Wann hat man angefangen, mit verzerrten Gitarren zu spielen? Früher als man denkt.

  • Ersteller Brazolino
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Mit dem Beginn der elektrischen Verstärkung von Gitarren begann eine völlig neue Zeit … es gab NICHTS auf dem man hätte aufbauen könne, ALLES entwickelte sich ganz neu, und alle Weiterentwicklungen bis heute bauen letztlich darauf auf. Ein ähnlicher Meilenstein war erst wieder die Einführung der Digitaltechnik, wobei man auch da auf das analog Vorhandene aufbauen konnte.
 
ist das nicht jedes Mal so, wenn es etwas neues gibt ?
in den 60/70ern waren es dann die großen Hiwatts / Marshalls.

Was (Gitarren) Effekte in den 60er/70er anbelangt so ist in diesen 2 Dekaden der Grossteil dessen was heute digital reproduziert wird auf analoge weise entwickelt worden. In den 60ern gabs Fuzz, Echo, Modulationseffkte wie z.B. das Univibe und das WahWah.
In den 70ern kamen dann noch ein paar Modulationseffekte, z.B. Phaser, Flanger, Envelope Filter ect. dazu
Aber auch Echo und Flanging Effekte gabs schon vorher, nur wurden sie da noch rein mechanisch und nicht elektronisch erzeugt


Die einzigen Neuerungen ( m.M.n.) war Hip Hop und Drum n Bass. Beides vollkommen neu - und auch hier wieder der Technologie geschuldet.

Das finde ich jetzt etwas paradox denn gerade mit der Sampling Technologie wurden doch nur alte Beats aus der Funk/Soul/Disco Ära wieder "neu" aufgewärmt.
 
Das finde ich jetzt etwas paradox denn gerade mit der Sampling Technologie wurden doch nur alte Beats aus der Funk/Soul/Disco Ära wieder "neu" aufgewärmt.

das hatte ich mir beim Schreiben auch gedacht, aber die Art und Weise wie man herangeht, die Simplizität von immer wiederkehrenden Loops, das ist schon was anderes. Ganz davon abgesehen ist der vokale Vortrag auch komplett anders.

Zumal: man darf ja nicht nur die "Pi Diddys" dieser Welt sehen, die einfach eine bekannte Hook samplen, einen mehr oder weniger begabten Rapper drüberlegen und somit eigentlich keine Schaffenstiefe erlangen.

Der eigentliche Hip Hop jedoch arbeitet mit so vielen winzigen Versatzstücken, als Mini Schnipseln, dessen Ursprung nicht erkennbar ist und setzen somit aus 20 Songs Schnipsel zu etwas komplett neuem zusammen. Das wäre ohne Technologie nicht möglich gewesen. Wenn Interesse besteht, dann bitte mal das Erstlingswerk von DJ Shadow: Introducing anhören. Die Platte besteht nur aus Samples und war aus hunderten.

Auch wenn man die Ursprungsform von HipHop anschaut.
2 Plattenspieler wurden für etwas verwendet, was so niemals stattgefunden hat.
Loops wurden manuell und sehr kunstvoll vor- und zurückgespult und somit das Fundament gelegt, auf das später beim Samplen zurückgegriffen wurde.
Auch hier war zuerst eine niemals vorher dagewesene Nutzung von Technologie ( Plattenspieler ) der Anlass.

Ein anderes Beispiel ist Aphex Twin ( wenn auch kein Hip Hop ). Die Art und Weise, wie dort Soundfragmente und Samples manipuliert sind und dadurch komplett eigenen, vorher nie gehörte Sounds entstanden sind, wäre ohne Technologie nicht möglich. Man kann da auch die gesamte spätere Electro Musik heranziehen, mit Kraftwerk als Pionier
 
*edit*


Wenn man es genau nimmt, haben das die Beatles mit George Martin das Sampling/Looping und neu Zusammensetzen ja schon vorweggenommen:

 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Da hast Du aber nochmal Glück gehabt, den wollte ich Dir gerade um die Ohren hauen

Ja, das war so ein Ding. Wenn ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, das Thema gedanklich zu verarbeiten, hätte ich viel früher auf JGW kommen sollen - hab' ich doch eine Compilation aus seiner frühen Blues-Zeit im Regal stehen (da muss ich demnächst wieder mal in Ruhe reinhören). Er hat ja später diesen, wie kann man das sagen, immer noch recht blues-verwurzelten Funk gespielt - und das waren die Sachen, die ich schon seit meiner Jugendzeit durch einen Funk-begeisterten Freund kennen gelernt habe (und mittlerweile auch sehr mag).

Zum Thema Distortion: nebst aufgerissenen amps und zerschlitzten Lautsprechern gab es noch einen anderen Vorfall. So weit ich mich erinnere war die "erste" Aufnahme mit distortion in den 40ern, bei der Gitarrenaufnahme fing ein Mischpult durch einen defekt plötzlich an zu clippen an und man hat sich dann entschieden die Aufnahme so zu belassen. Weiss aber nicht mehr genau wann und welcher Künstler/song.

In diesem Artikel wird folgendes erwähnt:

Gibson’s 1962 Maestro FZ-1 Fuzz-Tone, partly inspired by another accident, a faulty mixing board connection that distorted Grady Martin’s bass solo in the Marty Robbins’ 1961 country tune "Don’t Worry" [...]

Meinst du das vielleicht?

Vielleicht noch ganz allgemein: Ich glaube mittlerweile auch, wie es einige der geschätzten Teilnehmer schon geschrieben haben und worauf die hier verlinkten Beiträge auch hindeuten, dass die "Story of Distortion" a) erheblich älter ist als man es oft hört und b) sich langsam und Stück für Stück entwickelt hat. Aber ganz ehrlich: Ich hatte keine Ahnung davon, dass es die schwarzen Blueser waren, die eine derart breite "(over)driving ;) force" dargestellt haben. Wer auch immer wen wann und wie beeinflusst hat - die Blues-Leute waren definitiv die wahren Pioniere. Und mir ist, das glaube ich zumindest, auch klar geworden, wieso: Ich denke wirklich, wie ich es schon mal geschrieben habe, dass Mundharmonika und/oder Saxophon so was wie die frühen Inspirationen für Gitarristen waren, irgendwie an einen ebenso rauen und durchsetzungsfähigen Sound zu kommen. Ob man dazu durch Zufall kam oder nicht, mir ist wichtig zu wissen, dass zumindest einige Gitarristen das wirklich wollten und eine Vision davon im Kopf hatten, dass eine E-Gitarre anders klingen können sollte als z. B. das, was man im Big-Band-Jazz oder Country oder wer-weiß-wo benötigte und schätzte.

Was ich mittlerweile bezweifle, ist das oft gehörte Narrativ, dass man verzerrte Gitarren allgemein als Makel empfand. Sicher, es gab und gibt Musikrichtungen (bis heute), in denen man clean spielen möchte oder sogar muss, weil die Verzerrung stört. Und, ja, möglicherweise waren eben genau diese Musikrichtungen sehr populär, so dass man sich an verzerrten Gitarren logischerweise oftmals störte. Aber ... sobald es mit dem Rock 'n' Roll (übrigens ist das die "offizielle" Duden-Schreibweise, extra nochmal nachgesehen :rolleyes:) mal so richtig wild wurde ... ich glaube da nicht an einen Mangel an Wollen, sondern eher, dass anfangs viele Gitarristen schlicht nicht wussten, wie man Verzerrung a) verlässlich und handhabbar produzieren und b) beherrschen und einsetzen konnte.

Zum Beispiel gab es in den 1960ern ja eine Menge an Psychedelic-Rock mit zum Teil schon ganz wüsten Fuzz-Orgien. Aber wenn ich mal so nachdenke, hört man in vielen Songs diese strikte Trennung zwischen relativ cleanen Parts (oft offene Akkorde oder Barrés) und dann für kurze Licks oder Leads gnadenlos heavy ge-fuzz-t. Kann es sein, dass sich darin so eine Art Entwicklungs- und/oder Experimentierprozess widerspiegelt, bis dann bereits 1968 so dreckige Sounds wie hier ...



... zu hören waren? Für mich qualifiziert sich diese Klang-Eruption auch heute noch als ausgesprochen "hart" und verzerrt ... in seiner brachialen Rohheit sogar härter als so manche hochglanz-polierte Schwermetall-Sounds aus modernen High-Gain-Amps, die mich oft relativ kalt lassen.
 
Bleiben wir lieber bei den Anfängen verzerrter Gitarrenklänge, o.k. ;) ?

LG Lenny
 
*edit*


Wenn man es genau nimmt, haben das die Beatles mit George Martin das Sampling/Looping und neu Zusammensetzen ja schon vorweggenommen:

naja, dass Bänder geschnitten wurden, gab es ja auch schon lange - auch vor den Beatles.
Aber es war kein Stilmittel.
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Wer auch immer wen wann und wie beeinflusst hat - die Blues-Leute waren definitiv die wahren Pioniere.

ich finde zum Pionier wird man dann, wenn man bestimmte Dinge, die vorher in der Form niemand so eingesetzt hat, ganz bewusst als Stilmittel einsetzt.

Nutze ich etwas, weil es eine technische Unzulänglichkeit ist und es einfachnicht anders umgesetzt werden kann zu dieser Zeit, dann weiß ich nicht, ob man von Pionieren sprechen kann.

Die Frage ist, ob man damals - gesetzt den Fall es hätte die technische Möglichkeiten gegeben, komplett unverzerrt zu spielen, trotzdem ganz bewusst verzerrt gespielt hätte, weil man genau dieses Klangerlebnis wollte. Wenn man zielgerichtet und bewußt einen bestimmten Zustand herbeigeführt hätte. Dass diese Leute damals ein gänzlich neues Genre "entwickelt" haben, will ich gar nicht in Frage stellen - aber die Sache mit der Verzerrung ist ja eher ein glücklicher / unglücklicher Begleitumstand, den von vorne herein eigentlich niemand wollte.
 
Und bevor mir floydish womöglich noch diesen großartigen schwarzen Blueser um die Ohren hauen möchte :tongue:, bringe ich ihn gleich als weiteren Zeugen:

Albert Collins (1958)



Besonders interessant finde ich, wie sehr der Gitarren-Sound den Bläsern ähnelt. Laut Wikipedia übrigens seine Debut-Single - und schon damals hatte er diesen eisigen, spitzen Klang, für den er ja berühmt ist.
 
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naja, dass Bänder geschnitten wurden, gab es ja auch schon lange - auch vor den Beatles.
Aber es war kein Stilmittel.

Ich finde bei "Strawberry Fields" ist es definitiv ein Stilmittel.

.
 
ist zwar eine interessante Frage, jedoch falsch gestellt, da bei der damaligen Röhrentechnik plus zumeist rel. niedrige Wattzahlen Verzerrungen unausweichlich sind, sodas die Anwort lautet:
man hat angefangen, mit verzerrtem Ton zu spielen, als man erstmalig die Gitarre an den Röhrenamp anschloss.
Richtig gestellt lautet die Frage:
wann hat er angefangen, mit voller Absicht einen verzerrtem Ton zu spielen, der über das übliche Röhrenhusten hinausging?
 
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ich finde zum Pionier wird man dann, wenn man bestimmte Dinge, die vorher in der Form niemand so eingesetzt hat, ganz bewusst als Stilmittel einsetzt. [...] Nutze ich etwas, weil es eine technische Unzulänglichkeit ist und es einfach nicht anders umgesetzt werden kann zu dieser Zeit, dann weiß ich nicht, ob man von Pionieren sprechen kann.

Genau davon rede ich: Ich bin (auf Grund dessen, was hier in verschiedenen verlinkten Artikeln und Videos erwähnt wird) zu der Ansicht gekommen: die wollten das. Das kannst du zwar gerne bezweifeln (wobei mich da die Gründe mal interessieren würden), aber ich bin anderer Meinung. Wir haben hier mittlerweile so viele alte Tonaufnahmen, dass mir die Annahme, die wären alle aus Zufall oder Unfähigkeit entstanden, nicht sehr überzeugend vorkommt.
 
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Genau davon rede ich: Ich bin (auf Grund dessen, was hier in verschiedenen verlinkten Artikeln und Videos erwähnt wird) zu der Ansicht gekommen: die wollten das. Das kannst du zwar gerne bezweifeln (wobei mich da die Gründe mal interessieren würden), aber ich bin anderer Meinung. Wir haben hier mittlerweile so viele alte Tonaufnahmen, dass mir die Annahme, die wären alle aus Zufall oder Unfähigkeit entstanden, nicht sehr überzeugend vorkommt.

Ich schließe ja nicht aus, dass sie es wollten.
Sagen wir mal so:
Wenn es jemand live gemacht hat, dann ging es wohl nicht anders, weil man sonst genauso unterging als wenn man nicht verstärkt gespielt hat.

Im Studio hätte man eher die Wahl. Nutze ich dann in dieser Situation bewusst die Verzerrung, dann ist es gewollt.

Wobei auch im Studio die damalige Situation zu betrachten ist. Da war ja nix mit Mehrspuraufnahme. Da hat man oftmals alle zusammen mit 1-2 Mics aufgenommen. Wollte man sich dadurchsetzen, musste man auch wieder in den sauren Apfel beißen und die Verzerrung in Kauf nehmen, selbst wenn man es nicht wollte.

Aber am Ende ist es Spekulation - es lebt ja kein Zeitzeuge mehr, der dir das erzählen kann.
 
"Play that weird Song"

Hier mal ein Interview von Link Wray in dem er erzählt wie sein verzerrter Sound entstand.
Nämlich voll aufdrehen weil der Drummer so laut war und damit das Publikum was hört, da es damals keine P.As gab..



--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Link Wray hat ja angeblich die Lautsprechermembrane mit der Rasierklinge zerschlitzt, um den verzerrten Sound zu bekommen.

Genau, und das weil er im Studio versuchte den Sound seines aufgedrehten Amps zu simulieren.

In a 1997 interview, Wray explained:
“…Onstage [at Fredricksburg], I’d been playing it real loud through these small, 60-watt Sears and Roebuck amplifiers, and the kids were hollering and screaming for it.
But in the studio, the sound was too clean, too country.

So I started experimenting, and I punched holes in the speakers with a pencil, trying to re-create that dirty,
fuzzy sound I was getting onstage. And on the third take, there it was, just like magic.”


What Wray had done in his frustration was “invent” a new sound, a sound that would later become known as “fuzztone guitar.”
There was also some novel use of reverberation on the track as well.
Meanwhile, the song they had recorded on their demo was then using the name “Oddball.”
And they began shopping it around to record labels, but there were no takers.
Capitol and Decca Records both turned down “Oddball.”
 
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Alles zu Seiner zeit. Heute wieder mehr wie vor ein paar Jahren.... oder so :) Gestern auf der Probe habe ich wieder bemerkt, wie schön ein 12-14 watt und neuerdings auch ein 5watt Röhrenamp meines Kollegen klingen, wenn sie eben "Arbeiten" dürfen. Vielleicht nicht ganz so authentisch wie in den Anfangszeiten, aber eben schön. Und nicht aus einer Platine künstlich erzeugt. So macht "natürliche" Verzerrung Spass.
 
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Wenn es jemand live gemacht hat, dann ging es wohl nicht anders, weil man sonst genauso unterging als wenn man nicht verstärkt gespielt hat. [...] Im Studio hätte man eher die Wahl. Nutze ich dann in dieser Situation bewusst die Verzerrung, dann ist es gewollt. [...] Aber am Ende ist es Spekulation - es lebt ja kein Zeitzeuge mehr, der dir das erzählen kann.

Wenn du mal durchliest, was Dr_Martin über Link Wray gepostet hat, dann ist das doch so ein typisches Ding, oder? Link Wray sagt:

1. Die Amps haben live übersteuert.
2. Das war geil.
3. Also haben wir geschaut, wie wir das im Studio hinbekommen.

Etwas ähnliches findest du hier ...

In 1950s, when rock music first appeared, some performers insisted on creating a "gritty" sound in the studio with drums, electric guitars, and vocal tracks. Often that meant intentionally overloading microphones and amplifiers to produce a distortion of the signals. The result was a harsher, more raw sound that seemed to suit rock music. By the 1960s, not only had the intentional use of distortion become a staple of rock recordings [...]

... und hier ...

This is why the pioneers of guitar distortion were simply badass players who decided to turn up their amps really loudly. Imagine a blues player trying to cut through the noise of a loud bar or dance hall, cranking up the volume, and discovering a whole other thick, warm, dirty sound. That’s basically all it took, and where there was loud music, there was usually some distortion. But in the studio, recording engineers considered it an error and kept guitars clean and clear. This started changing with a handful of rock n’ roll, soul, and blues songs in the late 40s and early 50s.

... und hier, diesmal über einen weißen, aber blues-beinflussten Pionier:

Barnard was different. You can hear that he liked bop, but he mixed it with a dirty blues feel that anticipates Chuck Berry and Carl Perkins, and his liberal use of distortion and "ugly" chord voicings cuts a beeline straight to the guitar heroes of the late ’60s.

Was die Studio-Aufnahmen angeht: Natürlich kann man ins Blaue spekulieren, dass es auch im Studio "versehentlich" bzw. "unvermeidbar" zu Verzerrungen kam. Aber für mich hört sich das nicht wirklich glaubwürdig an. Warum? Nun, weil a) es noch viel mehr Aufnahmen aus diesen Zeiten gibt, auf denen die Gitarren - trotz Big-Band - ausgesprochen clean sind (es war also durchaus machbar) und b) ich den damaligen Ton-Ingenieuren durchaus genügend Fachwissen und Erfahrungen zutraue (was ich für eine sinnvolle Annahme halte), über die Aufstellung der Musiker, Amps und Mikrophone letztlich das zu erreichen, was sie wollten.

Damit sage ich nicht, dass es keine Probleme in den Studios gab. Aber, um nochmals zu wiederholen, was ich schon geschrieben habe: Dass die mittlerweile doch stattliche Anzahl von Ton-Dokumenten, die wir in diesem Thread gesammelt haben, alle oder die meisten auf "Fehler" oder Unzulänglichkeiten im Studio zurückzuführen sein sollen, überzeugt mich einfach nicht. Und speziell, was den Blues angeht, fällt doch auch auf: Das war eine laute, rohe und völlig unprätentiöse Musik. Die Sänger/innen nahmen kein Blatt vor dem Mund, die Musik wurde in irgendwelchen Bars und alkohol-durchtränkten Kaschemmen gespielt - für mich ist die Annahme, dass einige Blues-Gitarristen nach dreckigen und durchsetzungsfähigen Klängen gesucht haben, sehr nachvollziehbar.
 
Dass die mittlerweile doch stattliche Anzahl von Ton-Dokumenten, die wir in diesem Thread gesammelt haben, alle oder die meisten auf "Fehler" oder Unzulänglichkeiten im Studio zurückzuführen sein sollen, überzeugt mich einfach nicht.
Das behaupte ich ja nicht per se. Ich habe beide Optionen aufgeführt. Beide halte ich für möglich - jedoch nicht als Allgemeinplatz oder Pauschalaussage.

Gerade beim Blues bietet sich ja diese Portion Dreck an. Und viele der ersten Aufnahmen kommen ja genau aus diesem Genre. Entweder Jazz oder Blues. Und da ist ja auch durchaus eine Trennlinie erkennbar. Die Blueser eher Richtung Zerre, die Jazzer wenn möglich gerne clean. Ich meine, es liegt ja auch auf der Hand dass es für bestimmte Richtungen gut gepasst und deswegen gefallen hat. Wenn etwas gefällt, werde ich es nach Möglichkeit auch so nutzen.
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und b) ich den damaligen Ton-Ingenieuren durchaus genügend Fachwissen und Erfahrungen zutraue (was ich für eine sinnvolle Annahme halte), über die Aufstellung der Musiker, Amps und Mikrophone letztlich das zu erreichen, was sie wollten.

Das stelle ich gar nicht in Abrede. Mir gefallen alte Aufnahmen sehr häufig sogar ausgesprochen gut, WEIL sie nicht perfekt sind. Oft kommt die Verzerrung auch durch Übersteuerung beim Band oder zu hohem Pegel generell. Höre dir mal alte Studio One Sachen aus Jamaica an. Das kratzt und zerrt an allen Ecken. Aber ist einfach cool. Bei so etwas fällt es mir dann schwer zu sagen, ob die Gitarre crunched, weil sie zerrt, oder ob es zerrt, weil einfach alles zerrt :) Ist mir aber auch egal - klingt eben geil und hat Charme

Man darf ja nicht vergessen ( das gilt jetzt nicht unbedingt für elektrische Instrumente ), dass früher Aufnahmen und deren Tiefenstaffelung durch die Musiker selbst kam. Die haben sich nämlich auch gerne um ein einziges Mikro gestellt, und zwar in solchen Abständen, dass die Pegel die am Band ankamen relativ ausgeglichen waren. Sollte ein Instrument mehr im Vordergrund stehen ( zB bei Solo ), ist man einen Schritt näher zum Mic gegangen und danach wieder zurück.

Was ich nur meinte ist, dass man sich bei Aufnahmen damals im Studio vor Augen halten muss, dass das kein bisschen vergleichbar mit heute war. Alles wurde auf einmal in einem Raum Live aufgenommen. Erst mit 1 Mic, dann Stereo, später 4 Tracks, 8 Tracks usw.

Das bedeutet, dass die Situation im Studio keine andere war als live - denn es war live. Sowohl im Studio als auch auf der Bühne waren Drums das Maß aller (Lautstärke)Dinge.
Durch Stellwände oder Mikroabstand konnte man das regulieren, aber die Musiker im Raum mussten trotzdem wenigstens so laut spielen, dass das Schlagzeug nicht alles übertönte - selbst wenn man es in die Ecke verbannt hat.

Ich glaube es war eben auch einfach nicht möglich, auch im Studio, mit einem RocknRoll Drummer mitzuhalten und dabei wirklich clean zu bleiben.

Bei Jazz sieht es anders aus, wenn alleine die Spielweise durch zB Besen anstelle von Sticks reduziert die Lautstärke erheblich.

Es fällt aber - und da bin ich bei dir - sehr leicht es nachzuvollziehen, dass dieser "neue" Sound sehr gut ankam - ich meine - er gefällt ja heute immer noch. Gerade dieser "Breakup/Sweetspot" ist ja für viele der erstrebenswerte Sound. Warum also nicht damals auch ?
 
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Ich kann allen, die an früher Aufnahmetechnik und so interessiert sind, nur wieder mal die Dokumentation "American Epic" und die dazugehörigen "American Epic Sessions" ans Herz legen.
https://www.americanepic.com/

Ich weiß nicht, wie es mit der Verfügbarkeit in Deutschland aussieht (hier in UK liefen sie im Free-TV bei der BBC, und jetzt kann man sie bei den Streamern kaufen), es gibt auch ein paar kleinere Clips bei YouTube... wie dem auch sei, man erfährt eine ganze Menge über die Aufnahme-Technik der 1920er, einige Künstler aus dieser Zeit, und gerade in den "Sessions" wo heutige Musiker mit dem alten Equipment (1 Mikro, Aufnahme direkt auf Platte geschnitten) Songs aufnehmen kriegt man auch einen Eindruck wie das damals so zuging.

Hat insofern was mit dem Thema hier zu tun, als dass wir ja auch mangels bestehender Aufnahmen so viel spekulieren müssen. Hätte damals jeder Hinz und Kunz das fix mit dem Telefon mitgeschnitten, wüssten wir heute wie damals so normale live-Gigs geklungen haben. Die fehlenden Aufnahmen spielen bei der Entwicklung der frühen Pop-Musik eine Rolle (keiner kann sagen, wann genau Blues entstanden ist, weil es keine Tondokumente gibt und diese Musik ja auch ohne aufgeschriebene Noten auskommt) wie bei der Entwicklung der Technik (keiner kann zeigen, wie genau sich eine frühe verstärkte Band angehört hat in einer Live-Situation, weil es keine Tondokumente gibt).
 
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Ich glaube es war eben auch einfach nicht möglich, auch im Studio, mit einem RocknRoll Drummer mitzuhalten und dabei wirklich clean zu bleiben.

Ich kann vielen Dingen zustimmen, die du geschrieben hast, möchte aber auch noch mal zu bedenken geben: Wir reden hier von den 1950er-Jahren, also von einer Zeit, über deren Möglichkeiten in den Ton-Studios wir eigentlich recht gut Bescheid wissen. Wir kennen die Amps, Mikros, Mischpulte, Bandmaschinen u. a. in den Studios verwendete Gerätschaften sehr gut, und viele der damaligen Techniker und Artisten haben noch Jahrzente länger gelebt und wurden befragt oder haben selbst darüber gesprochen oder geschrieben. Es gibt m. W. sogar noch ein oder zwei kleine Studios in der Welt, in denen du z. B. Rock 'n' Roll mit noch voll funktionsfähigem Equipment aus dieser Zeit aufnehmen kannst; ebenso wird Rockabilly noch aktiv gemacht und viele der Acts legen Wert darauf, "historisch korrekt" aufzunehmen (also: mag sein, mit modernem Equipment, aber gleicher Anordnung). Was ich also sagen möchte: Was die 1950er angeht, reden wir nicht über eine Terra incognita.

Dann, du hast recht, über einiges können wir tatsächlich nur spekulieren, habe ich noch ein kleines Problem mit der Aussage, dass das Schlagzeug als das Instrument, das (ohne Zweifel richtig) letztlich die Lautstärke bestimmt, unbedingt zu Schwierigkeiten führen muss. Denn - ein ganz einfaches Argument - wir haben ja schließlich auch andere Instrumente, die da anfällig wären. Ich weiß z. B. aus eigener Erfahrung, dass selbst ein Klavier es schwierig hat, sich gegen ein lautes Schlagzeug anständig durchzusetzen - und was machst du erst mit einem akkustischen Bass? Nun haben wir aber viele Aufnahmen aus den 1950ern, wo wir genau das hören - und es hat ja anscheinend gut geklappt. Deshalb verstehe ich das Argument nicht so ganz: Wenn die Leute es hinbekommen haben, Drums, Klavier, Bass und Gesang so anzuordnen, dass sie hörbar waren - wieso soll an dieser Stelle ausgerechnet die E-Gitarre ein so großes Problem dargestellt haben, dass man sie bis zur Übersteuerung laut machen musste? Ich meine, die Idee, einen Amp einfach in die passende Nähe eines Mikros zu stellen und entsprechend auszurichten, ist ja reichlich simpel. Oder mache ich hier einen kapitalen Denkfehler?

Ich kann allen, die an früher Aufnahmetechnik und so interessiert sind, nur wieder mal die Dokumentation "American Epic" und die dazugehörigen "American Epic Sessions" ans Herz legen.

Herzlichen Dank für den Tipp! Schon als Blu-ray bestellt (bin da noch sehr altmodisch).
 

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