Hallo zusammen,
als Keyboarder versuche ich die Klänge möglichst originalgetreu zu covern. Das ist nervig und dauert manchmal extrem lange, weil häufig mehrere Layer (ist das der richtige Ausdruck für verschiedene Klänge?) im Hintergrund liegen.
Kann man irgendwo nachlesen, welchen Klang man wofür nimmt und wie man diese spielt? Es gibt ja zahlreiche Keyboard-Tutorials. Aber da ist halt nur die Melodie, aber nicht der Klang zu erkennen.
Beispiel: Für
Chasing Cars gibt es unterschiedliche
Piano Tutorials. Aber wie wird der Klang in dem Originalstück genau erzeugt? Außerdem ist im Hintergrund insbesondere am Anfang ein Dauerakkord zu hören. Welcher Klang ist das? Und dann das "Pling" bei 2:22 ...
Wo findet man Anleitungen zu diesen Feinheiten?
Zunächst einmal ist die Annahme, daß jeder Synthesizersound da draußen a) ein Preset mit Namen ist, b) klanglich identisch auf jedem Synthesizer und jeder Workstation reproduzierbar ist und c) auf jedem Synthesizer und jeder Workstation auch noch gleich heißt, schlichtweg falsch.
Ich weiß ja nicht, wie gut du in der Geschichte elektronischer Musikinstrumente aufgepaßt hast, aber bis Anfang der 80er wurden viele Synthesizer gebaut, die überhaupt keinen Speicher und auch keine voreingestellten Sounds haben. Ich sage nur Minimoog, ARP 2600, ARP Odyssey oder Oberheim SEM. Selbst der 1982er Roland Juno-6 hat keinen Speicher, die 1981er Roland TB-303 auch nicht. Und seit den Neunzigern kommen immer wieder neue Analogsynthesizer ohne Speicher auf den Markt (plus die Yamaha Refaces, von denen drei auch speicherlos sind, auch wenn sie digital sind).
Und die wurden und werden in Studioproduktionen eingesetzt, auch in aktuelleren Produktionen. Da kann dir dann keiner sagen, wie der Sound heißt, weil der Sound
überhaupt nicht heißt.
Das nächste Problem ist der Klangcharakter. Nicht alle Synthesizer klingen gleich. Und wir reden hier nicht von feinsten Nuancen, die nur über 6.000-€-Genelec-Studiomonitore hörbar sind, sondern von teilweise sehr drastischen Unterschieden. Zum einen: Wenn du wirklich "möglichst originalgetreu" covern willst, mußt du auch den Klangcharakter der Maschine nachahmen, von der du einen Sound spielen willst. Zum anderen klingen eben dieselben Einstellungen auch auf verschiedenen aktuellen Synthesizer total unterschiedlich. Mal ganz davon abgesehen, daß kein Synth "alles" kann. (Wo hat die Korg Kronos Polymoog-Resonatoren? Wie kann ein Yamaha Montage eine mit 24 Partials resynthetisierte Digitalwelle in der Frequenz modulieren wie ein Synclavier?)
Spielt ihr auch "Sexy And I Know It" von LMFAO? Da kannst du lange darauf warten, daß dir jemand sagt, wie der Baßsound "heißt". Der "heißt" nämlich gar nicht. Der kommt von einer speicherlosen Roland TB-303. Da kann man dir allenfalls die Einstellungen an der Silberkiste sagen, daß du versuchen kannst, sie from scratch auf einem deiner Geräte nachzubauen. Zum Glück sind es nicht viele; die 303 ist ziemlich eingeschränkt.
Dann baust du das Schritt für Schritt nach, versuchst, das zu spielen, und stellst fest: "Scheiße, das klingt ja gar nicht wie 'Sexy And I Know It'!" Überraschung: Der von dir verwendete Synth kann gar nicht wie die Silberkiste klingen, kann gar nicht ihre ganz spezifische Klangcharakteristik emulieren. (Wenn jeder Synth das könnte, würden gebrauchte TB-303, die Ende 1981 neu $400, Anfang 1984 neu im Ausverkauf $100 und die Mitte der 80er Jahre über gebraucht $50 und weniger kosteten, nicht seit Ende der 80er gebraucht deutlich über $2.000 kosten.)
Ach ja, und eventuell wirst du auch feststellen, daß diese Bassline nicht funktioniert, wenn man versucht, sie per Hand auf einer Tastatur zu spielen. Die 303 hat keine Tastatur, d.h. sie hat eine, aber nur zum Programmieren der Sequenzen. Gespielt wird sie nur vom internen Sequencer. Das ist eine ganz klassische Acid-Bassline, wie sie seit 1987 gemacht werden: Der Sequencer spielt eine eintaktige Bassline, derweil an der Klangerzeugung herumgeschraubt wird. Du bräuchtest also noch die Informationen, wie diese Bassline auf einer 303 programmiert wird – wobei es im Grunde genommen überflüssig wäre, das auf den Sequencer einer Workstation zu übertragen, wenn die Workstation nicht einmal den Klang einer TB-303 hinbekommt.
Anderes Beispiel: ABBA – "Gimme! Gimme! Gimme!", der "Flötensound". Auch kein Preset mit Namen. Das kommt von einem speicherlosen ARP Odyssey Mk I, der technisch auf dem Stand von 1971 ist. Hier wirst du mit "Einstellungen nachbauen" erst recht nicht zum Ziel kommen. Der Sound kommt nämlich praktisch komplett vom selbstoszillierenden Zweipolfilter des Oddy. In der Theorie produziert ein Filter, wenn es selbstoszilliert, einen sauberen Sinus. Was beim Mk-I-Oddy aus dem selbstoszillierenden Filter kommt, ist aber alles andere als ein Sinus. Wer einen aktuellen Korg ARP Odyssey irgendwo anspielen kann, kann das gern antesten: Filter auf I, Resonanz und Keyfollow voll auf, alle Oszillatoren runterziehen. Voilà: Instant ABBA.
Als Keyboarder in einer Coverband hat man aber normalerweise für so etwas nur eine Workstation zur Hand. Die meisten werden feststellen, daß in dem ganzen Gerät kein einziges Filter zu finden ist, das zur Selbstoszillation fähig ist. Dafür sind die generischen Filter eines Rompler ja auch nicht ausgelegt. Und selbst wenn man selbstoszillierende Filter hat, klingen die nicht annähernd wie der dünne, blecherne Filtersound eines ARP Odyssey Mk I. Die einzigen Instrumente, die den hinbekommen, heißen alle irgendwas mit ARP Odyssey: der Mk I aus den frühen 70ern, von dem nur sehr wenige gebaut wurden, und die diversen Reissues von Korg. Überall sonst kann man das vergessen.
Jetzt könnte man sagen: Ja, dann baut man den Sound eben irgendwie anders. Aber – und das hast du schon ganz richtig erkannt: Die korrekte, amtliche klangliche Replika kommt nicht von außen, indem man an irgendeinem Sound herumdreht, bis es irgendwie passend klingt. Sie kommt von innen: Man weiß, womit es im Original gemacht wurde, man weiß, wie es damit gemacht wurde, und man baut das exakt so nach.
Es gibt aber noch andere Beispiele mit einem wesentlich höheren "Hat jeder schon mal nachgebaut"-Faktor. Etwa den Minimoog-Sound überhaupt und schlechthin: Rick Wrights Synth-Brass-Variationen von "Shine On You Crazy Diamond" oder "Wish You Were Here" (Pink Floyd). Ein Sägezahnoszillator, Vierpol-Kaskaden-Tiefpaßfilter mit 24 dB/Oktave, leicht resonierend, Cutoff ziemlich weit zugedreht, entsprechende Hüllkurveneinstellungen. Auch hier wieder: Es gibt keinen Namen für diesen Sound, den man unter den Presets jedes Synth findet. Also Handarbeit.
Dann baut man das nach und stellt fest: Scheiße, klingt das dünn. Bei Pink Floyd klingt das viel runder und voluminöser und lebendiger und so. Sogar ein Korg Poly-800 oder Roland Alpha Juno-1 klingt nicht so dünn.
Also greift man zu den üblichen Methoden, die hier normalerweise angewendet werden: Man dreht einen zweiten Sägezahnoszillator mit rein, der ganz eben verstimmt ist, damit es Schwebungen gibt und der Sound fetter wird. Womöglich stellt man den zweiten Oszillator gar auf Puls und dreht Pulsbreitenmodulation mit rein –
STOP!
Auch wenn's jetzt fetter klingt, klingt es immer noch nicht nach Rick Wright. Im Gegenteil, es klingt noch weniger nach Rick Wright. Ein Minimoog hat keine Pulsbreitenmodulation, also raus damit. Außerdem ist das wirklich und definitiv nur
ein Oszillator. Da schwebt gar nichts im Original. Der Oszillator ist nur eben nicht digital, sondern analog und diskret aufgebaut und entsprechend ungenau.
Dann fängt man als Workstation-Nutzer an, sich zu überlegen, wie man den einen Oszillator gleichzeitig mit einem nicht gestuften Zufalls-LFO (Drift) und einem Rauschgenerator (Jitter) ganz subtil in der Frequenz moduliert. Sollte das gelingen, muß man sich überlegen, wie man die nichtlineare Übersteuerung des Filters repliziert. Der Minimoog hat ja einen Konstruktionsfehler, der letztlich den Großteil seines Klangcharakters ausmacht: Das Signal von den Oszillatoren ist stärker, als wofür das Filter ausgelegt ist, so daß das Filter praktisch ständig übersteuert. Auch das muß man mit berücksichtigen. Und so weiter. Häufig scheitert es schon daran, daß rein samplebasierte Synthesizer keine frei schwingenden Oszillatoren haben – das wird spätestens dann wichtig, wenn man mehrere nutzen will, auf jeden Fall aber, wenn man Verstärkerhüllkurven-Attack auf null drehen muß.
Der Musicplayer-User JerryA hat vor etwa fünf Jahren
eine generelle Bauanleitung für Minimoog-Sounds gepostet. Problem dabei: Die funktioniert nur im Clavia Nord Modular. Aus einem Synthesizer mit drei Oszillatoren, einem Rauschgenerator, einem Mixer, einem Filter und ohne LFOs wurde ein Monster mit immer noch drei Oszillatoren, drei zusätzlichen LFOs, vier Rauschgeneratoren, fünf Mixern, vier Filtern, zwei Clipping-Modulen, einem Rectifier-Modul, zwei Feedbackschleifen... Und dann muß man jede Phase des Aufbaus auch noch mit einem real daneben stehenden Minimoog abgleichen und feineinstellen, das kann man also nicht auf gut Glück bauen. Aber er sagt, das klingt jetzt einigermaßen wie ein Minimoog. Und er dürfte alt genug sein, um den originalen Minimoog Model D unter den Händen gehabt zu haben, als der noch neu war.
Trotzdem dürfte wohl kaum ein Keyboarder in einer Coverband ein Gerät haben, mit dem das so nachzubauen ginge.
Gut, ich weiß jetzt nicht, wie sehr du ins Detail gehen willst, wie nah du an den jeweiligen Originalsound herankommen willst. Es gibt Details, bei denen die meisten Livekeyboarder sagen, die spielen keine Rolle, wo aber die Synthesizer-Nerds sagen, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Was dem einen 99% Authentizität sind, sind dem anderen nicht einmal 60% oder vielleicht sogar nicht einmal 40%.
Wenn ihr irgendwas von Duran Duran spielt, wirst du eher früher als später auf den Roland Jupiter-8 stoßen. Der hat Speicher, aber keine Namen für die Sounds, geschweige denn, daß du auf irgendeinem deiner Geräte unter demselben Namen einen exakt identisch klingenden Sound vorfinden würdest. (Das Glück hast du nicht einmal bei Klängen vom Roland D-50, die es in den General-MIDI-Standard geschafft haben – einzig bei Roland dürfte man da relativ nah dran kommen, alle anderen haben eher Annäherungen.)
Jedenfalls genügt da eigentlich nicht eine Auflistung der Einstellungen. Daß das Filter 24 dB/Oktave haben muß, heißt noch lange nicht, daß, wenn man das so einstellt, es auch wirklich exakt wie ein Roland Jupiter-8 klingt. Auf jedem Synth klingt das anders. Erschwerend kommt hinzu, daß bei den meisten virtuell-analogen Synthesizern der 24-dB/Oktave-Tiefpaß an Moog angelehnt ist und auch das immer wieder anders (bis auf Clavia, die zumindest im Nord Modular und möglicherweise auch in den frühen Nord Leads das Roland System-100 als Vorbild genommen haben, und Alesis Ion, Alesis Micron, Akai Miniak und Access Virus ab C, die gleich mehrere unterschiedliche Filter in der Flankensteilheit haben). Wie ein Roland Jupiter-8 klingt das nie (auch wenn Alesis und Akai was anderes behaupten).
Legst du also Wert darauf, daß es klingt wie der im Original eingesetzte Synthesizer? Machst du also klanglich einen Unterschied zwischen z. B. Roland Jupiter-8, Moog Memorymoog, Sequential Circuits Prophet-5 Rev. 1, Sequential Circuits Prophet-5 Rev. 2 (alle mit einem 24-dB/Oktave-Kaskadenfilter), Sequential Circuits Prophet-5 Rev. 3, Oberheim OB-Xa, Elka Synthex, Roland Jupiter-6, Roland JX-3P, Roland JX-8P, Roland MKS-80, Roland JX-10, Roland MKS-70 und Rhodes Chroma (alle mit zwei 12-dB/Oktave-Filtern in Reihe), wobei dann auch noch die Art der Oszillatoren (rein spannungsgesteuerte VCOs vs. quarzgestützte DCOs) eine Rolle spielt?
Noch ein Beispiel: der metallische Sound aus "Beat It" von Michael Jackson. Der kommt aus einem NED Synclavier II. Erzeugt wird er wie folgt: Zunächst wird eine Art Grundsound additiv mit 24 Partials aufgebaut. Der wird zu einer Digitalwelle resynthetisiert, die dann ins Synclavier eingespielt wird. Der digitale Tongenerator, der sie dann abspielt, wird dann auch noch von einem Sinusoszillator in der Frequenz (tatsächlich Frequenz, nicht Phasenlage wie beim Yamaha DX7) moduliert. Das mit irgendeinem aktuellen Synth nachzubauen, ist aussichtslos.
Nun steht der Klang im Intro frei. Die meisten Coverband-Keyboarder rippen den einfach von der CD und laden ihn als Sample in ein geeignetes Gerät. Das ist aber auch problematisch. Denn nicht alle Tonhöhen, in denen dieser Sound gespielt wird, stehen frei, so daß man nicht für jede Tonhöhe ein eigenes Sample hat. Regelt man die Tonhöhe ganz klassisch im Sampler, wird der Klang bei tieferen Noten zwar tiefer, aber auch langsamer – im Original ist er aber immer gleich schnell, weil keine der verwendeten Hüllkurven auf Keyfollow gestellt ist. Außerdem pitchshiftet man die Wandlerfrequenz gleich mit.
Annähern ließe sich das, indem man für jede der zu spielenden Tonhöhen jeweils das nächstmögliche ungepitchte Sample nimmt und vorab pitchshiftet, ohne daß es Timestretching gibt. Damit riskiert man unter Umständen aber Artefakte. Und man pitchshiftet immer noch die Wandlerfrequenz mit. Letzteres ist übrigens der Grund, warum auch bei modernen Sample-Libraries mit den Sounds klassischer Sampler und Digitalsynths nach Möglichkeit immer in Halbtonschritten gesamplet und auf jegliches Pitchshifting verzichtet wird.
Beispiel für extrem hohen Detailgrad: die typischen Sounds aus Yamahas Phasenmodulations-Synthesizern. E. Piano 1. Bass 1. Harmonica1. Tub Erupt, falls man Weihnachtssongs spielt. Alles Presetklassiker aus dem 1983er Yamaha DX7 – wohlgemerkt, teilweise nur unter den Presets für den US-Markt zu finden. Jedenfalls klingen die aus einem 1986er DX7II schon merklich anders. Das liegt nicht an einer anderen Klangerzeugung. Die ist im wesentlichen immer noch dieselbe, nur mehr davon. Nein, das liegt an den Wandlern. Der DX7 hat noch 10-Bit-Wandler mit einem ziemlich gritty Klangcharakter. Der DX7II hat 16-Bit-Wandler und klingt sauberer. Schon mein TX802 (DX7II-Generation) produziert nicht ganz so den "Rotz" eines originalen DX7.
Ich habe vorletztes Jahr auf der Superbooth in Berlin den damals nagelneuen Montage angespielt. Für viele ist das ja im Prinzip so eine Art Super-DX7 plus Rompler dazu. Natürlich habe ich mich auf die typischen DX7-Sounds konzentriert. Und selbst über die Kopfhörer, die da gestellt wurden, war deutlich zu hören, daß der Montage viel zu sauber, zu glatt, zu hi-fi klingt, um auch nur einen DX7II emulieren zu können – geschweige denn einen DX7.
Angenommen, du würdest "Wild Horses" von Gino Vannelli spielen (die Nummer ist randvoll mit DX7) oder meinetwegen "What's Love Got To Do With It" von Tina Turner oder "Danger Zone" von Kenny Loggins oder eine der typischen 80er-Jahre-E-Piano-Balladen. Wäre es dir wichtig, daß das wirklich nach dem damals verwendeten Gerät klingt – einem DX7?
Hier wäre Emulation in der Tat ein Problem, denn es gibt keinen Klangerzeuger, der die Wandler eines DX7 emuliert.
Je nach dem was man covern möchte, geben Presets schon einiges her. In den 90ern sind ganze Hits aus bestimmten Romplern gekommen.
Seit VST/DAW Produktionen ist das schon schwieriger mit dem Originalgetreu. Da dudeln dann mal eben 30 Spuren mit automatisierten Filtern/FX im Song.
Zumal dann natürlich entsprechende Mengen an Softsynths, kommerziellen Sample-Libraries und mitunter auch eigenen Samples im Einsatz sind. Und auch die großen Studios bouncen irgendwann oder rendern Spuren häppchenweise vorab, denn auch die haben nicht die Rechenpower, um 30, 50, 70, 100 Spuren nebst opulenten Effekten gleichzeitig in Echtzeit zu generieren. Selbst wenn man genau wüßte, was im Original mit welcher Software, welchen Presets, welchen Modifikationen an den Presets und welchen sonstigen Einstellungen gemacht wurde, kann man sich bei Digital Audio Networx Rackrechner im mittleren fünfstelligen Gesamtwert kaufen, um das alles auf der Bühne ohne Audiozuspielungen live zu reproduzieren.
Martman