
Kreacher90
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Und da liegt m.E. die Chance im Musikunterricht, dass dort der Freiraum da ist und dass es - obwohl (weil) die Schüler und Schülerinnen so unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen - in ein gelungenes „Ganzes“ münden kann und sie (die Sch.) viel über sich und das Lernen lernen.
Hier agiert der Lehrer eher als Lern-Organisator, der die Schüler und Schülerinnen unterstützt, sich vielfach gegenseitig zu helfen. Die Lehrer geben Impulse, schauen/hören einfach mal zu (schwer für Lehrer) und geben Input, wenn es erforderlich ist.
Musik machen, das Erlernte direkt umsetzen, was für ein Spaß. (nicht beSpaßung)l
Und hier bestätigt sich mein Verdacht, der hier schon seit ein paar Threadseiten langsam wächst - nämlich, dass die meisten Akteure hier den schulischen, (bildungsplangestützten) Musikunterricht mit der dörflichen (freiwilligen und kostenplichtigen) Musikschule verwechseln und deshalb hier ein fernab der Alltagsrealität idealisiertes Bild vom Musikunterricht an Schulen propagieren.
Eventuell mag der SCHUL-Musikunterricht sich noch ein wenig zwischen den verschiedenen Schularten unterscheiden, mag auch sein, dass man gerade in der Grundschule vielleicht noch Zeit für Klatsch-Spaß-und-Sang-und-Klang-Spiele hat (so zumindest die vage Erinnerung an meine eigene Grundschulzeit). Spätestens aber am Gymnasium (und zunehmend in Richtung Kursstufe, sollte überhaupt irgendjemand das Fach Musik soweit belegen (ausgenommen vielleicht speziell darauf ausgerichtete Musikgymnasien)) trifft dieses romantisierte Bild eines "komm, wir machen zusammen schön Musik und sind gesellig und lernen voneinander" kaum mehr zu.
Wenn man nicht gerade von Musikgymnasien spricht (die ich hier jetzt mal bewusst ausklammere), finden sich in einer heterogenen Schulklasse (nehmen wir mal noch die typische Berliner-Kreuzberg-Brennpunktschule mit dazu, von deren es hierzulande leider immer mehr gibt, auch außerhalb großer Städte) zu 98% Schülerinnen & Schüler wieder, die noch nie in ihrem Leben ein Musikinstrument in der Hand hatten, nicht einmal eine Blockflöte und von denen die meisten auch gar nicht willens sind, das überhaupt auch nur mal auszuprobieren.
Die wenigen, die musikalisch veranlagt sind, sind dann dementsprechend auch schon weit vor Eintritt in den schulischen Musikunterricht von daheim aus ausgebildet worden, etwa durch frühkindlichen Besuch einer Musikschule, Jugend-musiziert oder ähnlichen Förderprogrammen. In nicht wenigen Fällen stammen die auch direkt aus musikalischen Familien, wo das dementsprechend von den Eltern bereits vorgelebt wurde.
Jetzt herzugehen und zu meinen, man könnte hier in solchen Alltagsklassen mal schnell ein schönes "Musikkonzert" auf die Beine stellen, wo man einfach mal schaut, wohin die Reise geht, ist dann doch ziemlich fernab der schulalltäglichen Realität. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass das eigentliche Musizieren im gymnasialen Musikunterricht (insb. je höher man Richtung Kursstufe geht) gar nicht wirklich Teil des zu lehrenden Bildungsplans ist. Da stehen musikwissenschaftlich-theoretische Inhalte (so staubtrocken sie manchen vielleicht auch anmuten mögen) im Vordergrund, immerhin soll ja dann langsam auch auf das Abitur vorbereitet werden.
Da werden dann eher Epochenvergleiche á la "inwiefern unterscheidet sich Schönbergs 12-Tontechnik bzw. die Musik der Moderne mit Hinblick auf das "stile conertato" im Frühbarock?" angestellt, Partituren analysiert und allenfalls am Ende, wenn man mal noch 10 Minuten übrig hatte, ein paar Chorliedchen angestimmt (Quelle: eigener Musikunterricht).
Ich zitiere aus einem Nachrichtenartikel des SWR:
Ein Instrument oder Singen lernen, musikalische Früherziehung – all das kann auch an staatlichen und privaten Musikschulen oder gleich digital geschehen.
Noch dazu ist der schulische Musikunterricht, wenn er denn stattfindet und nicht wegen Personalmangel ausfällt, zu oft noch akademisch geprägt: mit angestaubtem Liedgut und Methoden fernab der Lebensrealitäten vieler Schülerinnen und Schüler.
Mehr Zeit für Rechnen, Lesen und Schreiben wäre ebenfalls im Stundenplan, wenn man den Musikunterricht reduzieren oder gar abschaffen würde.
Doch es findet auch jeden Tag begeisternde Musikpädagogik an Schulen statt. Und die liefert nach Experten sogar Argumente für noch mehr Musik an Schulen als bisher. Dazu gleich mehr. Denn die aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik sehen vielerorts erst einmal anders aus.
Nach Bremen, Bayern und Thüringen überlegt auch Mecklenburg-Vorpommern, die Fächer Musik, Theater und Kunst ab dem Schuljahr 2025/26 in einem Verbund zusammenzufassen. Der Deutsche Musikrat befürchtet, dass mit solchen Plänen die Eigenständigkeit von Musik als Fach immer stärker gefährdet werde. Noch dazu verschärft sich der Mangel an Lehrkräften für Musik immer weiter, wie mehrere aktuelle Studien zeigen.
Solange hier schulischer Musikunterricht mit Interessensbasiertem privatem Musikschulunterricht verwechselt wird, das zeitgenössische Schülerklientel einer durchschnittlichen (nicht mal zwangsweise Brennpunkt-)schule überschätzt wird, wird man sich hier weiterhin in träumerischen Idealvorstellungen eines höchst-erfolgreichen Musikunterrichts verlieren, die aber - und ich wiederhole es hier jetzt schon zum x-ten Mal - mit dem harten Alltag an Schulen 0,0 zu tun haben.
Ich rede hier auch nicht von Grundschulen oder Sekundarstufe 1, denn ich persönlich habe mich für berufliche Schulen bzw. Sekundarstufe 2 entschieden. An vielen Berufsschulen gibt es gar kein Fach Musik und wenn es das gibt, stehen, wie oben erläutert, andere bildungsplanspezifische Konzepte im Vordergrund als ein gemeinsames Sing-Klatsch-Tanzspiel.
Wer in meiner Schulzeit abseits der privat bezahlten städtisch/dörflichen Musikschulen gemeinsam musizieren wollte, der konnte an meiner Schule sich einer freiwilligen "Musik-AG" anschließen, die aber außerschulisch außerhalb des Regelunterrichts (sprich in der Freizeit der Schüler und Lehrer) stattgefunden hat. Der eigentliche Musikunterricht hingegen war geprägt von 25 mehr oder weniger desinteressierten Schülern, die die Zeit genutzt haben, um Hausaufgaben für die anderen Fächer zu machen, und die restlichen 3-4 Musikinteressierten haben dann tatsächlich noch etwas mitnehmen können hinsichtlich der Frage, was jetzt die Wiener Klassik von der Modernen unterscheidet...
Nur mal so viel dazu - vielleicht sollte man sich hier erstmal über die Alltagsrealitäten bewusst werden, bevor man idealisierte Wunschkonzepte á la "hach, es könnte doch so schön sein, wenn nur..." in den Raum wirft.
Andererseits befinden wir uns hier in einem Musikforum - selbstverständlich will man seine Gilde hier verteidigen und argumentiert aus einer leidenschaftlich-romantisiert-veklärten Warte. Genau deshalb bringe ich aber immer wieder den Alltagsblick mit ins Spiel. Denn die Regelschulen sind eben keine Musikgymnasien und die wenigsten kommen überhaupt aus einem künstlerisch-musikalischen Setting. Das Fach "Musik" ist, ähnlich dem Fach Bildende Kunst (BK), nur bei jenen respektiert und als ernst wahrgenommen, die eine dementsprechende, vorschulische Bildung oder Beziehung bereits mitbringen. Mit Ausnahme von vorselektierten Musikgymnasien entspricht das aber bei weitem nicht mal einem Viertel der Schülerschaft auf stinknormalen Regelschulen.
Bei denen sind solche künstlerischen Fächer nämlich nichts weiteres als "vergeudete Absitz-Zeit", nicht selten auch von den Eltern kräftig unterstützt á la "schau lieber, dass du in den richtigen Fächern gut bist, die dir später auch was nützen - Musik und Kunst kannste dann eh abwählen."
Die Tatsache, dass es im Übrigen einen eklatanten Musiklehrermangel gibt, ist mitunter genau dieser Realität geschuldet. Bei uns in der Schule flogen im Musikunterricht von anderen Klassen als der meinigen nicht selten Stühle durchs Zimmer und Gurkenscheiben zierten Fenster, Wände und den Steinway-Flügel...
Und jetzt kommen hier ein paar an und träumen im Lichte solcher Zustände vom ganz großen revolutionären Umschwung á la Inklusionsklassen und "künstlerischen Freiräumen"...
Au weia.
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