Hallo Cudo,
schön, daß Du an die Small Faces erinnerst. Ich habe mir daraufhin ihren größten Hit angesehen, der mir seinerzeit gut gefallen hat: Lazy Sunday
Es überrascht nicht, daß auch dort die Verbindung bVII -> IV -> I vorkommt.
An diesem Song läßt sich m.E. exemplarisch zeigen, worin die Leistung der englischen Gruppen vor allem bestand: Nämlich in der
Erneuerung der Harmonisierung von Songmelodien.
Auf diese Weise gab es das vorher in der populären Musik noch nicht!
Und wie kamen die englischen Gruppen darauf? Wie früher schon erwähnt, gingen sie durch die Schule des Blues - die Small Faces speziell durch die Schule des Rhythm & Blues und Soul (lt. Wikipedia).
Für uns ist entscheidend, daß sie das Tonmaterial der Bluestonleiter nahmen und mit einem europäisch geprägten Denken verbanden: Der Harmonisierung der Blue Notes.
Als innovatives Resultat entstand eine
Mischform der beiden Traditionen in einem Song.
Zur Illustrierung vergleiche man die von mir im Anhang durchgeführte Harmonisierung eines von den Small Faces inspirierten Melodiefetzens auf traditionelle Art, wie man es vielleicht 1962 gemacht hätte, mit
I -> IV -> II -> V -> I
Das wäre eine tradtionelle Kadenz, Zuerst die Subdominante, dann ein doppelter Quint
fall und selbstverständlich ein authentischer Schluß.
Danach, harmonisiert von den Small Faces 1968, mit
I -> V -> bVII -> IV -> I
Das wäre eine in der populären Musik damals neue Kadenz, welche zuerst die Dominante bringt und dann einen doppelten Quint
anstieg, gefolgt von einem plagalen Schluss endet. Letzteres ganz nach dem Konzept des Blues-Schemas: ... V -> IV -> I ...
In meinem Beispiel werden beide Meldodiefetzen (MIDI und Noten im Anhang) jeweils wiederholt.
Dabei kommt bei den Samll Faces sowohl die Dominante mit dem darin enthaltenden Leiton vor, und als auch die bVII, mit der die bluesige b7 in Takt 9 harmonisiert wird. In Takt 8 kommt die große Terz vor und in Takt 9 die bluesige kleine Terz. Ein nebeneinander von Europa und Afroamerika in der Melodie.
Hier ein youtube-Video von
Lazy Sunday (live) (Small Faces) 1968
Für mich liegt es auf der Hand, daß Akkordfolgen wie bVII -> IV -> I oder bVII -> I durch die Verarbeitung des Blues auf europäische Art entstanden.
Eine Erklärung solcher Akkordfolgen durch Kirchentonarten oder MI kann zwar formal richtig sein, trifft aber nicht den historischen Kern der Sache. Entscheidend war die Erfahrung mit der Bluestonleiter.
Als Jugendlicher dachte ich überhaupt nicht daran, daß der o.g. Song etwas mit Blues zu tun haben könnte, er klang einfach cool. Doch es ist offensichtlich, daß die Erneuerung der Harmonisierung von Melodien in der Rockmusik maßgeblich durch eine europäische gedachte Harmonisierung der Blue Notes zustande kam.
Damit möchte ich selbstverständlich nicht sagen, daß es nicht auch harmonische Bereicherungen aus anderen Quellen gab, doch die dominierende Kraft der harmonischen Erneuerung durch die damaligen englischen Gruppen kam durch eine vom Blues ausgelöste Inspiration.
Gerade die geschaffenen Mischformen zwischen afroamerikanischer Tradition und europäischem Denken war für die westliche Jugend besonders interessant. Sie konnte als Weiterentwicklung europäischer Musik begriffen werden.
Viele Grüße
Klaus