Wenn ich als schicksalhafter Autodidakt meine Erfahrung zu diesem Thema zum Besten geben dürfte, dann sei immerhin gesagt, dass mir die frühpubertäre Begegnung mit dem Klavier nichts als Neugier und Willen zur Musik verhieß und mein musikalischer Weg dahingehend vielleicht dem eines Musikschülers gegenüber gestellt werden könnte, der eventuell eine weniger formlose als eine didaktisch-pädagogische Beziehung zu seinem „Werkzeug“ aufbauen durfte.
Dieser undisziplinierte Werdegang führte mich unweigerlich zu dem noch heute bestehenden Umstand der Faulheit, Legasthenie und des Müßigganges, es mir am Klavier zu bequem und selbstgefällig ergehen zu lassen; die von mir - neben Eigenkompositionen und Dauerimprovisationen - kleineren beherrschten Stücke Bartóks, Khachaturians und Debussys kann ich mir aus weniger sportlichen denn rein ästhetizistischen Motiven in Rechnung stellen, da der Weg dorthin einer sprachbarrieregleichen Gebärde aus Befähigung, Liebe, Frustration und Erahnungen gleichkam.
Etwa dem Versuch ähnlich, einem abgehalfterten fremdländischen Greis in einem ungarischen Dorfe mit etwas Englisch-Gestikulation die Antwort auf die missverstandene Frage nach dem rechten Wanderwege zu entlocken: auch der steinige Pfad führt uns - wennauch hinderlich - zum Ziele.
Ein Werkzeug, welches vieles erleichtert hätte, wäre die Schule dieser Sprache, des Ungarischen oder der Notenschrift gewesen. Leichtlebig, sollte einer des Ungarischen mächtig sein, hätte er in Situationen wie dieser doch mitnichten seine Sprache, sein Hilfsmittel dafür abgegeben, um mit wilden und peinlichen Gebärden den Versuch einzugehen, ob ihn das reine Geräusch, der Ton und das Fleisch ebenso zum Ziele führt, wie die vom Greis genutzte Sprache. Dies zu fürchten, wäre natürlich.
Losgelassen wären wir in die Natur dieser reinen Körperlichkeiten, ratlos und des Ausganges nicht mächtig; verdattert wäre vielleicht der Alte, nach Anhängern suchend oder von uns erschüttert in Irrwege weisend. Doch das passiert nur denen, die im Labyrinth eilig werden: die Eile führt sie tiefer in die Irre - sich aber mit ihrem Risiko, der Ruhe ihres unverbrauchten Feldes abfinden zu können und Beobachtungen zuzulassen, die der des Gewöhnlichen, Schienenhaften und Funktionalen entbehrt, nämlich Nicht-Improvisieren, nicht prima vista, die Situation, die Sprache, die Noten nicht verstehen und benutzen zu können, halte ich für das Lob der Fähigkeit, zu improvisieren, zu riechen, den Mann zu sehen, der Wunder nimmt, hilflos ist und uns in die Irre leitet.
Ich wäre damals wohl in jeder Hinsicht dankbar für die Fähigkeit gewesen, mich mit den Kompositionen derer, deren Ingenium mir am Herzen liegt, verständigen zu können, als nur zu horchen und zu raten. Das aber, was mir die Erfahrung dieser Leeren Tafel, des Nicht-Noten-Lesens erbracht hat, ist schließlich Vertrauen - und vor allem Freude.
Dies wird einer, der die Schrift beherrscht nicht weniger besitzen, als einer, der sich ohne Wegweiser zum Gipfel begab. Letzterer kann jedoch nicht behaupten, er wisse um den Ort und Berg, auf dem er steht: er ist der Nackte ohne Rüstzeug, auf zerrissenen Sohlen und kennt nur die Fremde. Er wird nicht höher kommen, nicht weiter gehen, als es die ihm angeborene Fähigkeit, sich ohne Ausstattung auf lebensfeindlichen Höhenmetern zu bewegen, gestattet. Diesen Zyklus vermag er ohne Sachen nicht zu lernen. Er ist nicht der Sauerstoffmann mit dem Eispickel, kein Teil des Basislagers, er ist ohne Thermozelt und Gasbrenner, er sucht nach Früchten, und Feuerholz im Grenzland, wo die letzten Bäume stehen. Zwischen den Wolken wandeln die anderen, mit Mühe und Ausdauer erreicht, mit Achtsamkeiten, Fähigkeiten, die es notwendig machen, dort sein zu können; Mittel, Handgriffe, Lektionen, die dem, der zwischen
den Bäumen ist seine Welt verfärben würden.
Dort wären keine Bäume, an denen er hangelt, keine Beere, die er sammelt, dort hieße es Kamm, Grat, Joch und Kar, Glissando, Auftakt, Achtelnote oder Quarte; ich denke dennoch, es liegt ein wohlweisender Unterschied darin, ob der Alpinist die Seilbahn gen Hochgebirge nimmt oder von Zeit zu Zeit im Vorland über den weglosen Waldboden wandert.