Ja, Eddie van Halen ist nicht umsonst ein Erneuerer der E-Gitarre gewesen. Als er auftauchte versank die Rockgitarrenwelt gerade im Disco-Sumpf (Wobei ich sagen muss, dass Nile Rodgers schon zum Niederknien spielt und auf seine Art auch ein Genre geschaffen hat, in dem sich viele Nachahmer tummeln, die seinen natürlichen, fein abgestimmten Groove niemals erreichen)
Child in Time, und gerade die Made In Japan-Version, ist schon eine Ikone. Es geht bei dem Mittelteil Nummer ja nicht unbedingt allein um ein Showing-Off, sondern darum, es soweit zu treiben, wie es geht, bevor es dann final mit einem abrupten Ende wieder in den Anfangspart geht. Das hatte schon einen Sinn, der nicht im Solo selbst, sondern im Arrangement lag. In einer anderen Version von dem Stück aus 1972, live aus Kopenhagen, spielt Jon Lord im schnellen Part ein unglaubliches Orgelsolo und landet fast im Jazz. Und trotzdem kriegen sie gemeinsam die Kurve wieder zurück in den Rock. Ganz großes Improvisationskino.
Für mich ist das alles andere als überflüssig, sondern sehr spannend zu sehen, wie sie auf einer musikalischen Ebene miteinander kommunizieren und vom festen Arrangement weg sich auf jedes Glatteis der Welt begeben. Und ich mag das Risiko und die Neugierde, die Blackmore und seine Kollegen damals fuhren. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Nicht nur bei Blackmore nicht. Unfassbar viele gehen lieber auf Nummer sicher und ziehen tausendmal gehörte Klischees durch, als Neues zu probieren. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein Grund dafür ist, dass die E-Gitarre mehr und mehr zu dem wird, was die Klarinette im Jazz ist: Ein Relikt besserer Tage.
An der Dragonforce-Version vom Canon Rock geht mir der Fingerton des Gitarristen ganz gehörig auf den Zeiger. Als würde er sich selbst nicht zuhören und nur Tabulaturen statt Musik heraushauen. Und ja, ich weiß wer das ist und was er kann. Die Nummer ist nicht einfach und die Sweepings sind Weltklasse gespielt. Aber eine nachvollziehbar in ein Gefühl gebettete Melodie kann ich nicht ausmachen. Auch finde ich den Akkordpart am Anfang in der JerryC-Version unfassbar geil gespielt, hier ist mir das over the top und zu sehr gepresst.
Bei Michael Jacksons Dirty Diana war es Steve Stevens, der das Solo einspielte, Jennifer Batten hatte die Ehre, es bei Livekonzerten zu machen. Nur fürs Protokoll.
Bei All Summer Long mag ich das Gitarrensolo insofern, als dass ich finde, dass es zum Song passt. Auch wenn es eisenhart mit Moll-Pentatonik und nur leicht angedeuteten (und in solchen Akkordvamps durchaus üblichen) Smear Bends über eine mixolydische Grundstruktur gespielt wurde, funktioniert es für mich. Aber ich finde die Story und das Gefühl, das Kid Rock da besingt, und nicht zuletzt sein tolle Gesangsstimme eh stark genug, dass mir die Gitarre trotzdem fast schon wieder gleichgültig ist. Aber auch hier finde ich die Verweigerung, harmonisch korrekt zu spielen, eigentlich nur einen müden Abklatsch der Dinge, die in den rebellischen Tagen der E-Gitarre gelaufen sind.
Hendrix, Blackmore, van Halen, Malmsteen haben Grundlagen geschaffen und ihre Musik trotz(!) Virtuosität gegen die vorherrschende Meinung durchgesetzt. Das finde ich heute eigentlich kaum noch. Jedenfalls fällt es mir nicht weiter auf. Was sicherlich auch mit der sich radikal im Umbruch befindlichen Medienlandschaft zu tun hat. Jeder findet heutzutage seine Nische, auch die radikalen Erneuerer. Nur verbleiben sie heutzutage dort und haben weniger denn je eine Chance, in den Mainstream großer Aufmerksamkeit zu gelangen, wo heutzutage von Produzenten eine Copy&Paste-Musik ohne Ecken und Kanten, risikolos auf exakte Perfektion im Ausdruck editiert, die Einnahmen einer im Schwund befindlichen Branche sicher stellt.
Grüße Thomas