Moinsen!
Ich bin noch sehr hin und hergerissen aber ok, ich versuche mal mein Glück, Schreiben soll ja die Gedanken etwas ordnen...
Es war eine spannende Woche. Im Vorfeld hatten wir die verabredeten Songs allein geprobt, für den Freitag vor dem Gig war dann die einzige gemeinsame Probe angesetzt, 20:00 Uhr sollte es losgehen. Ich mußte bis 18:30 Uhr arbeiten, dann endlich Feierabend und ab zum Proberaum. Die Fahrt dauert ca 45 min, Zeit genug um ordentlich aufgeregt zu werden und so ziemlich jedes Lick zu vergessen, dass man so kann
Nun ist unser Proberaum, naja... etwas gewöhnungsbedürftig. Es handelt sich um eine alte Scheune auf einem Bauernhof mitten im Nirgendwo, erreichbar nur über Nebenstrassen und Feldwege unter dem Applaus der örtlichen Niederwildbestände. Die Dorfjugend nutzt den Raum ebenfalls ab und zu für kleinere Trinkgelage und sonstige Feiern, entsprechend sind Teile des Raums eingerichtet - es finden sich Möbel aus allen Epochen seit den 50zigern... ach ja keine feste Heizung... aber recht günstig, 200 Euronen für Strom im Jahr, das wars
Der Drummer und meine Wenigkeit waren zeitig vor Ort, also war Zeit genug einmal das Gasgebläse anzuschmeissen um etwas Wärme in die Bude zu kriegen und um sich etwas warmzuspielen. Der Bassist brachte unseren "Special guest" aus Hamburg mit, die Tür ging auf und da war er tatsächlich, Napoleon Murphy Brock...
Es gab ein freundliches aber kühles "Hello", 2-3 der üblichen amerikanischen Flosskeln, dann "I need this type of mikrofon", "that type of DI-Box, that blablabla", "which song do you wanna play" und los. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob es Professionalität war, Arroganz, Unsicherheit, eine Mischung aus all dem oder was völlig anderes, auf jeden Fall war ICH durch sein kühles Verhalten verunsichert. Egal, Gig ist Gig, also dann ohne Beschnuppern ran an die Probe. Von den 8 Songs waren 2 zu seiner Zufriedenheit, 4 schnell erledigt, 2 brauchten diverse Änderungen obwohl wir nach Vorgabe geprobt hatten.
Am nächsten Morgen ging es dann los nach Hamburg. Da der Saal zwischen 13:00 und 17:00 Uhr bereits für eine wichtige Chorprobe gebucht war, hatten wir uns schon für 11:00 Uhr zum Aufbau der Instrumente verabredet. Es ist ja mehr als cool, wenn man zu einem Gig fährt, die Anlage steht bereits, der Soundmann ist nur für deine Band und dich da und hat auch noch richtig Ahnung von dem, was er da tut. Wir bauten auf, Mikrofonierung war in Rekordzeit erledigt, dann erster kurzer Soundcheck...
"Wie laut spielste nachher?" Woher sollte ich das wissen, ich wußte je noch net, wie laut das Drumset klingt
Auf meine vorsichtige Frage, ob ich mich jetzt schon festlegen muß bekam ich die Antwort "wenn´s zu leise ist, kriegste Gitarre aus Monitor... für einen Dorfi wie mich ein völlig neues Konzept, ich war bisher schon froh, wenn ich meinen Gesang vernünftig hören konnte
"Kannste noch mehr Bässe rausdrehen?" Noch mehr? Das klang selbst für meine Ohren schon reichlich dünn aber ok, testen wir es halt
Auf meine vorsichtige Anmerkung, wie dünn das klingt kam erneut der Verweis auf Monitor und ein "Ich misch dir schon einen schönen Sound" und das tat er auch, so singend will ich meinen Sound jetzt immer
Soundcheck Drums... kurzes Einpegeln, kurze Justierung am Pult und den Rest des Tages haben wir das Grinsen aus dem Gesicht des Drummers nicht mehr wegbekommen. Immer wieder kriegten wir zu hören "Ich wußte nicht, das die alte Schießbude so geil klingen kann, ich wußte wirklich nicht... usw."
Soundcheck Bass war gnadenlos schnell und gut, dann Soundcheck Napoleon. Das dauerte etwas länger, da er neben dem Gesang auch Saxofon und Querflöte spielen wollte, als Effekt hatte er ein alter Echoplex aus den 60ern dabei, ausserdem ein Digitech Whammypedal. Das Ganze wurde dann hin und hergeschliffen, durch ´ne DI-Box gejagt und ab ins Pult... viele Möglichkeiten für defekte Kabel, Stecker usw.
Egal, wir hatten ja einen relativ gemütlichen Zeitplan, von daher waren alle entspannt.
Dann erster Soundcheck Stimme... Ich kann nur sagen WOW... so eine irsinnig geile Gesangsstimme kenne ich sonst nur von irgendwelchen Tonträgern. Hier kam dann auch die absolute Professionalität zum Tragen, Napoleon wußte genau, wie er klingen wollte und vor allem auch, wie es zu erreichen ist. Er trietzte des Soundmann zwar eine zeitlang, das Ergebnis sprach dann aber absolut für sich
Nach 4 Stunden Pause wegen der Chorprobe dann der erste richtige Soundcheck ... nene, jetzt tauchten ja die Recording-Leute auf. Der Soundmann wollte schon anfangen sich zu beschweren, von wegen jetzt noch Pult neu verkabeln etc. da klappten die Jungs ihren Koffer auf und zwigten ihm 2 Steckkarten für sein Digitalpult. Einbau und Konfiguration dauerten 15 min, anschließend konnten alle Signale per Netzwerkkabel abgegriffen werden ohne die Rechenleistung des Pultes im mindesten zu belasten. Ergebnis... neben einer ziemlich gut klingenden "normalen" 2-Spur Aufnahme haben wir zur Zeit irgendwas bei 22GB an Audiodateien zum Sichten und Abmischen
Sodele, also kurz und knapp, der Soundcheck lief recht gut, danach blieb genug Zeit um sich ausgiebig verrückt zu machen. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde Napoleon etwas zugänglicher. Jetzt war auch Zeit für etwas Smalltalk etc.. Nun wurde auch das zum Thema, was ich insgeheim ein wenig gefürchtet hatte, es ging um die Qualität unserer Musik und seine Reputation. Alles in allem schein er aber sehr zufrieden zu sein, wollte eine nette Zeit auf der Bühne haben und fertig. Trotzdem es ein relativ kleiner Gig war, bereitete er sich aber absolut gewissenhaft darauf vor, jede Kleinigkeit wurde so beachtet, als wenn es sich um eine riesige Veranstaltung handeln würde, so schien es mir jedenfalls. Er spielte sich ausgiebig warm, es gab DAS Geheimrezept für die Stimme, irgendeine besondere Sorte Tee plus ´ner Menge mehr, eben die Art von Voodoo, die scheinbar viele Musiker vor einem Auftritt betreiben... ich hatte ein Bier
Pünktlich um 20:30 Uhr ging das Konzert vor ca 150 Leuten los und das war gut so, pünktlich um 23:15 Uhr gleich nach dem Ende des Konzertes kam die Pozilei wegen Lärmbelästigung zu Besuch...
War das Konzert nun gut oder schlecht, ich weiß es wirklich nicht... ich hatte jedenfalls irrsinnigen Spass, der Applaus warlaut, die Leute haben getanzt, irgendwas haben wir wohl richtig gemacht
Das Programm war eine Mischung aus Coversongs, vier eigenen und den 8 Songs, die Napoleon vorgeschlagen hatte, insgesamt 26 Lieder. Normalerweise bin ich ja immer der Meinung, das man am Anfang etwas einfaches spielen sollte um ein Gefühl für den Auftritt zu bekommen - leider wurde ich überstimmt. Gleich die erste Nummer war ein einfaches Instrumental von Joe Satriani - Train of Angels. Dat Dingen läuft normal bei 142, der Drummer war vor Aufregung bei gefühlten 180
. Mein einziger Gedanke war "Wenn du aus der Nummer einigermassen sauber rauskommst, dann kann dir der Rest der Songs egal sein" Nächste Nummer war ein alter Song der Rodgaus "Der Endgültige Blues", ein absoluter Killer für die Stimme, wenn man noch nicht eingesungen ist. Dann irgndwas.. äääääh... anderes und dann endlich der erste Song mit Napoleon. Wir hatten uns auf "Sharp dressed Man" geeinigt, er hatte dafür einige nette Saxofon-Einlagen zurechtgebastelt. Hier wurde dann gleich das erste Mal Whammy und Delay eingesetzt um die Stimme zu doppeln bzw. mehrstimmig zu spielen. Da kam schon das Feeling eines Bläsersatzes auf, so geil hatte der Song bei uns noch nie geklungen. der erste Song, den Napoleon sang, war "Evil Ways" - gut zum Einsingen meinte er. Das Lied ist ja nicht da komplizierteste... jedenfalls nicht, wenn man nicht kurz vor dem Solo anfängt zu überlegen, in welcher Tonart das nochmal war
Dann, als Abschluss des ersten Sets endlich die ersten beiden Nummern von Zappa, "I´m the slime" und "more trouble every day". Hier blühte Napoleon richtig auf. War er eben noch Begleitmusiker, so war er jetzt total present und in seinem Element. Klar, wir spielten die Songs nicht Original sondern mehr.. öhem... interpretiert, das machte aber keinen Unterschied. Es war einfach unbeschreiblich, wie ein solcher Ausnahmesänger einen in die Lage versetzt, ihm so zuzuspielen.
Zur Pause kam ich nix sagen, die ist wech aus dem Kopf, an die ungläubigen Blicke vieler Besucher nach dem Konzert, wegen dem was wir da abgeliefert hatten schon, die Schulterklopferei war schon irgendwie peinlich
Toll war die Tatsache, das wir uns zu Ende des Konzertes so freigespielt hatten, dass einige Songs fast Sessioncharakter bekamen
So, nu ist der Kopf leer, viele Eindrücke habe ich noch garnicht richtig verarbeitet, viele Kleinigkeiten sind noch vergraben durch die Masse an Adrenalin, die freigesetzt wurde, dabei steht der 2te Gig schon für Freitag an, komplett andere Location, komplett anderes Publikum, komplett andere Anlage
Ist es nun toll, mit einem Musiker dieses Kalibers zu spielen... definitiv ja und ich möchte die Erfahrung nicht missen
Würde ich das immer haben wollen... Ich bin mir da nicht sicher, es liegen Welten zwischen seinem Können, seiner Professionalität und unseren musikalischen Fähigkeiten. Am Ende würde wohl viel von dem, das unsere Band ausmacht, verloren gehen. Aber als Highlight würde ich es jederzeit wiederholen, auch wenn Napoleon zu den Menschen gehört, die für mich undurchschaubar bleiben werden... was je auch seinen Reiz hat
In diesem Sinne
Freitag hau ich die Triole nochmal selber wech
Cya
Gnurpsel