Naja Bladerunner,
wenn Du Dich hier "outest" als einer, der gern teurer kauft, musst Du Dir auch (evtl. unangenehme oder stichelnde) Rückfragen und Kommentare gefallen lassen. Deine Argumentation hast Du aus meiner Sicht nicht so ganz sauber auf den Punkt gebracht. Aber ich kaufe auch gern teurer, das sollte gesagt sein. Ich bin also im Prinzip bei Dir.
Betrachtet man traditionelle Gitarrenmodelle, scheint der Konsens klar zu sein. Die Gitarre (egal ob S-,T-,LP-,335-oder Superstrat) sollte nach Möglichkeit...
- eine für den Spieler gute Saitenlage besitzen
- eine passende Halsform haben
- eine gute Balance anbieten (obwohl: SGs oder Flying Vs...?)
- keine nennenswerten Deadspots aufweisen
- stabil gebaut sein (zB. Hals und Korpus fest miteinander verbunden, Hals verzieht sich nicht)
- stimmstabil sein (gute Hardware, gute Tuner, Sattel ordentlich gefeilt, Hals stabil)
- sich in einem gewissen (angenehmen) Gewichtsrahmen bewegen
- ein gutes Sustain haben
- eine gutes dynamisches Verhalten anbieten
- flexibel verschiedene Sounds anbieten (es sei denn, man braucht nur einen einzigen Sound)
- gute Pickups und sonstige E-Parts haben
- klingen, wie eine Gitarre eben so klingt und sich gut mit dem Rest der technischen Kette (Effekte, Amps etc..) vertragen
So Sachen eben - ohne Gewähr auf Vollständigkeit oder gar 100%igen Konsens. Damit rechne ich auch überhaupt nicht....
Das große Problem und der Streitpunkt ist die Frage nach dem *wie?*. Wie stelle ich möglichst sicher, dass die Gitarre oben genannte Punkte erfüllt? Insbesondere wenn ich eine Gitarre bestelle und womöglich sogar eine hochpreisige Sonderbestellung aufgebe?
Und weiter: braucht man wirklich teure Gitarren oder ist das alles nur Sternenstaub? Sind Teuer-Käufer nur verblendet von der erz-konservativen Tradition, der bunten "ich bin ja so ein Monster-Rocker" Lifestyle-Werbung, dem Gitarrengott-Vorbild, dem Blabla? Reicht nicht auch eine halbwegs ordentliche Squier Strat, um Little Wing zu spielen? Ach: braucht man überhaupt eine Strat, um überzeugend Little Wing zu spielen? Und als Sahnehäubchen: wäre es nicht ohnehin besser, Little Wing endlich mal ruhen zu lassen und musikalisch wie auch klang-ästhetisch den Blick nach vorn zu richten? Hendrix ist seit 45 Jahren tot, SRV auch seit bummelig 25 Jahren.
Teuer-Käufer haben schon lange ein Darstellungsproblem, da sich die (möglicherweise nur vermeintliche) Top-Qualität eben nicht via YouTube Video belegen lässt. Andersherum ist es erheblich einfacher, weil die klangliche Schnittmenge zwischen billigen Gitarren und teuren Gitarren einfach sehr groß ist. Wir kennen alle die Videos, um die es geht und sie haben mMn. auch ihre Berechtigung.
Les-Paul Makeovers zB. sind ein Paradebeispiel für offene Flanken, wenn es um Hohn und Spott seitens der Kritiker geht. Stichworte: Trussrod-Kondom, Long Tenon, Knochenleim, altes Rio-Palisander, Nitro-Lackierung mit Aging, künstlich gealterte Hardware-Parts und womöglich noch eine neue und historisch absolut korrekt geformte Ahorndecke, die zu 99% die Maserung der Green/Moore LP widerspiegelt.
Nun, ich persönlich bin gewillt, an eine Verbesserung der nunmehr 10K teuren Gitarre zu glauben, hören kann man es per YouTube oder Soundcloud aber nun wirklich nicht. Ich jedenfalls nicht, beim besten Willen nicht.
Es ist eine teure Liebhaberei, handwerklich schön anzusehen und soundtechnisch schwer belegbar, die aber auch ganz sicher das "Spielgefühl" verbessert. Und eine solche Verbesserung kann u.U. immens wichtig für den Spieler sein.
Das meine ich jetzt ganz ernst ohne spöttische Hintergedanken, setzt natürlich aber voraus, dass wir wirklich von „Spielern“ sprechen und nicht von reinen Statussymbol-Besitzern. Dann wiederum wird es zu einer reinen Liebhaberei. Eine geflammte (deutlich teurere) Ahorndecke klingt keine Deut besser als eine Plain-Maple Decke. Das wird jeder halbwegs gerade denkende Spieler, Liebhaber, Gitarrenbauer und Hersteller unumwunden zugeben. Sieht aber geil aus so eine Porno-Decke….
Das Spielgefühl des Instrumentes ist auch für mich ungemein wichtig. Bestes Beispiel dazu ist das Spielgefühl an einem GUTEN Verstärker mit schneller und dynamischer Ansprache gegenüber zuweilen störrisch reagierenden Modellern (aber nein, die sind nicht alle schlecht). Noch schlimmer: Modelling-Software mit satter Latenz, wenn das Interface nicht mehr Speed hergibt. Grausam, so macht Spielen wirklich null Spass und das Ergebnis ist dann auch entsprechend schlecht. So geht es mir jedenfalls.
Und so ähnlich ist es mit Gitarren, welche o.g. Kriterien (siehe ziemlich weit oben) und paar weitere Bonus-Kriterien erfüllen oder eben nicht. Eine gute Gitarre hilft mir, meine Musik auch gut zu spielen. Eine weniger gute Gitarre hilft weniger. Mehr ist da eigentlich nicht, aber es ist extrem wichtig. Dieser Umstand lässt sich nominell auch nicht in absoluten Werten oder Prozenten darstellen, dieses Wirrwarr aus Sound & Spielgefühl ist ganz einfach „erlebt“. Wieder und wieder erlebt, und da können mir die „Konsum-Kritiker“ sagen was sie wollen oder womöglich wissenschaftliche Beweise fordern. Gitarristen erleben das praktisch jedes Mal, wenn sie neue Instrumente antesten oder sich mal wieder über ihre Lieblingsgitarre freuen: die einen Klampfen tun eben was gefordert ist, die anderen nicht.
Warum sich dies so darstellt, ist meines Wissens weitgehend unerforscht und nichts ist wirklich bewiesen. Aber auch mal wirklich überhaupt nichts.
Wenn Paul Reed Smith oder der Typ von Fender auf Halsrohlingen rumklopfen, dann ist das alles nur ein bisserl blöd. Was soll das beweisen? Nach der Bearbeitung hat dieser Rohling eine völlig neue Form, ist mit anderen Bauteilen verbunden und von dem „Gööönnng“ ist nichts mehr übrig. Oder machen Eure Gitarrenhälse „Gööönnng“ wenn man draufklopft? Meine nicht. Die machen „töck“ oder so, selbst bei meinen teuersten Gitarren.
Ordentliche Hardware muss auch nicht aufwändig ge-aged sein und für Freudenhauspreise gekauft werden. Das ist am Ende nur Kosmetik und ist der Funktionalität am Ende möglicherweise sogar eher abträglich. Diesen Markt verstehe ich persönlich nicht wirklich. Aber da mangelt es mir evtl. an Wissen und an Verwurzelung in der Tradition.
Pickups und Bauteilchen jeder Couleur gibt es überall, müssen nicht mega-viel kosten und erfüllen ihren Zweck. Ist alles auch wichtig und muss ordentlich gemacht sein, aber der Markt ist voll von gutem Zeug für relativ wenig Geld.
Und wenn die Werbung „Tonewood of the highest degree“ anpreist, so ist das unfassbar blöd. Tonhölzer sind ganz einfach Hölzer, die sich gut zum Verarbeiten eignen. Stabil, korrektes Gewicht, ordentlich getrocknet, eben dem Zweck des Gitarrenbaus angemessen und möglichst fehlerfrei aussehen (Maserung, Astlöcher etc.).
Also alles klar! Bei Thomann irgendeine China-, Indonesien- oder Korea-Klampfe kaufen, bei Gefallen behalten. Dann eventuell Pickups wechseln, neues Setup für nen Fuffi und gut gewesen. Der Spieler macht ja eh 90% des Tons aus.
Ende der Geschichte. Oder?
Naja, nicht ganz. Zumindest aus meiner unwissenschaftlichen Sicht. Da ist mehr.
Wenn es optimal läuft, dann findet man eine Pfanne, die mehr kann: sehr schnelle Ansprache, überdurchschnittliche Dynamik, großartiges Sustain über praktisch alle Lagen, hohe E-Saiten die nicht abkacken gegen die anderen fünf, Singlecoil Steg-pickups die nicht eklig schneidend klingen, ein überdurchschnittliches Gefühl von Stabilität und Wertigkeit, extremes In-Tune sein, gute Saitentrennung, geschlossene Akkordbilder, Abwesenheit von ungewolltem Soundmatsch, gute Kontrolle über harmonisches Feedback, Trussrods die man fast nie nachziehen muss weil der Hals einfach optimal bleibt...
Naja, und andere mehr oder minder „esoterisch“ anmutende Erfahrungen, die sich bei wirklich spitzenmäßigen Gitarren einstellen. Das muss jetzt keiner 1:1 mit mir teilen, es sind nur meine Maßstäbe und meine Erfahrungen. Und wie schon gesagt: bewiesen ist da nichts, hüben wie drüben.
Und die Wahrscheinlichkeit, so etwas - oder so etwas ähnliches - (unfassbar Gutes) bei gewissen seriösen und wirklich qualitätsaffinen Manufakturen zu finden, ist einfach erfahrungsgemäß erheblich höher als bei fernöstlicher Massenproduktion, die vor allem anderen durch den Herstellungspreis definiert sind. Dort sind Top-Gitarren einfach ein Glücksfall. Schön für den, der so eine Gitarre findet, aber auf Top-Qualität verlassen kann man sich dort nicht so sehr.
Wer mag und kann, der soll sich ruhig mal informieren und ausprobieren: Suhr, Ruokangas, Gustavsson, Strandberg, Teuffel, D´Pergo, Tandler, Dommenget, De Temple, Grosh, Tyler, Collings und wie sie alle heißen. Oder auch Steinberger, Trussart, Flaxwood und so.
Ebenfalls sehr lehrreich ist die Diskussion mit einigen der wirklich guten Gitarrenbauer. Fragt doch mal nach Qualität, Tonewood, Voodoo und Mojo oder schaut Euch wenigstens die (leider wenigen) seriösen Kommentare im Netz zum Thema an. Manche Antworten mögen überraschen. All das macht Spaß und man lernt u.U. eine Menge über die Gitarren, die man bisher eigentlich echt gern mochte. Aber Achtung: es *muss* nicht, aber es *kann* teuer werden. Und am Ende geht es immer wieder um altes bzw. gutes Holz oder um alternative Werkstoffe, die die Eigenschaften anderweitig erzeugen sollen/wollen/können.
Einer noch: zu all dem gehört aber auch die Gewissheit, dass 90% der ach so geilen Merkmale einer Top-Gitarre im Bandkontext oder auch im Recording-Mix stumpf untergehen. Auch das sei ganz ehrlich gesagt - aber hey, das Einspielen hat schlichtweg mehr Spaß gemacht. Und das Üben dafür auch, jede Wette.
Nur meine Meinung. ….. ganz schön lang geworden….
Full disclosure: ich bin nur noch Wohnzimmer-Gitarrist.