Was genau aus dem Bereich der Musiktheorie ist für den Gitarristen faktisch unerlässlich ?
Das lässt sich gar nicht wirklich beantworten.
Ich finde das ist eine recht persönliche Sache, die auch extrem davon abhängt was man für Musik machen will und was man damit erreichen will.
Jemand der nur für sich zu Hause etwas vor sich hinklimpern will "braucht" (im Sinne von "kommt nicht ohne aus") im Grunde gar keine Kenntnisse. Er kommt auch mit Trial&Error soweit wie es ihn zufrieden stellt.
Der Jazz-Musiker, der in einer Jazz-Coverband spielt, die viel Wert auf Authentizität der Stücke legt, wird sich zwangsläufig mit der Jazz-Harmonielehre auseinandersetzen und mit den verschiedenen Jazz-Stilen und deren Merkmalen.
Der Klassiker wird vllt auch mal ein Musikgeschichtliches Werk aufschlagen und nachlesen was denn zu der Zeit überhaupt machbar war.
Der Interessierte wird vllt ohne wirklichen "Zwang" einfach mal ein paar Seiten über Musiktheorie lesen und vllt danach feststellen, dass ihm beim Spielen auf einmal ein paar Sachen bekannt vorkommen und er Stücke irgendwie einordnen kann.
Der sinnliche Musiker wird vllt sagen "hey, wozu Theorie, ich hab eine Vorstellung davon wie sich meine Musik anhören soll, jetzt drück ich solange auf der Gitarre rum, bis es mir passt"
Wie HaraldS schon sagt, und den Satz fand ich wirklich sehr, sehr gut: Akzeptiert andere Musiker so wie sie sind. Jeder hat seine Art an Musik heranzugehen. Es gibt kein besser oder schlechter.
(ich bin sowieso gar kein Freund von solchen Wertungen. Auch handwerklich nachweislich nicht vernünftig ausgeführte Musik kann mich trotzdem mitreißen. Ich hab schon Vorstellungen gesehen wo jemand mit ner verstimmten Gitarren und unschöner Stimme Musik gemacht hat, und es war trotzdem toll, weil man einfach gemerkt hat, wie sehr dieser Mensch seine Musik lebt. Und da ist es mir egal, ob der jetzt weiß was ne Tonika ist und dass er grade auf der A-Dur Pentatonik gespielt hat.)
Noch ein Beispiel aus nem Kurs bei mir an der Uni zum Thema "verschiedene Herangehensweisen". Wir haben ein Musik-Stück gehört mit der Aufgabe hinterher zu sagen was uns dazu einfällt:
Ich hab den Gestus des Stückes aufgenommen, jenes war sehr verspielt mit vielen Verzierungen, wie so ein plätschernder Bach etc, also so eine sinnbildhafte Wahrnehmung, ich guck dann oft welche Gefühle die Musik in mir auslöst.
Mein Nebenmann sagte dann soetwas wie: Das Stück folgt dem Schema X, nach 16 Takten moduliert der Komponist über folgende Stufen in die Dominant-Tonart, dort setzen dann auch die Instrumente X Y und Z ein.. etc..
Ist jetzt die eine Sichtweise "besser" als die andere? Ich finde nicht. Es sind einfach zwei verschiedene Sichtweisen.
Genauso wird ein Gitarrist ein Musikstück unbewusst eher danach bewerten wie ihm die Gitarre darin gefällt. Wohingegen ein Sänger viel mehr Wert auf die Gesangsmelodie legt und der Bassist auf die Bassläufe.
Aber das ist ja alles völlig legitim.
Und unter diesem Gesichtspunkt sehe ich auch Musiktheorie: je mehr man weiß, desto einfacher ist es auch diese "analytische" Sichtweise einzunehmen und zu gucken "Was passiert denn in dem Stück genau?" "Wieso klingt die Stelle da so toll?"
Und dann kann man es sehr wahrscheinlich leichter adaptieren.
Natürlich kann ich auch ohne jede musiktheoretischen Kenntnisse herausfinden, das die Akkordfolge C F G C schön miteinander harmoniert.
Wenn ich aber z.B. schonmal etwas von Stufenakkorden gehört hab und erkenne "Ah, das ist I-IV-V-I", dann kann ich das sofort auch in alle anderen Tonarten übernehmen.
Wenn also die Sängerin, mit der du das Stück zusammen spielen willst, dir sagt: "hey, das ist mir zu hoch, können wir das Stück tiefer machen?", dann kannst du das vllt direkt einfach vom Blatt transponieren, und musst dir nicht denken "verdammt, wieso gibt es keinen Capo der die Gitarre tiefer macht?"
Wenn man keinerlei Ahnung von Musiktheorie hat, muss man dann eben andere Wege gehen, oder lernen.
Ah übrigens fällt mir da auf, dass oben in meiner Aufzählung der verschiedenen Leute noch jemand fehlt:
Der Zyniker, der sich das folgende Video anguckt und denkt "Musiktheorie, son Unsinn, ist doch eh immer dasselbe":
http://www.youtube.com/watch?v=5pidokakU4I&feature=player_embedded
(nicht ganz ernstgemeint ;-)