Diese meine Generation hat sich vielleicht so im Teenie-Alter das erste Mal für Musik in der Band interessiert - also Anfang der 90er. Was gab es da im Radio, den Konzerthallen und Clubs? Richtig: Einerseits Metal, Metal, Metal - und Grunge sowie etwas Punk und Hiphop. Und andererseits Eurodance und Techno. Als jemand, der sich für eine Band interessiert hat, durfte man vieles sein - nur kein Keyboarder. Dance und Techno war "bäh" (von der Warte der Bandmusiker aus gesehen - und das unterschreibe ich sogar). In den anderen Musikrichtungen war man als Taster überflüssig bis unerwünscht ("nö, wenn dann DJ").
Wer also zu den "cool Kids" gehören wollte und in einer Band spielen wollte, hatte als Keyboarder fast keine Chance zu der Zeit. Eine dritte Gitarre? Kein Problem... Wer Musik machen wollte, hatte also nur die Wahl zwischen umsatteln (anderes Instrument lernen / singen...) - oder sich ins stille Kämmerlein zurückziehen und als Home-Producer irgendwas in Richtung Techno/Dance/... (später dann eben Ambient/EDM/etc.) machen, oder irgendein Hiphop-Projekt mit Samples beliefern. In dieser Producer-Schiene sind dann sicher etliche geblieben, andere haben vielleicht (zumindest einige Jahre lang) die Tasten gegen einen Bass oder eine Klampfe getauscht - oder gleich ganz wieder aufgehört.
Noch dazu war Homeproducing von elektronischer Musik in den frühen 90ern noch nicht das, was es heute ist. Es war weitaus schwieriger und vor allem kostenintensiver. Manch ein Keyboarder/Synthfreak war wohl ambitioniert, scheiterte aber an Kosten und Aufwand.
Heute mußt du kein Keyboarder sein. Heute mußt du im Grunde gar kein Instrument spielen können. Du brauchst nicht mal sonderlich viel Budget, um einzusteigen, denn das Vorhandensein eines PC oder Laptop, der als Studio fungiert (so ziemlich alles kann dann da drin passieren) kann man mal voraussetzen. FL Studio (notfalls "gezogen"), brauchbare Abhöre, "Ausbildung" findet statt auf YouTube, und schon geht's los.
Damals war der Einstieg ungleich schwerer. Im Rechner produzieren? In einem 486er? Science-Fiction. Damals mußte man noch alles mit Hardware machen. Wer vielleicht schon in die Tasten greifen konnte, hatte zumindest schon mal den Vorteil, aber dann mußte man sich immer noch die ganze Maschinerie zusammenkaufen, mit der man produzieren wollte. Das war Hardware, und die kostete Geld, das man nicht unbedingt hatte.
Selbst wenn man als Jugendlicher mit Konfirmation und Ferienjobs die Knete zusammen hatte für, sagen wir, eine gebrauchte Yamaha SY77 (und damals war der Wertverlust von Workstations noch nicht so dramatisch), mußte man immer noch seinen Eltern erklären, warum man soviel Geld ausgeben wollte für ein Instrument, auf dem man nicht mal "Oma und Opa was vorspielen" konnte (erklär ihnen mal, warum das so ist) – im Gegenteil, die Mucke, die man auf dem Ding zu machen gedachte, würde schon den eigenen Eltern gegen den Strich gehen, von den Großeltern ganz zu schweigen.
Und wenn man das Geld nicht hatte? Tja, da blieben nur die Träume, die einschlägigen Compilation-CDs und das Warten auf das erste selbstverdiente Geld außerhalb des Elternhauses.
Okay, auf mich traf das alles nicht zu. Ich (Jahrgang '75) fand schon Ende der 80er die meiste aktuelle Musik scheiße, in den 90ern erst recht, die ich im wesentlichen als Jarre-Fan verbrachte (okay, von Jarre saugte ich alles Neue gierig auf). Und ich brachte es damals in den 90ern nie übers Herz, meinen Eltern zu erklären, daß meine noch Mitte der 80er horrende teure japanische Heimorgel inzwischen hoffnungslos veraltet war und meinen musikalischen Ansprüchen nicht mehr genügte. Schon deshalb nicht, weil ihnen mein Musikgeschmack schwer gegen den Strich ging und sie sich wünschten, der Swing, Schlager, Latin und Filmklassiker herunterorgelnde Knirps hätte sich nie weiterentwickelt.
Bevor jetzt jemand meckert - wer von euch setzt erst mal locker 60min Zeit pro Lied ein um dann erst mit dem Üben beginnen zu können?
Mehr. Es gibt Songs, für die ich jeweils mehrere Stunden brauche. Teilweise für akribische Soundbastelei, teilweise zum Raushören irrwitzig komplizierter jazziger Parts, die ich Note für Note exakt nachspielen will (und seien es Streicherbackings).
Ich vermute aber mal , das hier nur richtig gute Keyboarder schreiben , die nicht nur " Hobby mäßig " unterwegs sind .
Nö. Ich bin absoluter Amateur. Von den Regulars hier schätze dich die allermeisten als spielerisch weitaus besser als ich ein.
Es fällt mir hier auf , das wohl Perfektionismus hier sehr stark verbreitet ist , welcher natürlich beim Profi auch Vorraussetzung sein sollte .
Diesen Perfektionismus gibts aber bei jedem Profi , egal welches Instrument er spielt ....... und da wird auch mächtig investiert , was die Hardware angeht .
Dafür halte ich den Perfektionismus-Durchschnitt wacker hoch – sehr zum Verdruß der anderen hier.
Deshalb versteh ich auch nicht so ganz , warum in diesem Bereich ein Keyboarder dann 100 % perfekt sein sollte und zu jedem Stück dann diese Vorarbeit leisten sollte , um Instrumente ( Bläser etc ) ersetzen zu können .
Typische Gründe: Entweder der Keyboarder will, daß es genau wie auf Platte klingt. Oder die Band will das, will sagen, die anderen Musiker – ohne die leiseste Vorstellung davon zu haben, was das für den Keyboarder für ein Aufwand ist. Oder der Veranstalter ist nicht willens, die Band zu buchen, wenn sie nicht genau wie auf Platte klingt.
Das muß doch auf der Hobby Ebene gar nicht sein , wenn man Cover Songs auch so auswählt , wie die Besetzung es , ohne großen Aufwand , zu lässt .
Passiert nicht immer.
Ich meine, gut, wenn man eine Amateur-Classic-Rock-Band ist, die nichts wirklich Kompliziertes spielt, mag es einfach sein.
Aber in dem Augenblick, wo man über solche einfachen Arrangements hinausgeht, wird's schwierig. Das kann Soul oder R&B sein. Das kann Prog Rock sein oder 80er-Jahre-Pop-Rock. Oder richtig schlimm: Pop ab den 80ern.
Dazu kommt die Denke vieler Nichtkeyboarder: Ey, wir haben einen Keyboarder, und Keyboarder können alles, also können wir alles spielen, was es gibt. Der Drummer spielt Schlagzeug, der Baß spielt den Baß, die Gitarristen spielen die Gitarrenparts, der Keyboarder spielt alles andere, weil ein Keyboarder das kann. Was das für ein Riesenaufriß ist, wissen sie nicht und wollen sie nicht hören.
Mein Gott, wie oft hab ich versucht, Veto gegen Songvorschläge bei uns in der Band einzulegen, weil meine Parts viel zu kompliziert waren, als daß ich sie auch nur ansatzweise zeitnah hingekriegt hätte. Hat keine Sau je interessiert, weil keiner – nicht mal der andere Keyboarder – eine auch nur entfernte Vorstellung davon hat, was ich da eigentlich für einen Aufriß betreibe. Nein, da nehmen sie Sachen wie "Boogie Wonderland" ins Repertoire auf oder "Fantasy", weil die Rhythmusgruppe ihren Part in zehn Minuten gigreif hat, ignorieren meine Worte, daß der Song zu kompliziert ist (wieso kompliziert, verstehen sie nicht, sie können ihn wunderbar spielen), und dann wundern sie sich, warum ich Monate brauch, um überhaupt was Spielfertiges zu haben (kann zu Hause nichts vorbereiten, weil ich zu Hause nicht mein Bandequipment noch einmal hab).
Aber wenn der Bassist bei "Lessons In Love" nicht gleichzeitig singen und Baß spielen kann, wird die Nummer gestrichen – ungeachtet des Aufwands, den ich bis dahin in die Vorbereitung von etwa einem halben Dutzend Sounds auf zwei Tastaturen und drei, vier Klangerzeugern gesteckt hatte – bis hin zum Umbau eines FM-Sound auf einem Synth, der eigentlich gar kein FM kann.
Das ist doch , meiner Meinung nach , eine Sache des Anspruchs , den man an die eigene Cover Version eines Songs hat , oder ?
Und warum sollte der Keyboarder perfekt sein , wenn es seine Bandmitglieder auch nicht sind ?
Weil er Spaß dran hat. Und weil er mit halbgarem, bis zum Gehtnichtmehr vereinfachtem Kram nicht zufrieden sein kann – weil er sich nicht als Rockkeyboarder sieht (wir sind nicht mal eine Rockband), erst recht nicht als Pianist, sondern als Synthesizerfrickler.
Wieso werden hier eigentlich immer wieder die Begriffe "Anspruch" und "Profi / Amateur" zusammen benutzt?! Nach dem Motto "Ich brauch keine "krassen" Sounds, weil ich Amateur bin."
Ist eh Blödsinn, und ich bin der Beweis.
Wir (Band) sind Amateure und werden es immer sein. Ich hab selbst auch keine Profi-Ambitionen. Trotzdem betreibe ich schon in der Band einen Aufriß, bei dem die anderen Keyboarder hier den Kopf schütteln und sich fragen: "Ist der Typ komplett balla-balla, oder meint er das ernst mit diesem Overkill oder beides?" Ich meine, von allen Coverbands, von denen Mitglieder hier im Tastenbereich präsent sind, haben wir wahrscheinlich mit Abstand die wenigsten Gigs, noch dazu für relativ wenig Geld. Trotzdem dürfte ich der einzige hier sein, der in einer Band aufläuft mit fünf separaten Hardwaresynthesizern plus programmierbarer MIDI-Patchbay plus 16kanaligem Mischpult als Submixer (an dessen Stelle er am liebsten ein per MIDI ferngesteuertes 24kanaliges Digitalpult hätte).
Ich kann doch auch als Amateur einen sehr hohen Anspruch an Sound haben. Das hat nichts damit zu tun, vor welchem Publikum ich spiele. Natürlich ist es umgekehrt eher selten der Fall, aber auch das kommt vor.
Außerdem: Der Sound, den man produziert, sollte in erster Linie den Spieler zufrieden stellen. Alle anderen werden damit dann ebenso klar kommen, wenn es der Spieler auch tut. Dabei ist es erstmal egal, ob es MX oder ein Kronos ist.
Genau das trifft auf mich zu. Ich lege meine Sounds so aus, daß sie mir gefallen. Und dazu gehört schon einiges. Mir ist es wirklich peinlich, mit Works in Progress auf die Bühne zu gehen – obwohl ich immer wieder Songs, die wir schon eine Weile spielen, zum Work in Progress erkläre, weil hier noch was fehlt, da noch was nicht richtig eingestellt ist oder dieser Sound im nachhinein grundlegend falsch ist und durch einen neuen, ebenfalls von null auf neu gebauten Sound ersetzt werden muß.
Ich hab sogar ein Riesenproblem damit, wenn ich gewisse Parts, die durchaus hörbar sind, ganz einfach nicht mehr spielen
kann – entweder, weil ich dann noch eine dritte Tastatur bräuchte, oder weil ich dann noch zwei bis sechs zusätzliche Hände bräuchte.
Aber, wie du auch schon sagst, es kann durchaus vorkommen, daß man mit seinem Vorgehen in der Band aneckt. Beispielsweise, wenn ein replikversessener Perfektionist mit Bergen an Equipment in einer Band spielt, in der von ihm nichts anderes erwartet wird als akustisches Piano, Rhodes und Hammond. Er fährt ein absolutes Soundfeuerwerk ab, an dem er Tage gesessen hat, und das kaum mehr von der originalen Studioversion zu unterscheiden ist – und hinterher sagt der Bandleader, das war scheiße, der Keyboarder soll da bitte nur Hammond spielen. Dann ist der Keyboarder aber in der falschen Band. Dem Publikum wiederum wird ein zu ausgefeiltes Arrangement von Seiten des Keyboarders nie sauer aufstoßen, allenfalls, wenn er ein an sich minimalistisches Bühnenbild mit seinen Equipmentbergen zerstört.
Umgekehrt ist vielleicht noch schlimmer, wenn du so einen alten Rockkeyboarder Marke "A-Piano, E-Piano, Hammond" hast, der jetzt aber Pop-Cover machen soll und mit seinen Parts Marke "Ich spiel nichts, was 1963 noch nicht möglich war" die ganzen Arrangements zerschießt – während der Bandkeyboarder erwartet, daß er die originalen Studioarrangements nachbaut. Das fällt dann auch dem Publikum auf. Da kann der Keyboarder noch so mit sich zufrieden sein.
Oder wenn in einer Progrock-Tributeband, in der wirklich jeder ein geschultes und geeichtes Gehör hat, einer landet, der weder weiß noch wissen will, was ein Mellotron ist, und Parts, die im Original auf einem Mellotron mit Streicher-Bandrahmen gespielt werden, mit gesampleten Orchesterstreichern spielt, weil er findet, daß die viel schöner klingen. Tja, die Band – und das Publikum, denn zu einer Progrock-Tributeband gehen nicht Krethi und Plethi, sondern primär Freaks mit Ahnung – erwartet aber den markanten Sound eines Mellotron.
Teilweise ist es ja sogar so, dass der Amateur aufgrund der Tatsache, nicht davon leben zu müssen, es sich eher leisten kann, unverhältnismäßig viel Zeit und Aufwand ins Sounddesign zu stecken - ist ja ein Hobby, was Spaß macht...
Der "Profi" wird und muss - zumindest im Coverbereich - hier eher zweckmäßiger und zielgerichteter vorgehen, damit sich der Job überhaupt rechnet.
Ich fummel auch permanent an meinen Sounds rum und versuche ständig, zu optimieren - aber ich verdiene damit auch nicht meine Brötchen...
Das kommt hinzu.
Der Amateur kann stundenlang in aller Ruhe an einem und demselben Sound herumdrehen, Pulsbreiten, Hüllkurvenzeiten und -werte, Filterparameter, LFO-Geschwindigkeiten, Waveshaping etc. feinjustieren, komplizierte Modulationskonstrukte aufbauen, abreißen und neu aufbauen, weil sie auf einem anderen Weg eher ans gewünschte Ergebnis kommen, usw. Sofern das Equipment vorhanden ist, kann er denselben Sound auch mal auf mehreren Synths bauen, um zu testen, auf welchem davon er am besten klingt.
Der Profi hat nicht einmal eine Woche Zeit, mehrere neue Songs mit insgesamt zig solchen Sounds zusammenzubauen, und am Freitag müssen von den Songs und von allen dazugehörigen Sounds die 100% endgültigen perfekten Versionen auftrittsreif stehen. Als Sub hat man vier Tage, um diesen Soundwust für 50 oder mehr Songs zusammenzubauen, ohne sie jemals zwischendurch mit der Band proben zu können – wie gesagt, die endgültigen Versionen, es muß auf Anhieb perfekt sein, also keine Works in Progress und ohne Spielraum für Verbesserungen.
Martman