Hör selbst hin:
Bei 15:39 erfolgt der Wechsel bei gleicher Dynamik, gleichem musikalischen Inhalt.
Hatte etwas Zeit, bei der angegebenen Stelle mal rein zu hören. Bei 15.33 wird der "Real Neve" eingeblendet, bei 15:50 komm wieder der "UAD Neve". Ich stimme zu, dass beim Wechsel an 15:33 die Spielweisen gut vergleichbar sind, bei 15:50 geht es dann aber wieder in einer anderen Dynamik und in einem anderen Ausdruck weiter.
Und tatsächlich höre ich im Video ab 15:33 auch einen klanglichen Unterschied. Vor allem der Bass und der Low-End-Bereich klingen beim Real Neve etwas leiser als beim UAD direkt davor. Das wirkt dadurch auch klanglich weicher.
Es ist nun aber so, dass ich mich mit der Feststellung alleine, dass es diesen klanglichen Unterschied gibt, nicht zufrieden geben würde. Ich würde dann versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Es ist vorher irgendwo im Video kurz davon die Rede, dass auch am EQ der Geräte Einstellungen vorgenommen wurden. Leider wird nicht näher mitgeteilt, welche. Nun besitzt das UAD-Plugin ja auch einen Clone der Optik der Originalgeräte, zeigt also optisch dieselben EQ-Pegelsteller wie das Original. Wenn man nun am originalen Neve bestimmte Einstellungen vorgenommen und diese dann 1:1 auf den Clone übertragen hat, dann wahrscheinlich derart, dass man dort die virtuellen Drehknöpfe auf dieselben Skalen-Strichpositionen gestellt hat wie bei den Hardware-Knöpfen.
Wer sagt nun aber, dass UAD das Original so perfekt geklont hat, dass an den selben Skalenpositionen exakt dieselben EQ-Eingriffe erfolgen? Es könnte doch sein, dass hier z.B. der Bass-Boost an derselben Position beim UAD ein wenig stärker anhebt als beim Original? Dann müsste man entweder den UAD etwas knapper einstellen oder am Real Neve den Regler ein wenig höher stellen und hätte dann womöglich doch dasselbe klangliche Ergebnis?
Wenn ich diese Geräte beide hätte und mir dieser Unterschied auffallen würde, dann würde ich zur Klärung des Sachverhalts durch beide Geräte einen Frequenz-Sweep schicken und auf eine Oszilloskop die ausgegebenen Signale/Kurven übereinander legen. Mit der Methode sieht man dann ganz schnell, wo sie nicht mehr deckungsgleich sind und ob und wie man sie mit einer geänderten Einstellung doch deckungsgleich bekommt. Damit könnte man eventuelle Abweichung in den Skalen auch quantitativ ermitteln.
So habe ich auch einmal die Abweichung genauer ermittelt, die bei einem Zoom H6 zwischen den Potis für Kanal 1 und 2 bestehen und die mir gehörsmäßig aufgefallen waren. Bei einer Stereomikrofonanordnung müssen ja beide Kanäle technisch genau gleich gepegelt werden. Falls aus irgendwelchen Gründen ein absoluter Gleichlauf von Pegelstellern erforderlich ist, teste bzw. kalibriere ich das mit dieser Methode.
Mein erstes Fazit bei der Feststellung der Unterschiede zwischen "Real" und "UAD" wäre also nicht "die klingen halt unterschiedlich", sondern "was ist da los, stimmen alle Einstellungen wirklich exakt überein?".
Das Gehirn und Gehör kann da auch nicht viel mehr machen. Sind z.B. 4 Geigen auf gleiche Panoramaposition im Stereomix gemischt, so kann auch kein Mensch auseinanderhalten, welche Geige welche Töne spielt.
Wenn die 4 Geigen unisono spielen, dann sicher nicht. Wenn sie aber einen vierstimmigen Satz spielen, sollte man recht leicht jede Geige ermitteln können, zumal, wenn man die Noten des Satzes vorliegen hat.
Im Übrigen hab ich zu dem Thema auch noch was. Leider finde ich den Link nicht mehr, aber kurz gesagt ging es um eine Studie neulich, die zeigte, dass das Ohr besser ist als konventionelle Messtechnik bei einem wichtigen Aspekt, dem Kompromiss zwischen zeitlicher und spektraler Auflösung.
Das Ohr ist wie auch alle anderen unserer Sinnesorgane kein Messinstrument, funktioniert nicht so und wurde von der Natur auch nicht dazu konzipiert. Das Ohr/der Gehörs-Sinn ist ein "Erkennungs-Instrument". Wir
erkennen aus dem Gehörten Details, Zusammenhänge, Klänge, Worte usw.
In dieser Hinsicht sind unsere Sinne Messinstrumenten grundsätzlich überlegen. Aber das Erkennen will geschult werden, wir können nur erkennen, was wir kennen oder etwas, das an unsere bisherigen Erfahrungen anknüpfen kann.
Wer nicht darin geschult ist, was ein vierstimmiger Satz ist und wie der vorliegende Satz (den man auch noch Lesen können muss) klingen soll, der wird die vier Geigen in dem Satz nicht auseinanderhalten.
Ansonsten sind Messinstrumente aber in ihrer jeweiligen Spezialdisziplin den menschlichen Sinnen mehr als haushoch überlegen. Für die Messungen im Zeitbereich nimmt man im übrigen z.B. ein Oszilloskop, für den Frequenzbereich einen Spektrums-Analyser.
Mir scheint, dass hier immer wieder ein Gegensatz zwischen dem Hören und der Gehörbildung und dem technisch-Faktischen wie z.B. Messwerte, sorgfältiges Vorgehen bei Vergleichen usw. konstruiert wird.
Der Forderung nach guter, intensiver und fortwährender Schulung des Gehörs habe ich hier nie widersprochen. Wie sollte ich auch, denn ich unterrichte an einer Musikschule u.a. das Fach Theorie/Gehörbildung wo ich Schüler im Rahmen der Studienvorbereitung auf die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule vorbereite. Deren Bedingungen sind mir daher gut bekannt, im letzten Jahr hat eine Schülerin aus meinem Kurs die Aufnahmeprüfung für das Toningenieur-Studium an der Musikhochschule Düsseldorf gemacht - und bestanden.
Aber ebenso seriös ist und bleibt für mich die Forderung, bei einem Vergleich - und eben darum geht es ja explizit in dem Video - alle Daten offen und transparent offen zu legen (wie z.B. EQ-Einstellungen, komplettes Equipment, Effekte in den Spuren usw.), wobei in den konkreten zu vergleichenden Tracks die Geräte selbstverständlich anonymisiert werden müssen.