Hier noch ein paar Beobachtungen, die ich hinsichtlich CVT vs. klassische Sprache gemacht habe:
- Bei Männern ist so gut wie immer Overdrive der "natürliche" Modus für die Tiefe (wobei Tiefe die Sprechtonlage meint). Ein anderer Modus erfordert aktiven Aufwand (z.B. Neutral eine bewusst "hauchigere" Phonation oder Curbing ein bewusstes zurückhalten).
- Das klassissche 1. Passaggio liegt an der Stelle, an der von Overdrive weg gewechselt werden muss, wenn die Intensität und Lautstärke nicht erhöht werden soll (Wechsel i.d.R. nach Curbing als nächst-leiserem Mode), bei Männern typischerweise um h/c', bei mir z.B. auf g
- Ein Verbleib in Overdrive beim 1. Passaggio hat eine signifikante Erhöhung der Lautstärke/Intensität zur Folge. Andere Systeme sprechen an dieser Stelle von "Belting" (z.B. Estill, TVS)
- Das klassische 2. Passaggio liegt an der Stelle, an der wiederum von Curbing weg gewechselt werden muss, wenn Intensität und Lautstärke nicht erhöht werden sollen (Wechsel dann nach Neutral als nächst leiserem Mode), bei Männern typischerweise um e'/f', bei mir z.B. auf d'
- Ein Verbleib in Overdrive beim 2. Passaggio hat wieder eine Erhöhung der Intensität zur Folge, die in diesem Fall so stark ist, dass ein sauberer Wechsel in einen anderen Mode nicht mehr möglich ist (dieser Umstand wird sogar im Buch erwähnt)
- Ein Verbleib in Curbing beim 2. Passaggio hat ebenfalls eine Erhöhung der Intensität zur Folge, die ähnlich ist wie Overdrive nach dem 1. Passaggio, einige Systeme sprechen auch in diesem Fall von Belting, andere nennen es "mix".
- Das klassische 3. Passaggio liegt an der Stelle, an der Curbing so intensiv wird, dass in keinen anderen Mode mehr gewechselt werden kann, bei Männern typischerweise um c'', bei mir auf g'
- Schließlich gibt es noch das 4. Passaggio als die Stelle, ab der nur noch Neutral als Modus verfügbar ist, typischerweise um f''/g'', bei mir auf dis''.
Der Modus Edge ist in gewisserweise ein "Schwestermodus" von Overdrive, der es ermöglicht eine ähnliche Intensität in größere Höhen zu nehmen. Dabei wird im Prinzip nur Atemdruck weggenommen und stattdessen Twang hinzugefügt. Registermäßig gelten für Edge dann ähnliche Regeln wie für Curbing, Edge erlaubt aber eine höhere Intensität/Lautstärke als Curbing. Typisches Einsatzgebiet von Edge ist daher der Bereich zwischen 2. Passaggio und 3. Passaggio, wenn Overdrive zu uneffizient wird und Curbing vielleicht nicht laut/intensiv genug ist.
In sofern gibt es wie schon gesagt gewisse "vorbestimmte" Muster, welche Modes wann angewandt werden, entgegen der Behauptung, dass das Nutzen der Modes "beliebig" ist. Und genau diese typischen Muster werden erklärt durch die klassischen Konzepte der Register. Die Modes entsprechen nicht genau den Registern, aber es gibt gewisse starke Zusammenhänge.
- So ist es z.B. nicht ganz abwegig zu sagen, dass Overdrive der Bruststimme entspricht. Ein Hochziehen der Bruststimme übers 1. Passaggio hinaus ist dann Belting und ein Hochziehen der Bruststimme übers 2. Passaggio hinaus ist sehr riskant.
- Curbing hingegen entspricht dann in etwa dem, was man oft "mixed voice" oder Mittelstimme nennt. Zwischen 1. und 2. Passaggio ist es am effizientesten, es ist nicht so richtig Belting, aber eben auch kein Falsett.
- Neutral entspricht dem, was man bei Männern Falsett nennt und bei Frauen die Kopfstimme. Hier merkt man aber am deutlichsten, dass die Entsprechung nicht 1 zu 1 ist, weil man Neutral eben auch in der Tiefe singen kann (als softe/hauchige Bruststimme), was klassischerweise nicht Falsett genannt würde
- Das Konzept Edge hat in der klassischen Sprechweise keine wirkliche Entsprechung, was auch daher kommt, dass der Modus im klassischen Gesang bis auf wenige Ausnahmen nicht zum Einsatz kommt. Eine Bezeichnung, die am ehesten passt, wäre "kopfstimmiges Belting"
Auch typische Probleme lassen sich anhand dieser Nomenklatur erklären. Der "Bruch" beim 1. Passaggio kommt z.B. meist durch Support-Probleme, denn ein Verbleib im Overdrive erfordert hier "mehr Support". Ein Wechsel nach Curbing/Neutral erfordert einen Mode-Wechsel, den ein Anfänger meist auch noch nicht sauber kann. In der Regel ist für Anfänger hier "Belting" einfacher, weil es eben "nur" eine Support-Anpassung ist. Der Bruch beim 1. Passaggio als Hürde ist dabei noch das einfachere erste Problem.
Beim 2. Passaggio ist es im Prinzip dasselbe, nur dass die Probleme auf einer höheren Stufe stattfinden. Die Support-Umstellung passiert auf noch höherem Intensitäts-Niveau und ein Mode-Wechsel erfordert eine noch stärkere und exaktere Anpassung des Vokals.
Aber alles läuft letztendlich wieder darauf hinaus, dass die Grundlagen, v.a. Support/Twang das meiste Ausmachen. Hinzu kommt dann nur noch das exakte realisieren von Vokalen. Genau genommen ist sogar der Twang ein Teil der Vokalstellung, denn einige Vokale sind "twanged", andere nicht, dann läuft es im Endeffekt wirklich auf "vowel, pitch, intensity" hinaus, wobei "vowel" alle 28 Vokale des IPA-Alphabets beinhalten muss, so ist z.B. der Vokal /ɶ/ das Edge-"ä" und der Vokal /æ/ das Overdrive-"ä". Das sind verschiedene Vokale, auch wenn sie im deutschen natürlich gleich geschrieben werden.