Wenns gut klingt muss man ja nicht nachstimmen.
Es sei denn man befürchtet im Publikum sind ganz kritische Superohren
Ist es eigentlich ein Vorteil leichte Verstimmungen sofort zu erkennen?
Oder eher ein Nachteil?
2 Cent wurden von Mr Bongo als wünschenswerte Genauigkeit genannt.
Das scheint mir ein bischen arg genau. Viele Stimmgeräte erkennen erst Abweichungen von 5 Cent.
Ich persönlich bin mir sicher 2 Cent Abweichung bei der Oktavreinheit garnicht zu merken.
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Das sollte für die meisten modernen Stimmgeräte nicht die Regel sein....
Imho ist die Frage der Genauigkeit auch abhängig vom Sound und vom Sustain. Wenn der Ton liegen bleibt ( wie zum Beispiel bei Chören, Streichern, Orgel etc) nimmt man Unsauberkeiten deutlich leichter wahr als bei Attack-reichen Klängen wie bei Gitarre oder Klavier.
Außerdem ist es auch ein wenig die Frage welcher Ton gespielt wird. Spielst du z.b. die Terz über einen lang ausgehaltenen Schluss-Akkord, wirst du dazu tendieren diese vll rein zu intonieren und nicht temperiert. Das machen viele erfahrene Musiker automatisch ohne groß drüber nachzudenken, der Unterschied ist ja auch recht klein. Auf der Gitarre hat man halt das Problem, dass man die Töne nicht tiefer, nur höher, ziehen kann. Ansonsten kommt das immer auch auf den musikalischen Kontext an, aber das ist zum Beispiel ein Grund warum Chöre dazu neigen zu "fallen", nämlich weil sie versuchen die Stimmungsfehler auszugleichen. Das passiert vll auch ein bischen mittels "Schwarmintelligenz", nicht weil jeder von denen da so genau hört. Streicher haben ja die Leersaiten als unverückbare Anhaltspunkte. Würden die nur in reinen Quinten stimmen, wäre aber deren hohe E-Saite auch schon ein paar Cent zu hoch...
Reine Quinten sind leichter zu hören als Quarten, in denen ja die Gitarre gestimmt ist. Die Quartstimmung ist also schon prinzipiell ein bischen ein Problem. Ein weiteres Kernproblem ist die sogenannte "Inharmonizität" der Saite.
Das heißt, Laienhaft formuliert, dass die Saite, die ja kein perfekte physikalische Welle ist, besonders an den Auflagepunkten, also nahe dem Sattel und dem Steg, nicht so frei schwingen kann wie eigentlich sollte ( die Saite hat ja eine eigene Steifgkeit). Desweiteren ist gesetzt, dass ein Ton ja nicht nur aus einer Frequenz besteht, sondern sich aus den Fundamentalton und den Obertönen zusammensetzt. Das ist der Grund warum ein Klavier anders klingt wie eine Gitarre, obwohl ja z.b. beide ein A spielen und daher beide male die Saite 440 mal in der Sekunde schwingt.
Durch besagtes , nicht-frei-schwingen-können, der Inharmonizität der Saite, sind also jetzt die Obertöne die die Saite de facto produziert höher, als sie eigentlich rechnerisch sein sollten. Ein bischen kann man das Problem umgehen in dem man die Mensur anpasst. Daher sind zum Beispiel bei einem Flügel die Basssaiten so extrem lang. Denn sonst müssten sie sehr viel dicker sein, und die Problematik würde sich noch zunehmende verstärken ( die Saite wäre dann auch weniger flexibel). Klaviere sind also z.b. daher mehr von dem Phänomen betroffen als Flügel.
Eine Orgel hat das Problem so gut wie nicht, denn hier schwingt ja eine Luftsäule, deren Masse und Steifigkeit ist, verglichen mit der Saite, quasi gar nicht da ( stark vereinfacht...)
Insbesondere bei Bässen gibt es daher diesen "Fannes Frets" ansatz, der jeder Saite eine unterschiedliche Mensur zugesteht...
Zurück zum Problem: ein Klavier zum Beispiel wird "gestreckt", das heißt wenn man will dass der Oberton den das A mit 440 Hz produziert genau mit dem A eine Oktave höher zusammenfällt, dieser Oberton aber etwas zu hoch ausfällt, muss man das A in der nächsten Oktave etwas höher stimmen als eigentlich geplant. Dann liegen Obertöne und Fundamentalton besser aufeinander, würde man das bleiben lassen, hätte man irgendwann Schwebungen.
Die Schwebungen kennt man ja als Gitarrist wenn man zum Beispiel die Leersaite mit dem 5. Bund der Saite drunter vergleicht, und beide liegen ganz leicht auseinander.
Umgekehrt stimmt man die tiefen Töne am Klavier ( bei denen das Phänomen aufgrund der dickeren Saiten auch stärker ist) etwas tiefer, sodass die Obertöne, die ja zu hoch ausfallen, mit den gleichnamigen Tönen in den mittleren Oktaven zusammenfallen.
Summasummarum wird das Klavier also in den hohen Lagen höher und in den tieferen Lagen tiefer gestimmt, als eigentlich rechnerisch geplant. Auch dieser Fehler wird gleichmäßig verteilt, denn das ganze stellt im Prinzip ein unlösbares Problem dar, wenn man zwei Oktaven anpasst, stimmt die dritte wieder nicht mehr usw.... Die Klavierstimmer zählen daher Schwebungen pro Sekunge und versuchen die Fehler so elegant zu verteilen, dass er nirgendwo so richtig auffällt.
Die Gitarre ist, in kleinerem Maße vom selben Problem betroffen, nur etwas weniger, weil sie nicht so einen großen Ton-Umfang hat. Mit einem True-Temperament System z.b. löst man diese Probleme auch nicht, aber man kommt halt näher ans Optimum heran. Die Sattelseite wird sich eher auf die Intonantion in den ersten Bünden aus, die Stegseitige Einstellung auf die höheren Lagen. Das was dazwischen ist lässt sich ja bekanntlich nicht anpassen.
Wenn also deine G-saite in Sachen Oktavreinheit 2 Cent zu tief ist, dann stimmen sogar deine Töne in den ersten Bünden besser als, wie wenn sie "richtig" eingestellt wäre. Eine Überlegung die man dabei auch treffen kann ist die, dass man tendenziell unterum mehr Akkordarbeit leistet und obenrum mehr soliert, und mann auf der Gitarre den Ton höher, aber nicht tiefer machen kann.
Ein weiterer Faktor ist Verzerrung. Verzerrte Gitarrenklänge haben sehr viel mehr Obertongehalt als im Cleansound, und wenn dann die Obertönen aufgrund der sich addierenden Unsauberkeiten des Systems Gitarre nicht mehr sauber decken und eine Haufen Schwebungen verursachen, dann klingts schrecklich. Komplexe Akkord funktionieren ja oft schon mit wenig Gain nicht mehr, Dur und Moll Akkorde gehen vll noch im Mid-Gain Bereich. Im High-Gain Sektor wird weitgehend darauf verzichtet und es werden nur noch Powerchords aus Oktave und Quinte gespielt...
Sowas wie dieses Petrucci-Voicing hier ( 1, 5, 9) funktioniert dann wieder halbwegs gut, weil es im Prinzip zwei Quinten übereinander sind.
e---
h---
g---
d----7
a----5
e----3
letztlich ist es immer ein Kompromiss.
In der Praxis ist daher neben einer gut eingestellten Gitarre imho folgendes wichtig.
1. neue Saiten stimmen einfach sauberer als alte, und auch deren Obertonstruktur ist sauberer....
2. Die Saite so stimmen wie man sie auch beim Spielen anschlägt, bei hartem Anschlag klingt die Saite, insbesondere im Einschwingvorgang, höher als beim Ausklingen....
3. zu Hoch gestimmte Saiten immer erst zu tief stimmen und dann wieder "raufziehen" , das verhindert in der Regel ein "nachrutschen"
4. Die Gitarre eventuell selber "regulieren" indem man auf eine bestimmte Tonart stimmt, oder zum Beispiel die G-Saite einen Hauch zu tief stimmt etc...
5. Verschiedenen Methoden gegeneinander Überprüfen, also zum beispiel nicht nur mit 5. Bund sondern auch mit Flageoletts und anderen Lagen, stimmen und aufeinander abstimmen
Das macht imho zum Beispiel bei klassischer Gitarre ggf Sinn, auch bei Open Tunings lohnt es sich genau zu sein.
@Blues-Opa wie du ja sicherlich weißt ist das Thema Oktavreinheit bei Resonatorgitarren eh nochmal undankbarer....
Grüße B.B.
PS: eine ganz gute Möglichkeit, das Gehör dafür zu schärfen ist mittels eines Drones oder Synth-Pads. Wenn man zum Beispiel auf Youtube zu einem Tanpura-Drone modal soliert, hört man viel eher unsauberkeiten in seinen Bendings und wird außerdem feststellen, dass man seine gebendeten Töne mitunter anders intoniert als die gegriffenen Variante.