte, was ja durchaus okay und zu vertreten ist, oder man macht allgemeingültige Aussagen, für die man dann aber eben auch mindestens eine sehr gute, nachvollziehbare Erklärung oder belastbare Daten haben sollte.
Ganz persönlich bin ich auch eher auf der skeptischen Seite und frage mich: wieso sollte sich eine Gitarre mit der Zeit zum Positiven verändern? Zum einen müsste das 50:50 für besser/schlechter sein, zum anderen müsste man das eher in Kategorien wie "entwickelt mehr Obertöne" (fände ich z.B. bei den meisten meiner Gitarren nicht so toll), "mehr Sustain" (fände ich genausowenig toll) etc angeben "besser/schlechter" sind aussagelos.
So, zum Abschluss außerhalb des Kontextes noch ein paar Dinge, die hier auf den letzten Seiten angesprochen wurden:
Wenn nichts nachweisbar und alles Einbildung ist, dann ist es auch egal, was für Instrumente ihr spielt. Wenn das Gehört keine Erinnerung hat, könnt ihr ja immer hintereinander den gleichen Song von Modern Talking hören.
Das sind zwei andere Prinzipien: niemand bestreitet, dass unterschiedliche Gitarre unterschiedlich klingen, und die Erinnerungfähigkeit des Gehörs beruht auf verschiedenen Parametern. Sich Melodien zu merken ist deutlich einfacher, als sich Klänge zu merken. Zwei sehr ähnliche Melodien voneinander zu unterscheiden ist recht einfach, wenn sie nicht zu lang sind. Zwei ähnliche Klänge zu unterscheiden ist schon schwieriger, wenn sich nur die Obertonstruktur etwas ändert. (einfach mal mit nem Musikprogramm und Equalizer testen. Zieh bei 10.000Hz 3dB raus, das ist schon im Direktvergleich schwierig zu hören)
Die behaupten sogar, dass sich Speaker einschwingen. Kann man natürlich nicht beweisen,
Im Gegenteil. Das lässt sich sogar einfach messen und hängt mit dem Material der Membranen und der hohen Belastung zusammen die diese ausgesetzt sind. Das sind ja teilweise Zentimeter an Hub, die da erzeugt werden.
Und ein Holz mit weniger Dämpfung wäre
dann sicher resonanter.
Die Idee ist gar nicht mal dumm und einer der wesentlichen Unterschiede zwischen E- und akustischer Gitarre:
Die E-Gitarre ist im Grunde ein einziger großer Dämpfer. Es interessiert eigentlich nur, welche Schwingungen der Saiten gedämpft werden, weil diese dann nicht von den PUs übertragen werden.
Bei der A-Gitarre ist es andersrum: hier ist interessant, welche Resonanzen des Korpus angeregt werden, weil diese eben an die Luft weitergegeben werden.
Die Sache ist nur: wenn sich nun durch Veränderung eine neue Resonanz bildet, müsste das ja auf Kosten einer anderen passieren. Das gibt der Energieerhaltungssatz vor: Wenn ich mit der gleichen Kraft anschlage und irgendetwas resoniert mehr als vorher, dann muss dafür im Gegenzug etwas anderes weniger resonieren.
Dazu kommt noch das Problem: wir spielen ja quasi alle Frequenzen auf unserer Gitarre. Aufgrund der Naturtonreihe und unseres Stimmungssystems, welches an manchen Stellen für unser Gehör eigentlich extrem schief ist, regen wir obertontechnisch eigentlich alles an, was da ist.
Warum werden Stradivaris an Musiker verliehen statt sie in den Tresor zu packen?
Das ist eine hochkomplexe Frage, die mMn viel mit Geld, Prestige, Hype, Seltenheit und vielen anderen Dingen zu tun hat. (man könnte sich aber bei der Gelegenheit z.B. mal fragen, wieso 1870er Martins NICHT an Gitarristen, sondern an Filmproduzenten verliehen werden.. *hust*)
Aber hierzu gab es zumindest vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich einen Blindtest.
Das Ergebnis kann man zusammengefasst z.B. hier lesen:
http://www.zeit.de/kultur/musik/2012-01/stradivari-geigen-studie