In den letzten Jahren konnte mich Line 6 mit ihren Produkten so gar nicht aus der Reserve locken, obwohl ich der digitalen Welt durchaus aufgeschlossen war. Vor zwei Jahren stand dann der Kemper in meiner Kemenate, aber nach längerer Zeit habe ich dann festgestellt, dass mir mit den richtigen Hilfsmitteln auch zu Hause ein Amp besser gefällt (Mini Rectifier mit dem Mesa Cab Clone, jetzt ist es ein Bad Cat), daher musste der Kemper gehen. Trotzdem finde ich das Teil nach wie vor großartig, aber mir fehlte da einfach etwas...
Nun habe ich mich mit aus Neugier mal näher mit dem Helix befasst und schnell festgestellt, was das Teil eigentlich alles kann - ich kann:
- schnell mal zwischendurch daddeln; wenn ich alleine bin, dann sogar ohne großen Aufwand im Wohnzimmer
- vernünftige Aufnahmen machen, die sich auch im Vergleich zu der o.a. Aufnahmemethode nicht verstecken müssen (ok, man muss schon an den Sounds arbeiten, dazu später mehr)
- den Helix als vollwertiges 8-Spur-Interface nutzen, dazu bietet er extrem einfache DI-Aufnahmen und Reamping-Möglichkeiten. Dabei lässt sich alternativ auch noch der "echte" Amp hervorragend einbinden.
- durch einen sehr durchdachten 4-Kabel-Aufbau das Teil auch schnell in das Live- / Proberaum-Setting einbinden - mit durchaus guten Ergebnissen!
- wenn mein Amp abraucht oder ich nur mit kleinem Gepäck zum Gig will, damit auch direkt in die PA gehen und den kompletten Modellingbereich nutzen.
Sicherlich ist bei dem Helix soundtechnisch noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht - vermutlich kann das (deutlich teurere) Axe Fx 2 noch dichter zu dem idealen Sound führen, aber in der Summe der Eigenschaften ist der Helix ganz weit vorne. Dabei ist die Bedienbarkeit des Teils absolut überzeugend - die verschiedenen Signalpfade und Verknüpfungen der einzelnen Komponenten lassen sich suuuper einfach auf dem Display dar- und einstellen. Wer (wie ich) vom G-System kommt, fühlt sich erstmal wie im Himmel und kann gar nicht glauben, dass es so einfach sein kann, mehrteilige und parallele bzw. alternative Signalwege aufzubauen. TOP!
Zu den Sounds - die momentane Schwäche im heimischen Einsatzbereich ist m.E. das Angebot der Boxen-Simulationen; hier stank der Helix im Vergleich zu meiner Amplösung deutlich ab - sogar so massiv, dass ich das Ding schon wieder für die Rückgabe einpacken wollte. Mein Sohn kam dann aber auf die Idee, den Helix als Vorstufe in den Return des Amps laufen zu lassen. Er wollte wissen, ob es die gesamte Simulation mau ist oder nur der Cab-Bereich. Also nur Vorstufen-Modell mit Effekten aktiviert und ab in die Endstufe. Auf einmal klang alles viel besser... Ok, zur Probe nur die Cabs ausgeschaltet, den AMT Pangea Convolution mit einer seiner vorinstallierten Impuls-Antworten dazwischen gepackt und wieder direkt in die Abhöre... jup... Treffer... versenkt... (mein Geld, nicht den Helix). Ich sah Licht am Ende des Tunnels und fing an, richtig in den Amps zu arbeiten (die 2. Seite mit SAG, Hum, Ripple und BIAS hat es in sich) - dazu ein paar brauchbare IRs aus dem INet in den Helix übertragen und mit Hilfe aller Koomponenten kamen dann Ergebnisse zu Tage, die mich echt überrascht haben. Auf einmal war der "Schleier" weg, das Spielgefühl wurde deutlich direkter und der Klang klarer und transparenter - insbesondere bei Highgain-Sounds. Noch besser wird es, wenn man den Signalweg nach dem Amp-Modul (und ggf. Effekten) splittet und zwei verschiedene IRs ansteuert, die zusammen einen guten Gesamtsound ergeben (Bsp. SM57 & MD421 in passender Position). Zudem lohnt es sich, an dieser Stelle schon mit dem Helix-eigenen High- und Lowcut zu arbeiten.
Im Proberaum habe ich gestern den Helix über die PA und meinen Amp (Soldano SL60 mit Friedmann 4x12) A/B verglichen. Eines vorab - und das muss jedem klar sein: Bei einem solchen Vergleich KANN der Sound NICHT 1:1 vergleichbar sein, denn die digitale Simulation "schummelt" - man erhält nur den Sound, der einem mit Mikrofon abgenommem Signal entsprechen soll. Was aus einer 1/2/4 x 12 kommt, klingt anders und fühlt sich anders an! Immer! Der Vergleich wird erst dann schlüssig, wenn man sich vorstellt (oder ausprobiert), wie sich das abgenommene Amp-Signal aus der PA anhören würde (also dass, was ein Publikum hören würde). Es geht also nicht um "klingt wie..." im Proberaum, sondern darum, einen brauchbaren oder gar guten Sound aus der PA zu bekommen, der vernünftig mithalten kann. Bei der Probe im lauten engen Proberaum oder dem normalen Clubgig hört man die Feinheiten sowieso selten raus, da müssen sich die Signale in erster Linie nur gut klingend und hörbar durchsetzen.
Dazu kommt aber noch ein Aspekt - Im Gegensatz zum heimischen Einsatz verändern sich die voreingestellten Sounds aber massiv, denn die Physik ist manchmal ein Arxxschloch - was leise zu Hause oder auch unbearbeitet vielleicht auf der Aufnahme ganz gut klingt, hört sich laut auf einmal total schrottig / schrill / unbrauchbar an. Deshalb muss jedes Preset für einen realen Einsatz auf jeden Fall nachbearbeitet bzw. unter solchen Bedingungen neu eingestellt werden. Das gilt natürlich generell (ist bei Kemper & Co. logischerweise nicht anders), aber beim Helix kommen plötzlich die oben so geschmähten Cab-Sims wieder zu Ehren - so richtig laut klingen die Cabs wiederum viel kompakter und schlüssiger als die von mir verwendeten IRs von den üblichen Anbietern. Dies wiederum ist auch logisch, weil die IRs in der Regel vollkommen unbearbeitet sind und auch die realen Vorbilder mit EQ und ggf. Kompressor etc. bearbeitet werden müssten.
Aber am Ende kommt es auf das Ergebnis an und auch im Proberaum kam ich nach geraumer Zeit zu erstaunlich guten Resultaten - ich bin mir sicher, dass der Helix genau so live eingesetzt werden kann, wie auch der Kemper und Axe. Aber auch vor der PA lassen sich die Ergebnisse mit einer Boxen-Kombination deutlich verbessern - oder auch mittels eines zugemischten IRs.
Für mich ist und bleibt der Amp im Einzelfall immer noch der Favorit, was der Sache aber keinen Abruch tut, denn in der Summe der Eigenschaften und damit in der Bewertung des Nutzwertes steht für mich der Helix hervorragend da. Er bietet sehr viel im Alltag, bei dem es vielleicht nicht auf die letzten 5 % des vollkommenen Sounds (wann hat man mal die echten 100%?) ankommt und kann zudem immer als Ergänzung und auch Ersatz für Proben und Gigs herhalten. Und für Homerecording-Zwecke ist das Ding der Hammer!
Also mein persönliches Fazit: