gitwork
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@RMACD
mach ich gerne wenn ich dazu komme, sitze aber gerade in Hamburg im Cafe und kann das ohne Instrument nicht gescheit raushören.
Auf den ersten Eindruck hört sich das für mich aber nicht sehr rocktypisch an. Ich bin mir auch sicher, dass man viele Beispiele finden kann, in denen die Kompositionen unterschiedlichen harmonischen Prinzipien folgen. In wie weit die typischen Rockharmonien wirklich vorherrschend sind, kann ich auch nicht sagen, dazu habe ich bisher zu wenige analysiert um das mit einer statistische Genauigkeit feststellen zu können. Auch deswegen habe ich diesen thread eröffnet, ich würde das gerne zusammen mit euch überprüfen.
Ich möchte aber gerne jetzt nochmal zusammenfassen was ich rausgefunden habe, damit alle wissen wovon ich spreche und ein paar Fragezeichen aus der Diskussion nehmen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung so gelaufen ist:
Auf der Suche nach neuen, frischen Sounds und Harmonien gingen die klassischen Rocker von ihrer Lieblingstonleiter aus, die Mollpentatonik: 1 b3 4 5 b7
Sie stellten fest dass es gut klingt, wenn man die Töne nicht nur als Einzeltöne spielt, sondern harmonisiert. Am liebsten benutzten sie dazu Durakkorde, Mollakkorde gibt es zwar auch im Rock (auch eine Frage, wo und wann, wie oft?) zunächst überwiegen aber eindeutig die Durakkorde. In diesem Sinn ergibt sich eine enge Verwandtschaft zum Blues, wo auch die Mollpentatonik über Durakkorde gespielt wird.
Die beiden Bluenotes b3 und b7 sind die wichtigsten Klangfarben und wurden zu den wichtigsten Rockharmonien bVII und bIII. Die bVII findet sich natürlich auch in mixolydischen Stücken (Norwegian wood, Help!) und liefert in diesem Zusammenhang eine wichtige neue Klangfarbe als folkloristisches Element das wir schon aus der alten englischen Folklore kennen. (Folkrockphase der Beatles)
Sie ist aber auch ein überaus häufig anzutreffender Akkord im Rockzusammenhang, in Stücken die mit mixolydisch nichts zu tun haben. Ich hatte schon einige genannt, "Sympathy for the Devil" "Smoke on the water" und viele andere kann man hinzufügen.
Im weiteren Verlauf fand man heraus, dass auch die bVI und die II gute Klangfarben sind und somit hat man die mit Durakkorden harmonisierte äolische Molltonleiter vor sich: I II bIII IV V bVI bVII
Beispiele:
Purple Haze (Jimmi Hendrix)
I / bIII IV /
Locomotive Breath (Jethro Tull) Riff:
I / I bIII bVII
Brown Sugar (Stones)
Intro Riff
bIII / I / bVI bVII / I
vers
I / I / IV / IV
I / I / bVII / I
chorus
V / V/ I / I
V / V/ I / I
All along the Watchtower (Dylan, Hendrix)
I bVII / bVI bVII
Cocaine (J.J. Cale)
I / bVII / I / bVII /
I / bVII / I / bVII /
I / bVII / bVI / V /
Highwaystar (Deep purple)
intro
IV bIII
vers
I / I / I /bIII IV bIII /
I / I / I /bIII IV bIII /
pre Chorus
bVII / bVII / bVII /bVII IV bVI
V / V / V / V /
chorus
II / II / II / II /
II / II /IV V /IV V /
IV V / bVII I / II / II /
I'm the walrus (Beatles)
Intro
II / II I / bIII bVI / V / V7 / IV / IV7
Vers
I / bIII IV / I /
bIII / IV / I /
I I/b7 / IV/3 bVI bVII / I I/b7 /
bVI / V / V /
chorus
bIII / IV / V /
interlude
II I / bVII IV / V / V
...
Ein weiteres wichtiges Kennzeichen der Rockharmonik ist die plagale Ordnung. (IV-I statt V-I) Auch hier ergibt sich eine enge Verwandtschaft zum Blues, der genauso organisiert ist: (V-IV-I statt IV-V-I)
Klaus111 nannte das mal in einem anderen thread das "Subdominantische Prinzip" Der Quartfall wird zum wichtigen rockharmonischen Ordnungsprinzip und quasi ein Gegenentwurf zum Quintfall in der Klassik und im Jazz. (Faustregel: Quintenzirkel gegen den Uhrzeigersinn gespielt=Quintfall, im Uhrzeigersinn gespielt=Quartfall)
z.B.
Hey Joe
C G D A E E E E = bVI bIII bVII IV I I I I
Die Hey Joe Changes kann man als eine rockharmonische Grundkadenz ansehen. Klassische Funktionsanalyse am ehesten wohl so:
Quartfallsequenz, Subdominantkette: SSSS SSS SS S T
Besonderes Kennzeichen: Aufhebung der Leittönigkeit V-I wird vermieden, jede Harmonie steht als eine Klangfarbe für sich. Die Kadenz wird aufgehoben Harmoniewechsel werden zu Klangfarbenwechsel.
noch ein Beispiel:
Jumping Jack Flash Chorus
bIII-bVII-IV-I
Wenn wir alle Funktionen hinzufügen erhalten wir folgende Rockkadenz in ihrer Longform:
bVI bIII bVII IV I V II (C G D A E B F#)
Einfach den Quintenzirkel im Uhrzeigersinn durchspielen. Merkt ihr wie die Harmonien sich sperrig und mit gewaltiger Power gegen diese Fortschreitung zu wehren scheinen? Wie jede Harmonie als kraftvoller Sound für sich steht? Das hat nichts mit der gefällig dahinfließenden Harmonik im Sinne des Quintfalls zu tun. Das ist eine andere Ästhetik, eine neue Sprache, eine Ästhetik des Widerstands, die Tonsprache der Rockmusik.
Das ist die spezielle Harmonik in der Rockmusik von der ich die ganze Zeit rede.
Über alle Harmonien passt die Mollpentatonik als Improskala. (z.b. Hey Joe e-moll penta)
Zur Dur I singt man meist b3 und b7 . Die 3 klänge viel zu glatt, würde als falscher Ton empfunden.
Typischer Akkord "Jimmi Hendrix Akkord" I7#9 (moll/dur Vermischung)
Das ist somit auch wieder sehr bluestypisch. Die Rockharmonik wirkt auf mich wie eine neue Interpretation des moll und Dur verschmelzenden Bluestonmaterials. (wenig überraschend diese Verwandtschaft)
Aber: Das ist keine Erfindung der Rocker. Hey Joe ist nicht von Jimmi Hendrix
Hey Joe ist der Titel eines US-amerikanischen Folksongs, wer das Original ursprünglich komponiert hat, ist bis heute umstritten. Musikhistoriker gehen überwiegend davon aus, dass William Moses "Billy" Roberts (siehe:choose your own Bluesname Starterkit) Komponist des Liedes ist. Er war ein kalifornischer Folksänger, der für seine vermutlich 1961 entstandene Komposition Hey Joe möglicherweise auf das von seiner Freundin Niela Miller 1955 verfasste Baby, Please Don't Go Down Town zurückgegriffen hat.
Die Geschichte basiert auf dem typischen Blues-Konzept und handelt von einem eifersüchtigen Mann, der seine untreue Frau erschießt (vermutlich in Memphis) und dann in Mexiko untertauchen will. Der Text des Stücks ist so angelegt, dass der Interpret in einem Frage und Antwortspiel die Rolle des Ehemannes und die des Kommentators übernimmt.
Ich denke jedem ist klar geworden, welcher musikalischer Tonsprache dieser Song angehört auch wenn er aus der Feder eines weissen Folksängers stammt. Und auch: Warum ihn Jimmi Hendrix als Rockklassiker etablieren konnte. Wiedermal hat der Blues seine Finger im Spiel und die Tonsprache der Rockmusik ist harmonisch betrachtet nur eine weitere Möglichkeit die Überwindung des Dur-Moll Konflikts die westafrikanische Sklaven mit ihren schiefen Gesängen bewirkt haben, zu interpretieren. Der Blues wirkte also wieder einmal revolutionär.
Die plagale Ordnung ist ein typisches Kennzeichen und entstand aus dem harmoischen Verschmelzen der funktionslosen Mollpentatonik aus Schwarzafrika mit der plagalen Akkordfortschreitung mittelalterlicher Kirchenmusik.
Die Rockmusik hat also nicht das Rad neu erfunden, sondern die Freiheiten die das Bluestonmaterial geschaffen hat für ihre Zwecke sehr effektvoll genutzt.
viele Grüße aus Hamburg
gw
mach ich gerne wenn ich dazu komme, sitze aber gerade in Hamburg im Cafe und kann das ohne Instrument nicht gescheit raushören.
Auf den ersten Eindruck hört sich das für mich aber nicht sehr rocktypisch an. Ich bin mir auch sicher, dass man viele Beispiele finden kann, in denen die Kompositionen unterschiedlichen harmonischen Prinzipien folgen. In wie weit die typischen Rockharmonien wirklich vorherrschend sind, kann ich auch nicht sagen, dazu habe ich bisher zu wenige analysiert um das mit einer statistische Genauigkeit feststellen zu können. Auch deswegen habe ich diesen thread eröffnet, ich würde das gerne zusammen mit euch überprüfen.
Ich möchte aber gerne jetzt nochmal zusammenfassen was ich rausgefunden habe, damit alle wissen wovon ich spreche und ein paar Fragezeichen aus der Diskussion nehmen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung so gelaufen ist:
Auf der Suche nach neuen, frischen Sounds und Harmonien gingen die klassischen Rocker von ihrer Lieblingstonleiter aus, die Mollpentatonik: 1 b3 4 5 b7
Sie stellten fest dass es gut klingt, wenn man die Töne nicht nur als Einzeltöne spielt, sondern harmonisiert. Am liebsten benutzten sie dazu Durakkorde, Mollakkorde gibt es zwar auch im Rock (auch eine Frage, wo und wann, wie oft?) zunächst überwiegen aber eindeutig die Durakkorde. In diesem Sinn ergibt sich eine enge Verwandtschaft zum Blues, wo auch die Mollpentatonik über Durakkorde gespielt wird.
Die beiden Bluenotes b3 und b7 sind die wichtigsten Klangfarben und wurden zu den wichtigsten Rockharmonien bVII und bIII. Die bVII findet sich natürlich auch in mixolydischen Stücken (Norwegian wood, Help!) und liefert in diesem Zusammenhang eine wichtige neue Klangfarbe als folkloristisches Element das wir schon aus der alten englischen Folklore kennen. (Folkrockphase der Beatles)
Sie ist aber auch ein überaus häufig anzutreffender Akkord im Rockzusammenhang, in Stücken die mit mixolydisch nichts zu tun haben. Ich hatte schon einige genannt, "Sympathy for the Devil" "Smoke on the water" und viele andere kann man hinzufügen.
Im weiteren Verlauf fand man heraus, dass auch die bVI und die II gute Klangfarben sind und somit hat man die mit Durakkorden harmonisierte äolische Molltonleiter vor sich: I II bIII IV V bVI bVII
Beispiele:
Purple Haze (Jimmi Hendrix)
I / bIII IV /
Locomotive Breath (Jethro Tull) Riff:
I / I bIII bVII
Brown Sugar (Stones)
Intro Riff
bIII / I / bVI bVII / I
vers
I / I / IV / IV
I / I / bVII / I
chorus
V / V/ I / I
V / V/ I / I
All along the Watchtower (Dylan, Hendrix)
I bVII / bVI bVII
Cocaine (J.J. Cale)
I / bVII / I / bVII /
I / bVII / I / bVII /
I / bVII / bVI / V /
Highwaystar (Deep purple)
intro
IV bIII
vers
I / I / I /bIII IV bIII /
I / I / I /bIII IV bIII /
pre Chorus
bVII / bVII / bVII /bVII IV bVI
V / V / V / V /
chorus
II / II / II / II /
II / II /IV V /IV V /
IV V / bVII I / II / II /
I'm the walrus (Beatles)
Intro
II / II I / bIII bVI / V / V7 / IV / IV7
Vers
I / bIII IV / I /
bIII / IV / I /
I I/b7 / IV/3 bVI bVII / I I/b7 /
bVI / V / V /
chorus
bIII / IV / V /
interlude
II I / bVII IV / V / V
...
Ein weiteres wichtiges Kennzeichen der Rockharmonik ist die plagale Ordnung. (IV-I statt V-I) Auch hier ergibt sich eine enge Verwandtschaft zum Blues, der genauso organisiert ist: (V-IV-I statt IV-V-I)
Klaus111 nannte das mal in einem anderen thread das "Subdominantische Prinzip" Der Quartfall wird zum wichtigen rockharmonischen Ordnungsprinzip und quasi ein Gegenentwurf zum Quintfall in der Klassik und im Jazz. (Faustregel: Quintenzirkel gegen den Uhrzeigersinn gespielt=Quintfall, im Uhrzeigersinn gespielt=Quartfall)
z.B.
Hey Joe
C G D A E E E E = bVI bIII bVII IV I I I I
Die Hey Joe Changes kann man als eine rockharmonische Grundkadenz ansehen. Klassische Funktionsanalyse am ehesten wohl so:
Quartfallsequenz, Subdominantkette: SSSS SSS SS S T
Besonderes Kennzeichen: Aufhebung der Leittönigkeit V-I wird vermieden, jede Harmonie steht als eine Klangfarbe für sich. Die Kadenz wird aufgehoben Harmoniewechsel werden zu Klangfarbenwechsel.
noch ein Beispiel:
Jumping Jack Flash Chorus
bIII-bVII-IV-I
Wenn wir alle Funktionen hinzufügen erhalten wir folgende Rockkadenz in ihrer Longform:
bVI bIII bVII IV I V II (C G D A E B F#)
Einfach den Quintenzirkel im Uhrzeigersinn durchspielen. Merkt ihr wie die Harmonien sich sperrig und mit gewaltiger Power gegen diese Fortschreitung zu wehren scheinen? Wie jede Harmonie als kraftvoller Sound für sich steht? Das hat nichts mit der gefällig dahinfließenden Harmonik im Sinne des Quintfalls zu tun. Das ist eine andere Ästhetik, eine neue Sprache, eine Ästhetik des Widerstands, die Tonsprache der Rockmusik.
Das ist die spezielle Harmonik in der Rockmusik von der ich die ganze Zeit rede.
Über alle Harmonien passt die Mollpentatonik als Improskala. (z.b. Hey Joe e-moll penta)
Zur Dur I singt man meist b3 und b7 . Die 3 klänge viel zu glatt, würde als falscher Ton empfunden.
Typischer Akkord "Jimmi Hendrix Akkord" I7#9 (moll/dur Vermischung)
Das ist somit auch wieder sehr bluestypisch. Die Rockharmonik wirkt auf mich wie eine neue Interpretation des moll und Dur verschmelzenden Bluestonmaterials. (wenig überraschend diese Verwandtschaft)
Aber: Das ist keine Erfindung der Rocker. Hey Joe ist nicht von Jimmi Hendrix
Hey Joe ist der Titel eines US-amerikanischen Folksongs, wer das Original ursprünglich komponiert hat, ist bis heute umstritten. Musikhistoriker gehen überwiegend davon aus, dass William Moses "Billy" Roberts (siehe:choose your own Bluesname Starterkit) Komponist des Liedes ist. Er war ein kalifornischer Folksänger, der für seine vermutlich 1961 entstandene Komposition Hey Joe möglicherweise auf das von seiner Freundin Niela Miller 1955 verfasste Baby, Please Don't Go Down Town zurückgegriffen hat.
Die Geschichte basiert auf dem typischen Blues-Konzept und handelt von einem eifersüchtigen Mann, der seine untreue Frau erschießt (vermutlich in Memphis) und dann in Mexiko untertauchen will. Der Text des Stücks ist so angelegt, dass der Interpret in einem Frage und Antwortspiel die Rolle des Ehemannes und die des Kommentators übernimmt.
Ich denke jedem ist klar geworden, welcher musikalischer Tonsprache dieser Song angehört auch wenn er aus der Feder eines weissen Folksängers stammt. Und auch: Warum ihn Jimmi Hendrix als Rockklassiker etablieren konnte. Wiedermal hat der Blues seine Finger im Spiel und die Tonsprache der Rockmusik ist harmonisch betrachtet nur eine weitere Möglichkeit die Überwindung des Dur-Moll Konflikts die westafrikanische Sklaven mit ihren schiefen Gesängen bewirkt haben, zu interpretieren. Der Blues wirkte also wieder einmal revolutionär.
Die plagale Ordnung ist ein typisches Kennzeichen und entstand aus dem harmoischen Verschmelzen der funktionslosen Mollpentatonik aus Schwarzafrika mit der plagalen Akkordfortschreitung mittelalterlicher Kirchenmusik.
Die Rockmusik hat also nicht das Rad neu erfunden, sondern die Freiheiten die das Bluestonmaterial geschaffen hat für ihre Zwecke sehr effektvoll genutzt.
viele Grüße aus Hamburg
gw