Ja, nee, is klar.
Alle denken nur an den Wiederverkaufswert, weil man Reviews ja nur hier verfassen und verkaufen geht auch nur hier.
Weil Gitarren sind ja soooo unheimliche Einzelstuecke. Okay, meine Binh sind Einzelstuecke, aber ich glaube kaum, dass eine Gitarre mit meinem Namen auf dem Headstock irgendeinen Wiederverkaufswert hat. Aber Yamaha haut die FG-Serie zu zehntausenden raus. Selbst Martin baut mittlerweile in einem Jahr mehr Gitarren als sonst in einem Jahrzehnt. Und alle entwickeln sich immer und ausschliesslich positiv?!?!
Woher in drei Teufels Namen soll das daemliche Stueck Holz wissen, in welche Richtung es sich entwickeln soll und wann gut ist mit der Entwicklung? Hat das irgendwie Ohren? Kommuniziert das telepathisch mit dem Stammhirn des Musikers? Nochmal: ich habe schon eine ganze Menge Gitarren bespielt, die sich ganz und gar nicht positiv entwickelt haben, weil ueber die Jahrzehnte - wohlgemerkt: Jahrzehnte, nicht Stunden, Tage, Wochen... Jahrzehnte! - grenzwertig dimensionierte Bauteile gealtert sind (ja, Holz altert. Aber in laaaaaaaaaaaaangen Zeitraeumen, nicht von jetzt auf gleich) und dann ausserhalb der vorgesehenen Parameter halt Klangmatsch produziert hat.
In der Kybernetik geht man von "harten" und von "weichen" Systemen aus. Ein "hartes" System wiedersetzt sich Aenderungen, ein "weiches" System passt sich an. Jedwege mechanische Konstruktion - Fahrrad, Auto, Flugzeug, Piano, Blockfloete, Fernseher .... Gitarre - ist hart. Es mag zwar Freiheitsgrade geben, beim Auto z.B. die Aufhaengung, die durch spezifische Bauteilauslegung wie progressive Federn sich an verschiedene Beladungszustaende "anpassen" kann, aber diese "Anpassung" ist reproduzierbar fuer jeden Lastzustand identisch. Es lernt nicht.
Der Mensch hingegen ist ein typisches "weiches" System. Er ist in der Lage Input und Output zu korellieren und in einer Feedbackschleife dynamische Aenderungen vorzunehmen, damit das Ergebnis optimiert wird.
Man sehe sich einen Anfaenger auf der Gitarre an. Der pfriemelt seine Finge ungelenk auf das Griffbrett und schaegt dann an. Es macht ploppplengploppploppplengbing weil diie Finger nicht richtig plaziert sind und der falsche Druck ausgeuebt wird.
Was passiert jetzt?
Magie! Die Gitarre erkennt durch telepathische Direktverbindung in das Stammhirn dass unser Anfaenger einen Gsus4 Akkord spielen wollte und aendert subtil die Resonanzfrequenzen, Spannungen, Saitenpositionen und verschiebt den Steg relativ zur Position der Schlaghand und nach 5 bis 6 Versuchen hat sich die intelligente Gitarre optimal auf unseren Anfaenger eingestellt und alles klingt takko! So soll ein Instrument funktionieren. Es spielt sich auf den Bediener ein!
... oder ist es nicht vielmehr andersrum, dass unser Anfaenger lernt, wie Fingersatz, Position und Druck korellieren und mit wenigen Wiederholungen kann der Anfaenger das Klangergebnis signifikant steigern. Weil das nennt man "lernen" und ggf. Prozessoptimierung und nur weil die Nicht-Anfaenger das nicht mehr bewusst machen muessen heisst es doch nicht, dass es nicht mehr stattfindet. Es gibt so viele Dinge, die mit unbewussten Regelkreisen einhergehen. Bewusst koennten wir noch nicht mal aufrecht gehen, die Kontrolle ueber Bewegungs- und Gleichgewichtssystem is so komplex, dass es nur und ausschliesslich unbewusst verarbeitet werden kann. Genau wie Fahrradfahren, Motorrad fahren, Schlagzeug spielen, Hubschrauber fliegen. Uebrigens in aufsteigender Reihenfolge angeordnet die fuer Menschen am schwersten zu beherrschenden Taetigkeiten die dementsprechend tatsaechlich hauptsaechlich unbewusst gesteuert werden.
Der Mesch ist "weich", er kann lernen, er kann sich anpassen - bewusst und viel mehr unbewusst - und diese unbewusste Anpassung wird gern falsch korelliert. Es fuehlt sich so an, als aendere sich das Instrument, dabei aber aendert sich der Mensch - unterbewusst.
Nochmal: ich habe 26 Akustikgitarren hier. Ich kann also schnell zwischen vielen unterschiedlichen Gitarren wechseln und ich stelle selber fest, dass jeder Wechsel mit einer - relativ kurzen - individuellen Lernphase (a.k.a. Einspielen) verbunden ist. Ich brauche halt ein paar Augenblicke, bis ich die fuer diese Gitarre fuer diesen Klang optimalen Prozesseinstellungen gefunden habe. Die Gitarre hat hier genau gar nix zu tun, ausser zu meinem Input den Output zu liefern. Der Output bleibt bei gleichem Input gleich. Hartes System. Ich aendere - unbewusst auch - den Input und der Output aendert sich.
Der Spieler spielt sich auf das Instrument ein. Der Spieler kann positive von negativen Veraenderungen unterscheiden - die Gitarre kann das ja ganz offensichtlich nicht - und das Ergebnis ist ein positives Feedback - eine Verbesserung des Klanges.
Edit: oder fuer die, die es noch immer nicht begriffen haben: Sollte sich bei einem gegebenen Input der Output eines Systems unabhaengig veraendern, waere ein Lernprozess - besserer Input -> besserer Output - nicht mehr durchfuehrbar, da der Lernende - der Spieler - nicht zwischen gewollter und ungewollter Veraenderung unterscheiden kann und somit das System zwangsweise chaotisch reagiert.