"Ich höre sogar aus England, dass seit geraumer Zeit eine kräftige Retrowelle ins Rollen gekommen ist, die Achtzehn- bis Dreissigjährige nicht nur wieder an den Vinyl-Plattenteller bindet, sondern die Begeisterung für alte Röhrenamps steigert und die Nachfrage nach Modelling-Verstärkern praktisch auf Null reduziert hat".
Ja, gut. Pippers Ergüsse sind ungefähr vergleichbar mit der Kolumne "Post von Wagner" in der BILD-Zeitung.
Die 50er/60er Jahre, aus denen die großen Vinyl-Alben und Singles stammen, waren gleichzeitig das Zeitalter
der neu aufgekommenen, portablen Transistorradios und -plattenspieler, sowie der ersten Autoradios auf Transistorbasis.
Musikhören ging jetzt auch draußen, weit weg von Vatis schwerer Hifi-Truhe.
Also nix mit Röhre und Vinyl.
Dass Vinyl momentan eine Renaissance feiert stimmt allerdings.
Aber warum all' diese jungen Leute? Sind die auf Hype hereingefallen, irren die, sind die alle so dämlich, probieren die nur und wenden sich dann enttäuscht ab?
Meine Theorie dazu:
Seit ungefähr zehn Jahren erleben wir in der Musiklandschaft die Maximierung der Lautheit von Aufnahmen.
Das heißt, die Musik, die auf eine CD gepresst wird, wird vorher im Mastering-Studio bis an die Grenze zur Verzerrung gefahren,
extrem komprimiert und ihrer Dynamik beraubt.
Man spricht hier vom "Loudness War".
Der Effekt ist, dass die Songs dadurch sehr präsent und knallig klingen, was vor allem im Autoradio oder durch
Kopfhörer zunächst einen positiven Höreindruck ergibt.
Das ist so gewollt. Die Tracks sollen auf der Playlist unter den anderen herausstechen.
Der Nachteil ist, dass die Lautheit das Ohr schnell ermüden lässt und es unter Umständen anstrengend ist, sich ein
ganzes Album anzuhören, das so gemastert wurde.
Diese fragwürdige Entwicklung betrifft nicht nur neue Aufnahmen aktueller Künstler, sondern auch
Re-Releases alter Aufnahmen werden auf diese Weise remastert.
Dadurch kann es passieren, dass ein altes, gewohntes Album in der neu gemasterten Fassung auf einmal
unangenehm und harsch klingt.
Hier kommt nun das Vinyl ins Spiel:
Einer Vinyl-Schallplatte sind durch die Beschaffenheit des Materials Grenzen in Sachen Lautheit gesetzt.
Man kann die Musik nicht so laut auf eine Platte pressen, wie auf eine CD.
Das hat zur Folge, dass die Vinylausgabe eines Albums meistens gemäßigter, weicher, dynamikreicher und weniger anstregend
klingt als die CD-Version.
Dadurch denken viele, dass Vinyl besser klingt, was aber so nicht ganz richtig ist.
Man könnte die Musik auch ohrenfreundlicher auf CD pressen, aber man macht es seit einigen
Jahren leider nicht mehr.
Mit Röhre oder Transe hat der aktuelle Vinyl-Boom also nicht viel zu tun.
Hier ein paar Beispiele zum Thema 'Loudness War' und wie er die Musik verdirbt:
Bei meinen Produktionen versuche ich immer den Spagat zu schaffen:
Meine Tracks mastere ich relativ laut, aber ich lasse immer noch genügend Dynamik drin,
so dass das Ohr nicht überanstrengt wird.
Ich würde allgemein schon sagen, dass Digital genauso gut klingen kann wie analog, wenn man
es richtig angeht.
Leider klangen die ersten CDs und digitalen Musikproduktionen aus 80ern sehr bescheiden, was
aber weniger an der Qualität des Mediums, sondern vielmehr am mangelnden Knowhow lag.
Gestern las ich von Dr. Hans-Arthur Marsiske in einem ganz anderen Zusammenhang noch einmal einen für mich zumindest bemerkenswerten Satz. Es ging um das Stichwort "Geplante Obsoleszenz". Er schrieb
hier: "Die Digitalisierung ist die größte ökologische Katastrophe im Konsumgüterbereich."
Aus marktwirtschaftlicher Sicht vielleicht.
CDs und Mp3s nutzen sich nicht ab, man muss sie nicht irgendwann neu kaufen.
Genau daran hat die Musikbranche in den goldenen 90er Jahren den meisten Umsatz gemacht.
Das war nämlich die große Zeit der Re-Releases, wo die alteingesessenen Musikfans und Sammler
anfingen, ihre alten Schallplatten zu schonen und die Sammlung ein zweites mal, auf CD, zu kaufen.
Erst um das Jahr 2000 wendete sich das Blatt und die Schattenseiten der Digitalisierung kamen zum
Vorschein: Die Leute hörten auf für Musik zu bezahlen, da man alles kostenlos (und illegal) aus dem
Netz ziehen konnte.
Heute leben wir aus diesem Blickwinkel in einer düsteren Zeit.
Es gibt keine Hits mehr, keine neuen großen Bands, keine großen Alben und dafür Schlager, Schlager, Schlager - das ist nämlich die
Klientel, die noch für ihre Musik bezahlt, da sie nicht so netzaffin ist, wie die jüngere Generation und wenig relativ wenig illegal herunterlädt.
Zum eigentlichen Thema zurück:
Beim Modeling-Amp auf Transistorbasis kommt ja noch hinzu, dass hier der Klang ja nicht nur wiedergegeben oder abgetastet wird, sondern auch erzeugt bzw. aus dem Eingangsignal errechnet wird.