Die Frage nach der Musikalität des Menschen ist sehr komplex und sicherlich immer nur mit Vorbehalt zu diskutieren. Allerdings gibt es ein Buch, das genau in diese Richtung geht. Ich habe es bereits gelesen und finde es nach wie vor höchst informativ und auch unterhaltsam:
HAST DU TÖNE?
Untertitel: Warum wir alle musikalisch sind
Autor: Christoph Drösser
Erschienen im Rowohlt Verlag, 1. Auflage Juli 2009
Der Autor Christoph Drösser geht in seinem Buch den Fragen nach, was Musik ist, woher sie kommt, wie sie funktioniert, wie Musikalität und Intelligenz zusammenhängen, welch heilende Kraft Musik haben kann u.v.a.m.
Im Vorwort weist der Autor auf die vielen Forschungs- und Untersuchungsstudien hin, die seit dem Jahre 2000 über den "Gegenstand" Musik verfasst wurden. Er erwähnt dabei, dass viele Resultate von Hirnforschern bezüglich der Wirkung und den Funktionen von Musik so manche alte Überzeugung erschüttern. Die alte Trennung von U-Musik und E-Musik ist seiner Meinung nach dabei unerheblich für den Untersuchungsgegenstand.
Ausgehend davon, dass Bach, Mozart und Beethoven in ihrem ganzen Leben nicht annähernd soviel Musik gehört haben wie heute ein "normaler" Mensch, plädiert Drösser dafür, dass Musik nicht ausschließlich eine Sache für Experten bleiben darf.
Die Gliederung seines Buches:
Nach dem Vorwort gibt es folgende Kapitel:
2. Children of the evolution - Woher kommt die Musik?
3. Horch, was kommt von draußen rein - Vom Ohr ins Hirn
4. Stairway to heaven - Von Takten und Tonleitern
5. Man müsste Klavier spielen können - Was heißt "musikalisch"?
6. Feel - Musik und Gefühl
7. The logical song - Die Grammatik der Musik
8. Can´t get you out of my head - Woher unsere musikalischen Präferenzen kommen
9. Doctor, doctor - Musik und Gesundheit
10. I´d like to teach the world to sing - Was Musikunterricht mit uns macht
Mein Eindruck:
Ich habe das Buch (300 Seiten) in zwei Tagen durchgelesen. Für ein Sachbuch ist das quasi ein Rekord, da ich meistens längere Zeit dafür brauche.
Das liegt wohl zum einen daran, dass hier unterhaltsam und verständlich erklärt wird, was die moderne Wissenschaft über Musik herausgefunden hat, zum anderen, dass viele überraschende Ergebnisse und Erkenntnisse über Musik genannt werden, von denen ich teilweise noch nicht gehört hatte.
So kommt der Autor beim Thema "absolutes Gehör" z.B. zu folgenden Aussagen (Zitat):
"Diese Fähigkeit (absolutes Gehör) haben wahrscheinlich auch neugeborene Menschenbabys, aber die meisten Menschen verlieren das absolute Gehör, wenn sie sprechen lernen. Der Grund ist, dass in den meisten Sprachen die absolute Tonhöhe unwichtig ist, im Gegenteil, ein absolutes Gehör ist da eher störend. Wir wollen ja ein Wort, das von einer Frau ausgesprochen wird, genauso verstehen wie das eines Mannes, der viel tiefer spricht. Nur in den tonalen Sprachen, etwa den asiatischen, können Unterschiede in der Tonhöhe auch die Bedeutung von Wörtern verändern - entsprechend ist in asiatischen Ländern das absolute Gehör weiter verbreitet als in Europa und Nordamerika…"
Und dass Menschen mit absolutem Gehör auch vom Genuss von Musik abgelenkt werden können, steckt in einer Aussage wie "Ich höre keine Melodien, ich höre Tonnamen vorbeiziehen…"
Wenn das so ist, dann muss man wahrhaftig nicht neidisch sein auf jemanden, der über ein absolutes Gehör verfügt.
An anderer Stelle wird über das "Singen" sinniert.
Adorno prägte auf Grund der schlimmen Erfahrung mit der Gemeinschaftsstiftenden Funktion des Singens in der Zeit des Nationalsozialismus den Satz:
"Nirgends steht geschrieben, dass Singen Not sei…" und er propagierte daraufhin den Siegeszug einer abstrakten, weniger tonalen Musik.
Der Autor hält dem entgegen, dass Singen doch eine "Not" sei, da es ursprünglich mit dem Menschwerden verbunden ist. Kleinkinder beginnen schon im Alter von 18 Monaten, Lieder nachzusingen bzw. eigene Melodien zu ersinnen.
Wie eng Sprache und Musik zusammengehören, wird anhand einiger neuer Untersuchungsergebnisse vorgestellt und man staunt manches Mal nicht schlecht, zu welchen Resultaten es da kommt.
Ein Schlaganfallpatient, dessen Sprachzentrum total gestört ist, erlangt behutsam durch das Singen kleiner Melodien nach und nach seine Sprache zurück.
Zu dem Buch hat der Autor eine Internetseite eingerichtet, um einige seiner theoretischen Ausführungen zu veranschaulichen, auf die im Text mit einem Lautsprechersymbol verwiesen wird (
www.hast-du-toene.net. )
Das Buch kostet 19,90 Euro.
(Ich hatte es schon einmal vorgestellt im Subforum "Bücher".)