Um mal wieder ein Crossover aus der Streicherecke rauszulassen: es gibt unter Streichern absoluten Konsens, dass Instrumente eingespielt werden müssen. Nicht nur wenn sie neu sind - auch wenn sie längere Zeit nicht gespielt wurden. Allerdings kann sich das Einspielen eines neuen Instruments über Monate hinziehen, wird es dann nicht mehr gespielt ist es eine Frage Ruhedauer, wie lange es braucht um wieder "lebendig" zu werden. Meistens geht es aber sehr viele schneller als beim allerersten Einspielen. Das dies so ist, wird allgemein anerkannt. Die Chinageige, welche ich für meine Tochter gekauft habe, klang anfänglich gänzlich grausig, allein bei einer chinesischen Volksweise wusste diese Geige durch den authentischen Klang einer
Erhu zu überzeugen. Nach 6 Monaten ist davon nichts übrig geblieben, sie klingt nun tatsächlich wie eine echte Geige. Und nein, dies liegt nicht daran, dass meine Tochter ihr Spiel verbessert hat, ich habe dies selbst so festgestellt und mich zwischenzeitlich nicht an das Instrument gewöhnt, da ich es zwischenzeitlich kaum bespielt habe.
Was im Holz beim Einspielen passiert ist indes weitgehend unklar. Am überzeugendsten finde ich die Theorie, dass der Holzstoff "Lignin" eine kristallartige Struktur hat und sich auf molekularer Basis in Schwingungsrichtung ausrichten kann. Diese Ausrichtung geht bei Verlust des Schwingungsimpulses der allgemeinen Entropie folgend wieder verloren. Als Hobbyphysiker halte ich dies für plausibel.
Häufig wird auch die These vertreten, dass einfache Instrumente auf niedrigstem Niveau starten und sich davon nicht wesentlich entfernen, während bessere Instrumente auf höherem Level starten um von dort aus ihr höheres Potential entfalten. Dies braucht meist länger und wird auch erst an den Leistungshorizont geführt, wenn unterschiedliche Spieler am Instrument tätig waren.
Unabhängig davon, gibt es unter Streichern eine anhaltende Diskussion, ob die historischen Meisterinstrumente tatsächlich *besser* sind oder nicht. Führt hier aber zu nichts. Die These, dass ein hochwertiges Holzinstrument bei dauerhaftem Bespielen und sachgerechter Pflege seinen Klang verbessert, ist für Streichinstrumente empierisch belegt.
Ist dieses Know-How auf Solid-Body-E-Gitarren übertragbar?
Beide Instrumente erhalten ihren Klang aus schwingenden Saiten - also ja.
Akustische Instrumente klingen aus sich selbst heraus, E-Instrumente tun dies nicht, brauchen Verstärkung - also nein.
Sicher? Wenn man der Einfachheit halber davon ausgeht, dass die schwingende Saite Ursache für den Klang ist und der Body der Gitarre nicht schwingt, dann wäre das Nein korrekt.
Die Realität ist aber nicht so einfach. Saiten und Body stehen miteinander in Wechselwirkung. Schwingt der eine Teil, so schwingt auch der andere Teil. Und der Pickup befindet sich auf einem schwingenden Body, misst von dort aus wiederum ein schwingendes System. Wer dies nicht glaubt: einfach mal einen Piezo-Pickup auf die E-Gitarre drücken, das Signal ist nicht sonderlich stark, aber gut messbar, wie auch zu verstärken. Also müssen die Eigenschaften des Holzes einer E-Gitarre Einfluss auf den Klang haben.
Wenn der Herr Zollner dies anders sieht, so möge er sein kausalistsiches Weltbild überdenken, ein paar Vorlesungen als Gasthörer in der modernen Thermodynamik könnten hier Bewegung schaffen, da Kausalität eben nur eine vereinfachende und praktsich nicht vorhandene Sonderform der Wechselwirkung darstellt. Ich habe seine Ausarbeitung allerdings nur in Bruchstücken gelesen, die Einführung ist wissenschaftlich - um es vorsichtig auszudrücken -abschreckend und im Inhaltsverzeichnis gibt es keinerleis Hinweis darauf, dass es zu irgendwelchen Wechselwirkungen zwischen den Baugruppen kommen könnte. Saiten werde gezupt (Feedbackschleife gibt es nicht), Originalton: "
Die folgenden Betrachtungen gelten deshalb nur der Schwingungsmechanik. Als Teil des Ganzen, als wesentlicher Teil." (Manfred Zollner: Physik der Elektrogitarre, Regensburg 2009 (Vorveröffentlichung) Seite 3). Ein flinker Überflug der folgenden Kapitel zeigt keinen Hinweis darauf, dass "unwesentliche Teile" weiter betrachtet wurden.
Daher halte ich diese Arbeit für die Beantwortung der Frage "Wird der Klang einer E-Gitarre mit der Zeit immer voller/besser?" für komplett irrelevant.
Die Antwort ist aus Streichersicht einfach: wenn das Instrument hochwertiges Tonholz hat, regelmäßig gespielt und gut gepflegt und gewartet wird - ja. Der Klang steigert sich aber nicht unendlich. Jedes Instrument hat seine Grenzen, hat es sich komplett eingeschwungen, dann stagniert es auf seinem Niveau. Und dann kommen natürlich noch äußere Einflüsse hinzu, Temperaturschwankungen, Luftdrücke, Luftfeuchtigkeit - das ganze Holz ist ständig in Bewegung, arbeitet. Deswegen betrachten viele Streicher, die täglich mehrere Stunden üben, ihren Instrumente als "zickig". Außenstehende sehen da den Streicher als "Diva", der Streicher spürt aber Nuancen im Instrument, die eben unbedarften Menschen nicht mehr zu vermitteln sind. Und nein, dies sind nicht meine eigenen Erfahrungen und ja, es gibt auch bei den Musikern Tagesform und ja, diese sind vom Schwingungsverhalten eines Instruments äußerlich nicht zu unterscheiden. Wechselwirkung.