Danke für die Analysen!
Zunächst noch eine Anmerkung zur angeblichen Irrelevanz von
Ina Gaddada Vida für die Rockgeschichte:
The song is considered significant in rock history because, together with music by Blue Cheer, Jimi Hendrix and Steppenwolf, it marks the time period when psychedelic music began to form heavy metal.
Quellen: Warman's American Records, ebenso:
Wikipedia
Chuck Klosterman dient
Ina Gaddada Vida dazu, bei einem Rocksong zwischen
heavy und
hard zu unterscheiden:
For example, Led Zeppelin was heavy. To this day, the song
In-A-Gadadda-Vida is heavy as weaponsgrade plutionium. Black Sabbath was the heaviest of heavy...
Chuck Klosterman (Scribner 2001, USA)
Fargo Rock City, S. 18
Allg. Info zum Buch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Fargo_Rock_City
Reichweite des Songs:
It ultimately sold over 20 million copies, went platinum, and stayed on the Billboard magazine charts for over a year.
http://en.wikipedia.org/wiki/Iron_butterfly
Die subjektive Erfahrung von gitwork (1973) unterstreicht das obige, sowie meine eigene: Als wir (Schülerband) vor 1970 den Song zum ersten mal hörten, war klar, daß wir ihn spielen. Wir hörten ihn heraus, was wegen der Soli anspruchsvoll war. Und bei den Gigs? Schlug er ein!
Zur Langeweile heute, die gitwork ansprach: Deshalb meine obige Frage. Es war damals eine völlig andere Zeit. Die Songs vorher waren i.d.R. nach drei Minuten zu Ende. Schon
Hey Jude mit 7 Minuten war eine kleine Revolution. Und lange Songs mit immer den gleichen Riffs waren recht neu. Man tauchte damals bereitwillig in diese fast tranceartige Stimmung ein, die dadurch erzeugt wurde. Man schuf sich auf den Rock- Konzertveranstaltungen/Gigs eine eigene Welt, die ein kultureller Gegenentwurf zu der des "Establishment" war. Wir spielten damals auch gerne
Suzie Q (ebenfalls Überlänge), was objektiv langweiliger als
In-A-Gadadda-Vida ist - damals jedoch ebenfalls passte.
Zur
Analyse von
Ina Gaddada Vida:
Die Analyse von gitwork finde ich (formal) richtig und auch das was RMACD schreibt, kann ich größtenteils nachvollziehen.
Hier meine Sicht:
Durch das Dm-Arpeggio wird erst einmal die Tonart festgelegt und die Einleitung erinnert an europäische Kirchenmusik. Mit dem einsetzenden Riff und der verzerrten Gitarre wird klar, daß die Bluestonleiter ein Grundpfeiler des Songs ist. Hier kündigt sich im Kleinen schon an, was im Song passieren wird. Der Song nutzt den kulturellen Gegensatz zwischen Europa und Afroamerika, Das wird besonders deutlich im Orgelsolo, das zum großen Teil sakralen Charakter hat. Der Vater des Songwriters Doug Ingle (Gesang, Orgel) war Kirchenorganist. Auch orientalisch anmutende Tonleitern (u.a mit zwei übermäßigen Sekunden) finden Verwendung. Eingesetzte Dissonanzen (Orgel und Gitarre) kontrastieren effektvoll die ruhigen, sakral geprägten Phasen des Songs, der dadurch noch "heavier" wirkt.
Zur Harmonik:
Man verbleibt zu Beginn recht lange auf der Tonika Im. Das erinnert mich etwas an bestimmte Negro Spirituals.
(Ein gutes Beispiel fällt mir allerdings gerade nicht ein, aber Richie Havens - Freedom / Motherless Child mag eine Ahnung davon verschaffen, was ich meine. Er singt sich sozusagen zunächst auf der Tonika in Rage - gesungen auch in Woodstock)
Dann folgt die IV. Richtig, man ist an die dunklere Moll-Stimmung gewöhnt und nun kommt eine Dur-Subdominante. Das ist überraschend, denn die Subdominante tendiert sogar bei Stücken in Dur recht leicht zum Moll.
Gut, dann haben wir also einen Song in Dorisch.
Jetzt kommt aber die II, ein leiterfremder Dur-Akkord. Nach (trad.) europäischem Verständnis stellt der leiterfremde Ton einen Leitton dar und der müßte in diesem Fall zur V aufgelöst werden. Das passiert aber nicht.
Es komnmt wieder die IV. Den Wechsel Dur-II nach Dur-IV kennen wir aus der
Rockgeschichte. Beispiele wurden früher schon zur Genüge angeführt. Der Song könnte auch problemlos auf der IV verbleiben. Die II verleiht aber eine interessante Klangfarbe und den etwas drängenden Charakter, der vielleicht aus der Leitton-Assoziation stammt oder einfach aus der Tatsache des hochalterierens/"anschärfens". Der Akkord möchte sozusagen höher hinaus.
Nach Wiederholung von IV-II findet das Streben schließlich auch Erfüllung und es kommt tatsächlich die V (Quintfall). Doch die Befriedigung reicht nicht. Ist das Bedürfnis einmal erfüllt, stellt es sich sogleich erneut auf höherem Niveau ein, indem der leiterfremde Dur-Akkord auf der III erscheint. Nach gleichem Muster kehrt man
rocktypisch zunächst wieder zurück zum kleinterzverwandten Klang, bis auch hier die Auflösung des Leittones zur Dur-VI erfolgt (Quintfall).
Der Höhepunkt der Melodie ist erreicht und wir haben uns um drei Quinten von der Ausgangstonart entfernt und sind auch noch in Dur - so gesehen wäre die Tonart sechs Vorzeichen von der alten entfernt. Wir sind genau auf der entgegengesetzten Seite des Quintenzirkels angelangt!
Andererseits sind Moll-I und Dur-VI auch auch ziemlich verwandt. Bei der Dur-I und Moll-VI würde es sich einfach um Parallelen handeln.
Die durch ständige chromatische Erhöhungen aufgebaute Spannung wird jetzt einfach durch zwei abwärts gerichtete chromatische Schritte - ohne Modulation- entspannt und wir sind wieder bei der Im.
Bei dem Song wurde, wie im Rock und auch schon im Beat, der kulturelle Gegensatz zwischen Europa und Afroamerika
in einem Song verarbeitet.
Afroamerikanische Komponenten:
- Verwendung der Blues Tonleiter im Riff
- Schaffung von tranceähnlichen Stimmungen durch ständige Wiederholung des Riffs (Berührungspunkt mit dem Ostinato, z.B. in der europäischen Kirchenmusik, z.B.
Passacaglia C-Moll von Bach (Der "Riff" ist hier länger.))
- im Begleitakkord (Tonika) des Riffs ist die kleine Septime enthalten
- Orgelsolo und Gitarrensolo teilweise blues/jazzverwandt
- Betonung der Perkussion durch langes Schlagzeugsolo (allerdings westlich-rockig gespielt)
europäische Komponenten:
- kirchenmusikähnliche Einleitung
- Verwendung von Leittönen
- Anmutungen von europäischer Kirchenmusik im Orgelsolo
***
Noch eine Ergänzung zu einem früheren Kommentar zu den damals "seltenen" Orgelspielern, die heute wohl noch seltener sind:
Nicht zu vergessen, die Organisten Jon Lord (Deep Purple) und Richard Wright (Pink Floyd), die leider beide schon verstorben sind.
Welche Charakteristiken zeigten die von Ihnen eingesetzen Akkordfolgen?
Beispiel Jon Lord (
Tribute):
Am E Gm D :| (aus:
Deep Purple - Highway Star)
E wird -
rocktypisch- nicht als Dominante (mit Leitton) eingesetzt, D ebenfalls nicht.
Beispiel von Richard Wright:
A Saucerful of Secrets - Pink Floyd
Akkorde (Manche bezeichnen es als die schönste Akkordfolge, die sie jemals gehört haben.)
Ebenfalls werden hier die verdurten Stufenakkorde der Moll-Skala oft
rocktypisch (nicht leittönig) eingesetzt.
Edit: Übrigens findet sich in der Akkordfolge genau die gleiche Progression (transponiert) wie oben in
Ina Gaddada Vida (das chromatische höhertreiben in G E A F#). Also durchaus
rocktypisch, jedoch geht es auf die europäische Tradition zurück.
JamBass hat ganz recht, wenn er sagt, daß Cream "ja trotz ihrer enormen Wirkung harmonisch bereits einen Randbereich nahe zum Blues (bluesrock) dar[stellt]."
Rock ist eben
harmonisch gesehen die Verbindung von afroamerikanischer und europäischer Tradition.
Viele Grüße
Klaus