Als Techniker mag ich es irgendwie Abends im Proberaum/zu Hause meine Gitarre aus dem Ständer zu nehmen, sie ganz umständlich manuell zu stimmen, sie mit einem Kabel in einen Verstärker stecken zu müssen, den Verstärker mit Drehnköpfchen feinsauber einzustellen und dann erst loszulegen; natürlich erst, wenn die Röhren etwas vorgeglüht haben.
Es ist der einzige Teilbereich in meinem Leben der nicht auf Benutzerfreundlichkeit, Prozessvereinfachung, Simplifizierung und Automatisierung optimiert wurde.
Das ist die neue Klassik in Generation Youtube aka Alles-Was-In-20-Sekunden-Nicht-Aufgesetzt-Ist-Verdient-Nicht-Meine-2-Minuten-Aufmerksamkeitsspanne.
Ich glaube ehrlich gesagt, dass es sehr vielen Leuten so geht - in abgeschwächter Form vermutlich sogar der Generation YouTube - und dass hier tatsächlich einer der Gründe für wenig Mut, besser gesagt Anreiz, zur Innovation seitens der Gitarrenhersteller besteht.
Für ein so emotionales und oftmals wenig rational erklärbares Hobby wie die Musik ist die Lösung, welche einen geringeren Zeit-/Kraftaufwand fordert und dabei vielleicht sogar noch präziser ist (Beispiel Gibsons unbeliebtes Min-ETune, das oftmals nur teilweise berechtigte massive Misstrauen gegenüber neuem Klangkörpermaterial, etc.), eben nicht immer die gewünschte. Man muss dabei vielleicht auch mal genauer hinsehen: Letztlich ist die Gitarre ein Medium, um ein bestimmtes
Ziel zu erreichen.
Das klingt jetzt technischer als ich es meine. Denn dieses Ziel kann zwar durchaus ganz trocken gesagt sein, möglichst zuverlässig und mit wenig Aufwand einen guten Klang zu liefern und den Musiker seine Fähigkeiten bestmöglich zu einem möglichst geringen Preis ausspielen zu lassen (Variante 1). In Variante 1 ist das Medium halt wie ein Wekzeug zu sehen. Es ist gut, wenn es zuverlässig gute Klänge bei sachgemäßer Bearbeitung liefert. Es kann aber eben auch sein, dass das Ziel darin besteht, dem Musiker größtmögliche Freude beim Spielen zu bereiten, unabhängig davon, mit wieviel Aufwand er für wieviel Geld wie konstant eine bestimmte musikalische "Performance" X abliefern kann (Variante 2). Hier ist eher der Weg das Ziel.
Richtig kompliziert wird es doch dann, wenn man bedenkt, dass je nach Naturell und Spielweise es manchmal jene Inspiration durch die Freude am Instrument (Variante 1) ist, die gute Musik erst ermöglicht. In diesem Fall würde das Ziel von Variante 1 die Bedingungen aus Variante 2 quasi zu ihrer Erfüllung vorausetzen. Auch für einen eher rational agierenden Top40-Covermusiker, der mit Musik in erster Linie seine Brötchen verdient, trifft das sicher zu. Man darf aber als Gitarrist nie vergessen, dass viele Unterschiede die für den Spieler selbst sehr gut hör- und fühlbar sind, für andere Zuhörende schon sehr viel weniger deutlich hervortreten (für Musikerpublikum) bzw. teilweise marginal sind (für Publikum ohne "geschulte" Ohren).
Mein Schlüsselereignis in dieser Sache war, als mich mein eher wenig musikalischer Onkel mal gefragt hat, warum meine Gitarre eigentlich 2 Tonabnehmer hat. Als Physik- und Chemielehrer hat ihn diese technische Perspektive doch sehr interessiert, die physikalische Grundlage versteht er dabei natürlich vollkommen. Als ich ihm mal die Unterschiede zwischen meinem Seymour Duncan JB in Stegposition und SD '59er durch Umschalten vorgeführt habe, war er der Meinung keinen in irgendeiner Weise relevanten Unterschied zu hören. Ich unterstelle mal, dass etwa in einem Bandkontext dies auch oftmals zutrifft. Klar, für die Leute am Mischpult spielt so etwas durchaus eine Rolle, aber das lässt sich alles in den Griff bekommen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind - unsere feinfühligen Gitarristenansprüche gehen darüber weit hinaus.
Was hat das jetzt mit Innovationen zu tun?
Nun, ich glaube dass für die Faszination von Gitarren und die Inspiration die wir durch sie erfahren, in erster Linie sehr starke Erwartungshaltungen, wie ein Instrument zu sein hat und gewisse Mythen verantwortlich sein. Romantische Vorstellungen von Holz statt künstlichen Werkstoffen, der Look, das Gefühl, der Geruch. Korpusformen, bekannte Spieler eben dieser Instrumente - durch deren Musik man selbst stark geprägt ist. All das ist Teil einer großen Gitarren-Narration, die wir verinnerlicht haben und die uns prägt, ob wir wollen oder nicht. Und es fühlt sich ja auch gut an, Teil dieser Narration zu sein.
In diese Narration passen blinkende Geräte auf der Rückseite von Gibson-Headstocks aber ebenso wenig wie das Spielen in ein Pult per Pre-Amp statt in ein Marshall-Stack. Die Idee auf einem Verbundstoffgriffbrett herumzugreifen auch nicht.
Was für die Hersteller zählt, ist was sich verkauft. Wir - ich nehme mich da nicht aus - werden weiterhin beim Gitarren-Einkaufsbummel zu einem Instrument greifen, welches uns anspricht. Durch ein Aussehen, welches unsere Erwartungen i.d.R. nicht zu sehr unterläuft. Durch ein Image, welches wir schätzen. Durch Vertrautes in hoher Qualität. Klar möchte man auch mal etwas Neues, aber seien wir mal ehrlich: Sobald es
wirklich neu und exotisch wird, ist man meistens abgeschreckt. Der Lustgewinn an der Erfüllung dieser Erwartungen, gewürzt mit dem Salz einiger vorsichtiger Neuerungen (vielleicht mal eine ungewohnte Pickup-Kombination?!?) ist ja durchaus erfolgversprechend. Werden die Änderungen zu groß, empfinden wir Gitarristen das Instrumenten-Gericht oft schon als versalzen.
Bassisten oder Keyboarder etwa sind da meiner Meinung nach durchaus pragmatischer, bzw. stehen durchaus auf gut gewürzt, um mal im Bild zu bleiben.
Meine Vermutung ist nun, dass dies vor allem mit der Traditionsvorstellung und dem Selbstbild von Gitarristen zu tun hat. Machen wir uns nichts vor, es herrscht oftmals Style over Substance vor. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch Beispiele gibt, wo durchaus Style und Substance gegeben ist - oftmals dann aber zum gehobenen Preis (Bsp. PRS).
Wirklich kompliziert wird es dann aber, wenn man den Umstand bedenkt, den ich oben bereits kurz angesprochen habe: Vielleicht ist dieses Verhalten ja letztlich doch wieder rational. Nämlich genau deshalb, weil eben genau diese innige Verbindung zum Instrument, die wenig rationale Begeisterung für etwas Imperfektes den gewissen Placebo-Effekt darstellt, der zwar nicht rational, aber eben doch wirksam ist. Wirksam in dem Sinne, dass es sich mit der gewonnenen Freude am traditionellen Instrument eben auch gut musiziert. Ebenso wie manche Menschen einen Wein mit Korkverschluss mehr genießen können, als einen Wein mit aus sensorischer Perspektive messbar überlegenem Verschlussmaterial. Hey, eine höherklassige Yamaha ist meist besser verarbeitet als eine Gibson, die >80% mehr kostet. Aber wenn jemand auf der Gibson am Ende des Tages a) lieber und b) (eventuell genau wegen a) ) auch besser spielt?
Innovationen sind oftmals unbeliebt. Klingt reaktionär, ist es vermutlich auch. Ist am Ende des Tages aber ja eigentlich auch egal, solange es funktioniert...
Vielleicht liege ich mit dieser Einschätzung ja ganz falsch, aber so stellt es sich für mich dar...