Und Structures ist nun mal ein Werk, dass sich experimentell ganz radikal auf diese Idee einliess - und selbst wenn ich das Stück auch nicht besonders mag, halte ich gerade die Tatsache, dass das serielle Prinzip hier einmal so rein und "primitiv" angewendet wurde für unglaublich wichtig, sei es auch nur um das mal "abgehakt zu haben". Aber die gesamte Neue Musik (oder auch nur die Musik von Boulez) auf "Structures" zu reduzieren ist ja schon ein wenig naiv...
Vieles in der Neuen Musik klingt heute immer noch so wie Structures. Die Avantgarde-Komponisten haben lediglich "entdeckt", dass man die klanglichen Resultate von Structures auch erzielen kann, wenn man keine mathematischen Verfahren benutzt, sondern wenn man einfach "lustig improvisierend" auf der Tastatur herumklimpert und den Zufall walten lässt. Dass dem so ist, hätte ich der Komponisten-Elite schon vorher sagen können, aber mich fragt ja keiner.
Fehlentwicklungen wie beim Serialismus entstehen dann, wenn in der Musik gedankliche Konzepte höher gewichtet werden als die klanglichen Resultate selbst. Diese verkopfte Art des Komponierens gehört in der heutigen Avantgarde immer noch zum "guten Ton". Auf diese Weise werden immer neue kompositorische Sackgassen produziert.
Vor ein paar Seiten wurde noch die "elitäre Arroganz" der Neuen Musik beschimpft, aber du scheinst da ja ins gleiche elitäre Lager zu schlagen. Ist dein Kriterium für gute Musik, schwer imitierbar zu sein?
Kunst hat etwas mit Können zu tun. Diese Auffassung ist nicht elitär. Für mich liegt Kunst dann vor, wenn eine musikalische Aufführung von einem Musikunkundigen/Laien nicht zu imitieren ist. Nehmen wir als Beispiel eine Komposition, wo verlangt ist, dass der Interpret auf der Geige herumkratzt und am Ende das Instrument auf der Bühne zerstört. Ist das Kunst? Für mich nicht - weil dazu jeder Nichtkönner in der Lage ist.
Meine Kunst-Definition - die von einem breiten Publikum geteilt werden dürfte - ist vor allem in der modernen bildenden Kunst über Bord geworfen worden. Getreu nach Beuys: Jeder ein Künstler - alles ist Kunst. Diese Albernheit lehne ich entschieden ab. Sie ist verantwortlich dafür, dass das Publikum heute von modernen "Künstlern" mit lauter Unrat überschwemmt wird. Da ist ein Müllberg, den der Meister Beuys persönlich zusammengekehrt hat, plötzlich "große Kunst". Nur wenn die Putzfrau ihr Wischtuch dazuwirft, ist es plötzlich keine Kunst mehr - sondern nur noch Müll.
Diese Kunstauffassung a la Beuys gibt sich zunächst einmal egalitär. Jeder Mensch soll ja ein Künstler sein.
Doch wessen Kunst am Ende öffentliche Weihen erhält (und sich vor allem verkauft), darüber entscheidet eine Kaste aus Künstler-Gurus und Kritikern.
Die scheinbar egalitäre Kunst entpuppt sich damit als elitäre Ersatzreligion, in der alles am Urteil einzelner Kunst-Priester hängt: Entscheidend ist nicht mehr, WAS künstlerisch gemacht wird, sondern WER etwas macht. Wenn ich es bin, der mit dem Malpinsel herumkleckert, ist das nicht beachtenswürdig. Große Kunst ist es aber, wenn Paul Klee das tut. Das ist regelrecht antidemokratisch.
Gott sei Dank gibt es gegenüber dieser Art Publikumsverarschung wieder eine wachere Gegenöffentlichkeit, die das nicht einfach so hinnimmt. Auch dank des demokratischen Mediums Internet.