Ich bin ziemlich überrascht, wie hier sowohl beiläufig wie umfassend Texten "Inhaltsleere" attestiert wird. Das ist sowohl eine Verkürzung von "Inhalt", der beileibe nicht dem entsprechen muss, was zwischen Schulbuchseiten oder in der Hochkultur platziert wird, als auch eine Verkürzung des Kontextes, der zum Inhalt eines Textes dazugehört, wobei wir beim Begriff Kultur und Code wären.
Es sollte mittlerweile angekommen sein, dass Redewendungen wie das im Blues verwendete "dust my broom" eben nicht (nur) sprichwörtlich zu nehmen bzw. zu verstehen sind - das heißt, zusätzlich zu ihrer offensichtlichen, oben liegenden und jedem verständlichen Bedeutung liegen andere Bedeutungen vor, zumindest aber eine, die nicht von allen verstanden wird. Das letztere kann man mit dem Begriff kulturelle Codes beschreiben. Jede Jugendsprache ist beispielsweise ein kultureller Code und soll bewußt die Erwachsenen von der Kommunikation ausschließen.
Wenn die Ausgeschlossenen nun Texte dieser Art als "inhaltsleer" bezeichnen, geben sie in erster Linie nur zu erkennen, dass sie nichts verstanden haben. Daher sollte man zunächst mal ein bißchen inne halten, bevor man zu solchen Etikettierungen wie "inhaltsleer" greift. DADA-Texte beispielsweise erschließen sich nicht dem offensichtlichen Textverständnis, ja torpedieren es geradezu. Und genau darin liegt ihr Sinn. Beat- oder psychodelische Texte, viele RAP- und HipHop und POP-Texte und - Überraschung: viele Volkslieder - funktionieren ebenso. Und nichts ist dabei so beständig wie die Verknüpfung von oberflächlichem Inhalt und sexueller Bedeutung - wie beim oben Genannten "dust my broom". Das von John Lennon und den Beatles verwendete "Baby, you can drive my car" ist übrigens ebenfalls doppeldeutig und hat eine ähnliche Bedeutung.
Wenn wir uns beide genannten Texte darauf hin anschauen, entdecken wir Ähnliches.
Die Musik zu "Grüzi wohl, Frau Stirnima" stammt aus dem Engardin, einer Gegend in der Schweiz, deren Volksmusik ab 1850 einen Aufschwung nahm und in der Emigration und saisonale Gastarbeit üblich war - man kennt sowas als Erntehelfer etc. Irgendwann kommen diese jungen Burschen dann zurück, nach harter Arbeit, aber die Taschen voller Geld und wollen natürlich einiges nachholen.
Da laufen sie dann durch die Dörfer und erkundigen sich bei dem weiblichen Geschlecht, wie es denn so geht und steht und wie die Laune ist. Das kann man natürlich als ganz normale Konversation betrachten und das, was darunter liegt - nämlich das Anknüpfen ganz anderer Beziehungen und den Austausch ganz anderer Art als von Worten - ignorieren und den Text als inhaltsleer abtun. Man kann es aber auch anders sehen - und genau so ist der Text und der Song auch verstanden worden: als überschäumendes Leben, das sich auf allen Ebenen Bahnen bricht. Ein Beleg dafür ist übrigens das offizielle Cover der Single, die vom Oktober 1969 stammt und von einer Band neu aufgenommen und gespielt wurde und kurz danach, in den 70er Jahren, schnell überregionale Bedeutung erlangt.
Hier ein link zum Cover:
cover
Und hier ein Link zu einem Artikel, vorwiegend über die musikalischen Ursprünge:
Artikel über "die heimliche Nationalhymne"
Während der obige Songtext noch mit Doppelbedeutungen arbeitet, trifft das auf den zweiten genannten Text über die Puffmama Layla nicht zu - da geht es eher um eine bewußte Tabu-Brechnung, nämlich zu einer Zeit (möglichst gut abgefüllt) und einem Ort (möglichst gemeinsam und ausgelassen auf einer Tanzveranstaltung, einer Fete etc.), wo man genau das machen will: nämlich mehr oder weniger gepflegt die Sau rauslassen. Und genau das ist dann schon wie das Oktoberfest und Betriebsausflugsszenarien kompatibel mit der schönen gesellschaftlichen Ordnung, wo man auch mal anders sein darf, besonders, wenn man zur Altherrenriege gehört, die mal über die Stränge schlagen will ohne all zu sehr anzuecken. So hat es das Lied ja auch auf den CDU-Jugendparteitag gebracht, wo dieselben mal ganz mutig die Kultur verteidigt haben.
Und natürlich ist der Text keineswegs inhaltsleer, sondern bedient genau das, was er bedienen will und soll: Ausgelassen und zum Mitgröhlen einen gemeinsamen Besuch beim Puff hochleben lassen. Solche Songs und Texte gibt es, seit es Alkohol gibt und sie funktionieren alle auf die gleiche Art und Weise. Die Bandbreite ist dabei groß und fängt mit so lustigen Verwechslungen und "Ersetze in Deinem Kopf das richtige Wort" an, wie beispielsweise in der recht bekannten "Polonaise Blankenese", wo es dann heißt: "Wir ziehen los mit ganz großen Schritten / Und Erwin faßt der Heidi von hinten an die Schulter" - wo sich natürlich ansonsten der ganze Text reimt und das Hirn wie von selbst das Wort einsetzt, was sich eben auf "mit ganz großen Schritten" reimt: ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Worum es halt geht bei songtexten, ist, den ganzen Kontext mit einzubeziehen. Ansonsten läuft man in die Irre. Und landet bei so inhaltsleeren Bezeichnungen wie "Inhaltsleer", der nicht nur in die Irre führt, sondern selbst auch eine Unmöglichkeit darstellt, ebenso wie wenn man sagen würde, es handle sich um "klanglose" Musik. Jede Musik hat einen Klang und jeder Text hat einen Inhalt. Der Klang muss nicht jedem gefallen und der Inhalt muss nicht jedem auffallen - aber eins hat er nicht verdient: einfach beiseite geschoben zu werden.
Und das trifft insbesondere auf populäre Musik zu. "Don´t step on my blue suede shoes" oder "See you later, aligator" ist eben zum einen Jugendsprache - und das war zu der Zeit beim Rock n Rock genau passend und zweitens drückt es ganz einfach Lebensfreude (See you later, aligator - allgemeiner: Laß uns heute mal den Kopf vergessen) aus bzw. deutliche Abgrenzung (don´t step on my blue suede shoes - allgemeiner: Komm mir nicht zu nahe).
Und um mal auf die Ausgangsthese zurück zu kommen: Diese Texte passen ganz genau zu einem bestimmten Lebensgefühl und genau zu der Musik, die sie verkörpern und ausdrücken. Sie sind keineswegs beliebig, sondern genau so passend, wie sie sind. Keiner hat behauptet, ein Songtext müßte den Nobelpreis bekommen, um als Songtext zu funktionieren. Er ist weder "inhaltsleer" noch ein bloßes, beliebiges Beiwerk, das man durch jeden anderen beliebigen Text ersetzen könnte. Uffta, Uffta, Baby honka honka ups wiehoh funktioniert eben nicht, genau wie der Text für eine Betriebsanleitung hier nicht funktionieren würde.
x-Riff