Die Fragestellung ist schon extrem allgemein und umfasst viele Themenbereiche, die für sich alleine genommen schon jeweils viele Bücher füllen.
Ich mache als Auftragsarbeiten regelmässig ganze Alben, die sich um ein Thema drehen. Das Thema ist meinem Fall vom Label vorgegeben, das kann ein allgemeines Schlagwort sein (wie eben z.B. "Meer") oder bestimmte Instrumente, musikalische Kulturkreise, Anlässe, etc.
Der Zeitrahmen von Null bis Masterabgabe für ein Album von ca. 60 Minuten Spieldauer beträgt zwischen 3-6 Monaten, je nachdem viel sonst noch ansteht. Es geht dabei sicher nicht um High-End-Produktionen, aber genausowenig um "General-Midi"-Gedudel. Das Ganze lässt sich inhaltlich und vom Arbeits- und Produktionsablauf am ehesten mit Budget-Filmmusik vergleichen.
Zunächst setze ich mich bei Bedarf mit dem Thema intensiver auseinander, wenn es um gewisse weniger alltägliche Genres bzw. Stilistiken (z.B. gewisse "Ethno"-Styles) geht: Also typische Harmonik, Melodik, Instrumente, etc.
Das bedeutet viel hören, forschen und lesen. Es geht den Projekten nie um knallharte "Authentizität" für "Szene"-Kenner und Fachpublikum, sondern eher um eine möglichst interessante, "mainstreamige" (pfui - das böse Wort) Aufbereitung für ein breites Publikum, was die Sache nur manchmal einfacher, oft genug jedoch schwerer macht.
Wichtig: Bei dem Schritt versuche ich, möglichst viel "einsaugen", nicht nur ein paar Klischees. Reicht z.B. nicht, wenn ich weiß, dass die übermäßige Sekunde in Harmonisch-Moll und ein Darbuka-Pattern mit 32-tel schön orientalisch klingen. Um ein Album voll zu kriegen braucht's schon mehr. Bei deinem "Meer"-Beispiel ist das natürlich ein wenig anders, aber grundsätzlich muss man sich auch hier genug überlegen was man aufgreifen kann (Meer kann mehr als Rauschen, verwendet man "mediterrane" Genres, etc.).
Der nächste Schritt überschneidet sich damit: Eigenes Material sammeln und entwickeln. Natürlich der zentrale Punkt, hier mit der besonderen Schwierigkeit, am Thema zu bleiben ohne sich zu wiederholen und die Klischees totzureiten.
Was Komposition und Produktion angeht, vermischt sich bei mir alles. Ich suche mir natürlich möglichst früh alle möglichen passenden Sounds und gestalte ein Template im Sequencer, wo möglichst viel vorgeladen ist. Die Produktionen sind größtenteils rein MIDI-basiert. Da ich trotzdem wert auf einen möglichst realistischen Klang lege, ist dieser Punkt sehr wichtig und das heisst auch, dass ich schon beim Entwickeln des Materials darauf Rücksicht nehme, was mit den vorhandenen Sounds klingt und was nicht. Viel Zeit geht dafür drauf, die Performances auch gut und realistisch klingen zu lassen (Spielweisen umschalten bzw. simulieren, Dynamik, etc.).
Das mag einem "grundsoliden Bleistift-Komponisten" vielleicht merkwürdig erscheinen, ist aber - nicht nur - für mich von fundamentaler Bedeutung. Ich betrachte die vorhandenen Sounds und Libraries als eigenständige Instrumente für die man genauso speziell komponieren muss, wie für jedes Instrument eben. Ich muss in meinem Fall einen fertigen Tonträger abgeben und nicht für eine Aufführung schreiben. Da braucht's mMn völlig unterschiedliche Ansätze. Was auf dem Notenpapier gut "klingt", kann u.U. mit den virtuellen Instrumenten völlig bescheiden klingen und umgekehrt.
Einfaches Beispiel: Einfaches Akkord-Begleit-Geschrammel auf gitarren- oder lautenähnlichen Instrumenten funktioniert z.B. midimäßig einfach überhaupt nicht. Viele - selbst gute Leute - berücksichtigen solche Sachen nicht und dann klingt das Ergebnis schnell zum Wegrennen nach "GM-Midifile", obwohl es musikalisch-inhaltlich eigentlich gut ist bzw. "real gespielt" wäre. Hilft halt bloß nix. Für "Musikaufnahmen" gelten halt auch ganz andere Gesetze, weil die Dimension eines "festgelegten Sounds" hinzukommt. Sprich u.U. habe ich so einen tragkräftigen, beeindruckenden Klang eines Instrumentes (z.B. eine Flöte), dass damit wenige Töne ein Arrangement schon "ausfüllen". Komponiere ich für Aufführung muss ich etwas schreiben, dass mit jeder Flöte in jedem möglichen Aufführungsrahmen funktioniert. Das sind schlicht zwei völlig unterschiedliche Welten.
Das muss man von Anfang an bedenken und entsprechend vorgehen, sonst landet man evtl. in einer Sackgasse. Erstmal machen und sich die Entscheidung "Midi oder Real" für den Schluss aufzuheben, kann schnell nach hinten losgehen. Kosten hat man für Beides, gute Libraries kosten ordentlich, gute Musiker und gutes Studio auch.
Wie gesagt, die Arbeitsschritte vermischen sich bei mir stark, Komposition und Arrangement vermischen sich mit Produktion und Mix. Arrangement und Mix sind auch bei dieser Vorgehensweise stark voneinander abhängig. Ich muss mischen, damit ich das Arrangement überhaupt richtig höre und umgekehrt das Arrangement so ausrichten, das es sich mischt.
Bei mir kommt oft noch ein wenig Gesang dazu. Die Linien und den Text schreibe ich, das bekommt Sänger/in dann vorab. Den Gesang nehme ich dann ziemlich gegen Ende auf, ein Studiotag reicht in meinem Fall und kostet nicht die Welt, wenn man selbst "engineered" und eine kleine Regie mit Kabine bucht. Die Vocals werden dann eben eingefügt, editiert, etc....
Da der Mix größtenteils eben während der ganze Produktion schon entsteht, ist das eigentlich kein eigener Arbeitschritt mehr. Manchmal lande ich in einer Sackgasse und fange mixtechnisch nochmal bei fast Null an oder überarbeite das Arrangement (dass dann meist mit der "Entfernen"-Taste
).
Mastering ist dann der letzte Schritt, wobei ich empfehlen würde, den auszulagern. Ist schon mehr als genug Betriebsblindheit vorhanden.
Meine Arbeit endet mit der Übergabe des Masters, daher kann ich zum Thema "Eigenveröffentlichung" nix sagen. Nur, dass ich es nicht machen würde, Musik braucht auch - oder gerade - in Zeiten wo jeder veröffentlichen kann, einen ordentlichen Vertrieb, wenn man im wirtschaftlich lohnenden Ausmaß Menschen erreichen will.
Kommt eben auf Zielsetzung und Motivation an. Will ich (AUCH) Geld verdienen oder reicht es mir, wenn ich mich selbst verwirkliche und vielleicht einige wenige Leute berühre.
In meinem Fall sind das auch
Auftragsarbeiten von einem Label, das in verschiedenen Nischenmärkten "gut aufgestellt" ist und eine gewachsene und spezialisierte Vertriebsstruktur besitzt. Würde ich solche Produktionen auf "eigene Faust" machen, ich wüsste überhaupt nicht, wie ich sie als Einzelperson in relevanten Stückzahlen an den Mann bringen sollte.
Natürlich kann man die richtige Mischung aus Glück und genialem Produkt haben, dass man über den Internet-Vertrieb einen viralen Überraschungserfolg landet. Man kann auch versuchen, seine Musik über Production Music Libraries an Lizenznehmer (z.B. Film, TV, etc.) zu bringen. Aber all das ist viel Arbeit und der Erfolg auch sehr ungewiss.
Arbeitsteilung und Spezialisierung sind alte und sehr erfolgreiche gesellschaftliche Errungenschaften, ich weiß nicht, warum gerade Musiker das Konzept jetzt wieder umwerfen wollen.
Natürlich verstehe ich entsprechende Bestrebungen und die noch immer vorhandene Euphorie über die "Demokratisierung von Produktionsmitteln und Vertriebswegen", aber letztlich gilt immer noch die alte Binsenweisheit: "Von nix, kommt nix." Ohne erheblichen Aufwand und Risko - oder jemanden, der es einem (und einen großen Teil des Gewinns) abnimmt - ist da in 99,99% der Fälle einfach nix zu machen.
Edit:
Braucht man dafür eine CD? Eigentlich nicht aber etwas konkreteres als 'nur' komponieren glaube ich schon
Du brauchst zumindest fertige Produktionen. Heute ist die "Aufnahme" (egal ob "echt" oder virtuell), das Maß aller Dinge. Du kannst keine Notenblätter oder GM-Demos abliefern, wenn Du z.B. einen Auftrag bekommst. Selbst wenn das Budget für Musiker und Studio da ist, wollen die Leute fast perfekte "Demos".
Wenn's Dir eigentlich "nur" um's Komponieren geht, ist ein eigenes Album wohl eher nicht der richtige Weg (es sei denn es geht um die typische, romantische "Selbstverwirklichung").
Da wär's am besten, eben an Aufträge zu kommen. Dafür braucht's gute und vielseitige (!) Demos. Vielleicht beginnst Du mit No- oder Low-Budget-Projekten, etwa Studentenprojekte im Film- oder Multimediabereich. Es gibt auch in jedem Dorf irgendwelche Werbeagenturen und Videoproduktions-Firmen, die z.B. Werbespots und Imagefilme für regionale Firmen machen.