Nun ja, man versucht ja in den letzten Jahrzehnten häufig, "Universalorgeln" zu bauen, auf denen ein möglichst breites Spektrum der bekannten Orgelliteratur darstellbar ist. Das beinhaltet eben so gegensätzliche Stile wie Bach und seine Vorgänger und Nachfolger und auf der anderen Seite z. B. die französische Orgelmusik der Romantik und Moderne. Es kommt dabei immer auf das Geschick und die Ohren des Orgelbauers und seiner Crew an, ob daraus ein gelungenes Instrument wird. Aber für eine mittelgroße bis große Stadtkirchenorgel, die sowohl für Konzerte als auch für die Gottesdienstbegleitung genutzt werden soll, finde ich dieses Konzept durchaus angemessen.
Was Deine zweite These angeht, so geb ich Dir recht, zumindest was original erhaltene Sauer- oder Cavaillé-Coll-Orgeln angeht. Wobei man das auch wieder als Herausforderung begreifen kann: Man kann es ja so versuchen, wie Karl Straube das in seinen früheren Tagen gemacht hat: Alles mit einbeziehen, was die romantische Orgel hergibt, inkl. Schweller, Registercrescendo, extremste Agogik und so weiter.
Aber ich glaub', das funktioniert mit Bach und späteren Komponisten auch besser als mit früheren Meistern wie Tunder, Buxtehude oder gar Vertretern aus der Sweelinck-Generation.
P.S.: Nochmal zum Thema barocker vs. romantischer Klangcharakter: Die Orgelbauer der 50er und 60er Jahre haben es ja mit ihrer Auffassung vom barocken Klangideal auch etwas übertrieben. So spitz wie in den Orgeln aus dieser Zeit klangen nicht einmal die Mixturen von Schnitger, und die von Silbermann schon gar nicht. Insofern hat sich der Orgelklang mit der Tendenz zur Universalorgel dann auch dem tatsächlich barocken Ideal wieder etwas angenähert.