Hallo
@all
Ich vermisse das wichtigste Argument: das Handwerk. Wer sein Handwerk halbwegs beherrscht, wird vermutlich von ganz allein SEINE Sprache finden.
Wer Texte schreiben will, muss texten können. Das ist mMn mindestens genauso schwer, wie ein Instrument zu erlernen. Jeder kann auf einem Klavier klimpern. Aber damit das SPIEL das Ohr schmeichelt oder die Seele bewegt, muß man Kontraste wechseln können: nach Belieben das Timing, Emotionen, Settings, Darsteller usw. austauschen können. Man muss etwas von Zäsuren verstehen oder - allgemein gesagt - den Rhythmus einer Sprache beherrschen. Das beginnt natürlich bei der Grammatik. Mit geschickt eingebauten Imperativen oder Satzabbrüchen kann man sehr knapp formulieren. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Einige schrieben hier, ihnen würde es gelegentlich an Themen mangeln. Ich bezweifle das. Die Themen sind i.d.R. nicht das Problem. Die DARSTELLUNG ist das Problem. Zu Beispiel die Beherrschung von Ironie oder Glaubwürdigkeit. Die intellektuelle Orchestrierung. Das ist wie beim Erlernen eines Instrumentes. Der eine hat unbewußt gute Voraussetzungen. Der Andere muß ab einem bestimmten Niveau intensiv üben.
Ich war auch mal der Meinung, dass Englisch weniger Silben braucht. Dann habe ich eine Menge Welthits mit möglichst korrektem Rhythmus, Reim und Sinn nach gedichtet (und genehmigt veröffentlicht) und festgestellt, daß sie sich recht einfach ins Deutsche übertragen ließen. Allerdings habe ich eben langjährige Erfahrung.
Entgegen kam mir, daß der dt. Syntax - entgegen allen Vorurteilen - besonders elastisch ist. Im Deutschen ist praktisch kaum eine echte INVERSION möglich, also eine falsch klingende Satzumstellung.
Ich finde es immer wieder peinlich, wenn dt. Musiker in einem TEXTER-Forum fast unwidersprochen behaupten dürfen, dt. Texte würde nicht klingen. In den allermeisten Fällen meinen sie damit ldiglich, daß ihr dt. Publikum leicht heraus hört, wie klischiert oder gar dümmlich manche Musiker mit ihrer Muttersprache umgehen, nur um sich selber vormachen zu können, sie seien "Künstler".
Zu einem feinen Textgespür zählt neben sprachlichen Fertigkeiten auch eine feine Gedankenführung. Der Eine handhabt seine Themen mit einem ironischen Unterton, der Andere beherrscht die Andeutung, ein Dritter läßt den Gedanken ihren assoziativen Lauf. Wie auch immer: Dazu gehört gestalterischer Mut (!) und ein feines Händchen.
Nach meiner Beobachtung haben Engländer und Amis im Popbereich an Feinsinnigkeit einen (vielleicht mental bedingten) kleinen Vorsprung, wie den die Deutschen in der geschriebenen Lyrik Jahrhunderte hatten. Aber das wechselt in dem Maße, wie die Künstler anderer Nationen das studieren, nachahmen und schließlich toppen.
Fazit: Gute Lyrics sind eher darstellende oder klug abstrahierende Literatur und eben nicht gereimten Vorurteile oder Meinungen. Je besser man eine Sprache beherrscht, um so mehr bietet sie sich als Songtextsprache an.