Da Martin so eifrig damit beschäftigt ist, das Sommerloch mit Grundsatzfragen zu füllen, will ich seiner Einladung gerne folgen und hier auch meinen Senf abgeben.
Oberes Limit benötigt?
Ich meine, es braucht kein oberes Limit für eine Gitarre. Solange sich jemand besser fühlt, wenn er richtig Knete beim Kauf versenkt, find ich es gut wenn es Unternehmer und Firmen gibt, die solchen Menschen dabei helfen, sich besser zu fühlen.
Ich zahle, also bin ich!
Das ist wie mit dem Wein, der an VIPs in Adabei-Lokalen verkauft wird. Man bekommt eine Flasche für 30.000 € und auch eine Flasche für 36.000 €. Natürlich kann jeder, der die teurere Flasche kauft auch begründen, warum die Entscheidung gerechtfertigt ist. Gründe für die Kaufentscheidung findet der Mensch immer. Als Unternehmer und Gastronom würde ich den geschätzen Gästen eine bessere Option für 50.000 € anbieten. Versuchen kann man's ja. Die Kunden haben eine eigene Meinung und sagen das schon, wenn sie sich übervorteilt vorkommen.
Zurück zu den Gitarren, bevor wir uns hier einen
Schwips anlesen.
A) Kaufen nach objektiven Kriterien?
Wer sich mit Gitarren auskennt, kann nach objektiven Kriterien den Wert einer Gitarre beurteilen. Das sind die Hölzer, die PUs & Elekronik, die Art der Verabeitung, etc. Wer über betriebswirtschafliche Kenntnisse verfügt, kann zum reinen Gitarrenwert auch Fertigungskosten, Lagerhaltungskosten und Distributionskosten aufrechnen.
Wer so denkt, wird sich - wenn er sich als Opfer dieser Welt fühlt - entweder regelmäßig an den Kopf greifen, was da bisweilen an Preisen bezahlt wird. Oder aber als kapitalistisch strukturierter Mensch über Wege nachdenken, wie er an diesem Kuchen mitverdienen kann.
Ich verdiene, also bin ich.
Wunderbar, das ist unsere Welt, da können wir mithalten. Ach ja, Experten wissen es besser. Warum diese Denke den Typus des Besserwissers hervorbringt. Das ist gar nichts Schlechtes. Solange man der Meinung ist, dass es richtig und falsch gibt, braucht es Experten, die besser wissen, was richtig und falsch ist. Sonst verlieren wir uns in Vodoo und sonstigem unwissenschaftlichem Spuk.
Ich weiß es besser, also bin ich (besser).
B) Kaufen nach Image?
Sobald man dann aber die sichere und rationale Welt der Objektivität verläßt, wird einem schnell klar, dass gewisse Dinge objektiv nicht zu bewerten sind. Klingt Ahorn oder Palisander am Griffbrett besser? Humbucker oder Singelcoils? Les Paul Form oder Strat Form, oder doch eine semiakustische ES-335 Form?
Bis hierher könnte man noch die Klangunterschiede beschreiben, um es dem kritischen Wissenschafter in uns Recht zu machen. Unruhig wird man wenn man das Optimum raus holen will und über Unterschiede der Lackierung, Klangeigenschaften des Sattels oder unterschiedliche Brücken und Materialien bei Vibratoblöcken nachdenkt.
Das bereitet dem einen schlaflose Nächte, der andere gibt sich mit schlaflosen Nächten erst gar nicht zufrieden und sucht sein Lebenlang nach seinen Sound-Nuancen. Manche suchen des Nachts unter der Laterne, weil da ist das Licht besser. Eine sinnvolle Begründen findet sich - wie schon erwähnt - immer. Im Dunkel ist es extrem mühsam zu suchen. Das ist anstrengend wie ... na ja ... wie Üben um Spielen zu lernen.
Ich suche, also bin ich.
Um dem rastlosen Gitarristen, seines Zeichens fliegender Holländer und immer auf der Suche nach dem sicheren aber unerreichbaren Hafen nach der objektiven Wahrheit, von seinem Leiden zu erlösen, bieten die Hersteller Orientierungshilfen.
Die Experten unterteilen selbst die kleine Welt der Gitarren in Kategorien, wie Einsteiger, Fortgeschrittene, Standard, Custom Shop, Signature Modelle, Relic, Heavy Relic und Original Vintage. Dank dieser hilfreichen Unterstützung erkennt jetzt auch der Nicht-Experte, wo der Hammer, wo die Zange und wo der Schraubenzieher hängt.
Mit einer Custom Shop ist schon mal klar gestellt, dass ich ein Instrument spiele, dass über dem Standard liegt. Es kommt auch zum Ausdruck, dass ich mich in der Materie auskenne und entscheiden kann, was für mich individuell richtig ist, Customized eben. Es gehört zum guten Tone des Understatements, auf solche Selbstverständlichkeiten nicht hinzuweisen, sondern das Image selbsterklärend für sich sprechen zu lassen.
Ich unterscheide mich, also bin ich (Individuum).
Für jene, die sich ihren Vorbildern näher fühlen wollen, bauen die Experten Signature-Modelle. Und weil die Stars als Testimonials auch bezahlt werden wollen, darf die Custom Shop mit den Momentaufnahmen-Spezifikationen des Heros auch kosten.
Ich kaufe, also bin ich ... Star.
Wer sich den Anschein geben möchte, als hätte er sein Brett die letzten 20 Jahre von Gig zu Gig geschleift ist mit einer Relic gut bedient. Das kann aber nicht das Ende der Fahnenstange sein, es muss doch auch besser gehen. Im Kapitalismus gibt es immer ein Besser, kein Limit nach oben. Wer sich also als Rampensau fühlen will und sich das Image 40 Jahre harten Bühnenlebens geben will, der kann das mit einer Heavy Relic zum Ausdruck bringen.
Ich kaufe, also bin ich ... Rampensau.
Natürlich gibt es auch Menschen, die so ein ramponiertes Brett mit Patina einfach nur hübsch finden. Na ja, vielleicht ist
hübsch nicht der richtige Ausdruck, aber irgendwie schon
cool. Womit wir wieder beim Image wären.
Andere wiederum kriegen nasse Hände, Atemnot und Gänsehaut, wenn sie ein Original Vintage Teil in Händen halten, das vielleicht sogar ein Idol in Händen hatte.
Ich sabber, also bin ich.
Objektiv oder Subjektiv?
Das völlig unwissenschafltiche am Image ist, dass es 100% irrational ist und sich jeder Objektivität entzieht. Was dem einen ein Hochgefühl entolckt, vulgo zum Sabbern bringt, bei dem drehen sich beim anderen die Zehennägel hoch und erweckt Brechreiz.
Nachdem wir gelernt haben, alles - auch unsere irrationalen Kaufentscheidungen - zu begründen, knallen bisweilen die Emotionen der Imageentscheidungen aufeinander. Und weil wir uns in einer Expertengesellschaft bewegen, gibt es auch immer jemanden, der es besser weiß. Und der begründet und kritisiert objektiv.
Ich kritisiere, also bin ich.
Statussymbol?
Wer in der relativen Hierarchie unserer Gesellschaft aufsteigen will, umgibt sich zumeist schon mit den Statussymbolen der nächst höheren Schicht, zu der er aufsteigen möchte. Nachdem die besseren Schichten sich von den schlechteren Schichten abheben möchten, läuft das nun mal so. Das führt dann auf der anderen Seite bisweilen zu Sozialneid.
Man kann nun der Meinung sein, dass eine Original Vintage ihr Geld wert ist, oder auch, dass man da von der Gesellschaft kräftig manipuliert und über den Tisch gezogen wird. Beides sind legitime Sichtweisen. Da gibt es keinen richtigen oder falschen Standpunkt. Und auch keinen Konsens. Nur Toleranz, dass der andere es anders sehen darf. Weil er sich anders fühlt, wenn er das Teil in Händen hält. Das sollte jeder respektieren.
Die Heros wurden nicht nur wegen ihrer Musik berühmt, sondern auch weil sie es geschafft haben, dass andere sie cool finden. Plakate aufhängen, Platten kaufen, Konzerte besuchen, etc. Eine Gitarre muss nicht als Statussymbol gesehen werden, sie darf auch als cooles Bühnen-Accessoire gesehen werden. Immerhin hat man das Ding als Gitarrist ständig am Hals.
Wie viel darf eine Gitarre kosten?
Das kann nur eine subjektive Antwort sein. Für mich darf sie max. 1.000 € kosten. Mehr ist mir persönlich kein Instrument wert. Wer spielen kann, bringt um dieses Geld seinen Tone und Sound gebacken. Und es gibt wunderschöne Instrumente um dieses Geld, selbst große Marken. Die Emotionen beim Spielen wecken.
Die Emotionen kommen bei mir bei dem was ich spiel und wie ich es spiel. Weniger womit ich es spiel.
Ich spiele, also bin ich.
Und wenn das für mich gut klingt, dann fühl ich mich gut.
Ich fühle mich gut, also bin ich.
Aber ich kann gut verstehen, dass andere emotional überreagieren, wenn sie teure Instrumente in Händen halten. Das ist Emotion und nicht erklärbar. Der Mensch ist vorwiegend irrational, Musik ist irrational und emotional.
Damit wäre ich wieder bei meinem Eingansstatement: Solange sich jemand besser fühlt, wenn er richtig Knete beim Kauf versenkt, find ich es gut wenn es Unternehmer und Firmen gibt, die solchen Menschen dabei helfen, sich besser zu fühlen. Was richtig Knete ist, ist völlig subjektiv.
Um zu fühlen, zahle ich, damit ich bin! Kapitalismus in Reinkultur.