Hier redigierte Fassung meiner Antwort vom 18.03. (morgens):
Jimi Hendrix war der erste Gitarrist der mit einer verzerrten, und zwar stark verzerrten E-Gitarre spielte, das Vibratosystem ("Tremolo") extremst einsetzte und damit das moderne Gitarrespiel gewissermaßen erfand. Vorher gab es ja in der allergrößten Hauptsache nur Cleansounds oder leicht angezerrte Sounds durch mehr oder weniger beabsichtigte natürliche Übersteuerung des Röhrenverstärkers. Die erste verzerrte Gitarre ist meines Wissens auf Elvis Presleys "Jailhouse Rock" (Scotty Moore) zu hören (natürliche Übersteuerung, aber ganz bewusst). Zumindest kenne ich keine frühere Aufnahme, auf der eine verzerrte Gitarre zu hören zu wäre, und ich kenne sehr viel Musik der 50er Jahre. Auch Chuck Berry spielte in den 50ern noch clean. Bis dahin, und auch noch später, galt es ja als Negativkriterium, wenn ein Verstärker übersteuerte ("Overdrive") und man suchte immer nach Verstärkern mit einem möglichst cleanen Sound.
Jimi Hendrix hat also die moderne Art des E-Gitarrespielens mit ausgiebiger "sahniger" Verzerrung und langem Sustain sowie bewusstem, kontrolliertem Feedback erfunden. Naja, zumindest ganz prägend "miterfunden" (Erläuterung weiter unten). Eine, wie sich versteht, ganz andere Art, als clean zu spielen. Das war revolutionär. Er war halt der erste, der in etwa so klang wie später die Herren May, van Halen, Lukather etc.
Aber mit Sicherheit war Jimi Hendrix auch aus meiner Sicht nicht mehr als das, was man einen Pionier nennt, wenngleich man, wenn man ihm seine Verdienste in Abrede stellen will, in etwa dasselbe tut als würde man die Brüder Montgolfier als schlechte Ballonfahrer einstufen, weil deren Ballon nicht besonders hoch stieg und noch mit Seilen am Erdboden verankert blieb. Die haben aber schließlich den ersten bemannten Ballon überhaupt zum Fliegen gebracht, und das im 18. Jahrhundert. Ähnliches gilt, wenngleich dieser Vergleich, wie jeder andere, hinkt, in gewisser Weise für Jimi Hendrix als Gitarrist.
Es nicht richtig, dass Hendrix der erste war, der als Gitarrist groß herauskam.
In den 50er Jahren gab es eine Reihe von amerikanischen Instrumentalgitarristen im Rockbereich, die als Gitarristen Stars waren, und zwar als Instrumentalgitarristen, ohne Sänger (im Jazz/Country war das noch früher der Fall, z. B. Les Paul, nach dem die Gibson Gitarre benannt ist. Er hat sie auch entworfen). Der amerikanische Instrumentalgitarrist überhaupt war in den 50er Jahren Duane Eddy, zumindest war er der bekannteste. Der sang nicht. Für Chet Atkins gilt Ähnliches (ist aber eher Country-Richtung).
In England waren es Hank Marvin (Lead Gitarrist der Instrumentalband "The Shadows", ebenso bereits in den späten 50ern (als die "Shadows" die Band von Cliff Richard waren, bzw. als Cliff Richard bei den "Shadows" sang). Ab den 60ern waren die "Shadows" mit Hank Marvin eine so gut wie reine Instrumentalband. Ihr Instrumentalstück "Apache" war bereits 1960 mit absoluten Spitzenpositonen in den Charts, U.K. meines Wissens sogar Platz 1 (völlig sensationell für ein Gitarreninstrumental).
Der erste echte Rockgitarrist, der auch als Gitarrist und weniger als Sänger herauskam, war Chuck Berry, auch bereits in den 50ern. Dass er die gesamte Rockmusik und das Gitarrespiel durchdringender und umfassender geprägt hat als sonst jemand, ist ein Allgemeinplatz (selbiges gilt für seine Bedeutung als Songwriter). Im Übrigen gibt es eine Chuck Berry Platte "Chuck Berry live" von 1968, wo er auch stark verzerrt spielt, mit Sahne, langem Sustain, excessivem Bending, kontrolliertem Feedback und allem Drum und Dran (allerdings ohne Vibrato-System). Daher ist die Frage, ob Jimi Hendrix wirklich der erste und v. a. alleinige Pionier für die verzerrte "sahne", "jaul", "excessive bending" Gitarre war, durchaus angebracht. Chuck Berry hat das bereits 1968 ausgiebig getan.
Allerdings: Der erste radikal-exzessive Einsatz des Vibrato-Systems ist nun wirklich bei Jimi Hendrix zu hören.
Jimi Hendrix war also nicht der erste Gitarrist, der als solcher groß herauskam, bei Weitem nicht. [
B]Aber:[/b] Er hat das moderne verzerrte Gitarrespiel wenn nicht erfunden, dann zumindest in die Welt gebracht. Darauf haben dann in den frühen 70ern Jimi Page, Ritchie Blackmore, etwas später dann Brian May und v. a. in den späten 70ern Edward van Halen aufgebaut, wobei letzterer der erste wirkliche Gitarrenvirtuose war und letztlich heute alle mehr oder weniger spielen, wie er, wenngleich die allerallerallermeisten natürlich bei Weitem nicht so gut. Der ist halt ein Genie und auch, wie sich versteht, aus heutiger Sicht ein technisch unglaublich guter Gitarrist, nicht "nur" ein Pionier. Außerdem hat er das Tapping erfunden.
Pionier war sicherlich auch Eric Clapton, der aus heutiger Sicht sicherlich nicht mehr als Virtuose gelten kann und auch gerne mal Saiten falsch zieht (Auaaaa!!!). Er war aber ein herausragendes Vorbild für Edward van Halen, und nicht nur für ihn.
So viel dazu.
Da es aber hier letztlich um überbewertete Gitarristen gehen soll: Ich glaube nicht, dass es da unter Gitarristen bekannten Gitarristen irgendwelche Leute gibt, die überbewertet wären, da jedem Gitarristen klar ist, oder sein sollte, wie schwierig es ist und welch ausgiebigster Praxis es bedarf, bis man überhaupt live- und v.a. studiotauglich spielen kann.
Ein überbewerteter Gitarrist fällt mir daher nicht ein.
Eher ist es schon so, dass unter Nichtmusikern Leute auf einmal als tolle Gitarristen galten und das sogar in den Medien verbreitet wurde, die nicht einmal richtig Gitarre spielen konnten. Ich denke da z. B. an Prince, der von Fanzeitschriften aber auch seröseren Medien als Stargitarrist gefeiert wurde (Prince würde mit Sicherheit, das ist meine Überzeugung, von sich selbst auch nicht sagen, dass er sich als besonders guten Gitarristen sieht, sondern wohl als Musiker, Songschreiber, Sänger, der neben anderen Instrumenten auch etwas Gitarre spielt.). Oder auch Robert Cray z. B., der iin den späten 80ern/frühen 90ern v.a. von Nichtmusiker-Medien gehypt wurde, kann eigentlich so gut wie gar nicht spielen. Oder Slash von Guns 'n' Roses, der bei Laien immer als toller Gitarrist galt. Dem will man ja als Musiker nicht zu nahe treten, aber unter die großen Gitarristen gehört der, und da sage ich ja nichts Unorthodoxes, nun wirklich nicht. Das würde Slash meiner Meinung nach auch nicht über sich selbst sagen (außerdem zog der die Saiten häufig so falsch, dass sich die Balken bogen und Zahnwurzeln von alleine abstarben, so dass man sich die Wurzelbehandlung gewisser Maßen schenken konnte .... ).
Geändert von Bradley (Heute um 01:44 Uhr)