Nein, wieso? Eine Prime ist ja z.B. auch cis - cis: ...
Stimmt auch wieder!
Wobei meine Posts #71 und vor allem #74 nicht so ganz ernst gemeint waren.
Vielleicht hat ja jemand Lust, das aufzuzählen?
Daraus könnte leicht eine Doktorarbeit werden, den Aufwand wird sich hier sicher niemand machen.
Aber in der unten folgenden Antwort auf den Post #79 will ich gerne noch eine interessante Quelle dazu angeben.
Leider nein, denn die Intervallbezeichnungen richten sich nach der Anzahl der beteiligten Töne - nach Deiner Nulla-Benennung müsste eine Terz auch Sekunde heißen, weil die Töne zwei Schritte auseinanderliegen. Weil die Terz aber drei Töne umfasst, heißt sie Terz. Entsprechend heißt die Prime Prime, weil sie einen Ton umfasst.
Da hast du mich wohl missverstanden. Eine "Nulla-Benennung" habe ich nicht vorgeschlagen, auch nicht vorschlagen wollen. Ich habe damit nur noch mal präzisieren wollen, dass die Prim den Abstand Null repräsentiert.
Ansonsten gibt es schon aus älterer Zeit Quellen, die belegen, dass unter einem Intervall erstens immer der
Abstand in Tonstufen gemeint war, und die Intervallbezeichnungen diesen Abstand mit den aus dem Lateinischen stammenden Zahlworten benennt.
Nebenbei gesagt, finde ich die Formulierung "... richten sich nach den Anzahl der beteiligten Töne" etwas missverständlich, auch wenn mir klar ist, was du damit meinst. Im Grunde meinen wir sowieso das gleiche. Aber "beteiligt" sind bei einem Intervall immer genau
zwei Töne, und es geht um deren Abstand.
Von "Abstand" schreibt auch W. Ziegenrücker, hier ein Zitat aus "ABC Musik - Allgemeine Musiklehre" (Breitkopf & Härtel, 7. Auflage 2012, S. 93):
"Zwei Töne können nacheinander, sukzessiv (in einem Melodieverlauf), aber auch gleichzeitig miteinander, simultan (als Zweiklang oder in einem Akkord) erklingen. In beiden Fällen bezeichnen wir das Verhältnis der zwei Töne, ihren Abstand zueinander, als Intervall ..."
Auf der S. 98 findet sich eine Tabelle aller Intervalle unter und über dem C. Bei der Prim benennt er aber sowohl C-Cis als auch C-Ces als "ü1", also als übermäßige Prime. Eine verminderte Prime gibt es in dieser Ausgabe nicht.
Recht spannend finde ich den Abschnitt über Intervalle im "Aesthetischen Lexikon" von Ignaz Jeitteles (1783-1843), das als Nachdruck der Ausgabe aus 1839 (Wien) vom G. Olms Verlag erschienen ist (1978, beide ursprünglichen Bände in einer Ausgabe zusammengefasst). Das "Aesthtetische Lexikon" beinhaltet auch ein sehr umfangreiches musikalisches Lexikon.
Ich blättere gerne in diesem Nachdruck, da es einen sehr guten Überblick über die Auffassung musikalischer Begriffe aus der Zeit kurz nach der Epoche bringt, die wir heute als "Wiener Klassik" bezeichnen, die für den Bereich der "klassischen" Musik in vielerlei Hinsicht Maßstäbe gesetzt hat, die bis heute nachwirken.
Auf Seite 382 (Bd. I) beginnt der Abschnitt über die Intervalle:
"Intervall (Musik), der Abstand von einem Tone zu einem anderen höheren oder tieferen; der Raum, den man durchlaufen muß, um vom ersten zum zweiten zu gelangen. Die Intervalle werden nach den Stufen der Tonleiter, und zwar gewöhnlich aufwärts abgezählt [sic! - Hervorhebung und Anmerkung von mir]
, die erste und letzte Stufe werden mitgerechnet, und der Name der Zahl derjenigen Stufe, um welche ein höherer Ton von einem tieferen entfernt ist, gibt dem Intervalle seinen Namen. So ist z.B. das Intervall c g eine Quinte, weil der Ton c fünf Stufen, nämlich c, d, e, f, g, von dem Tone g absteht."
Interessant ist, dass er die Prime nicht zu den Intervallen zählt, bzw. nur unter bestimmten Bedingungen:
"Die gewöhnlichen Intervalle sind die Secunde, Terze, Quarte, Quinte, Sexte, Septime, Octave, ..."
Unter Quarte findet sich (S. 221 Bd. II):
"Quarte (Mus.), die vierte stufe vom Grundton aufwärts oder überhaupt ein Intervall von vier Stufen."
Unter Quinte (S. 223 Bd. II): "
Quinte, die fünfte Klangstufe vom Grundtone aufwärts. So wie die Octave das erste, ist die Quinte das zweite der consonierenden Intervalle, das sich zur Tonica wie 2:3 verhält."
Nun zur Prime (S. 202 Bd. II):
"Prime (Mus.) ist eigentlich der Grundton oder der erste Ton einer Octave. Manche Tonlehrer verstehen aber unter der Prime den Einklang zweier verschiedener Stimmen auf einer und derselben Tonstufe. Auf jeden Fall wäre das jedoch nur von solchen Stimmen zu verstehen, die von ganz gleichen Instrumenten ausgeführt werden; so z.B. wenn zwei Violinen zugleich das tiefe c nehmen, ist die Prime, d.h. der vollständige Einklang vorhanden; man kann es aber deswegen kein Intervall nennen, da sich kein Zwischenraum zwischen diesen beiden völlig gleichen Tönen befindet, sondern es höchstens eine Verstärkung des Tones heißen. Wenn indessen zwei ungleiche Instrumente, z.B. eine Violine und eine Oboe oder eine Clarinette denselben Ton zu gleicher Zeit nehmen, so ist eine Prime aber kein vollständiger Einklang eigentlich vorhanden, da der Ton beider Instrumente nicht ebenmäßig ist, und sich nicht zum eigentliche Einklange verschmelzen kann. Um demnach das Entstehen der reinen Prime als Einklang und der übermäßigen Prime, welche allerdings zu den Intervallen gerechnet werden kann, ganz zu verstehen, muß man annehmen, daß z.B. in einem Duette für zwei Violinen oder anderen gleichen Instrumenten beide Stimmen den Grundton im Einklange nehmen, und die eine um einen halben Ton aufwärts schreitet, während die andere den Grundton aushält; z.B. beide haben das tiefe c genommen, und nun nimmt die eine Stimme cis, während die andere das c aushält. Das letztere Intervall nennt man die übermäßige Prime, ..." [eine verminderte Prime erwähnt Jeitteles nicht]
Ich finde es bemerkenswert, dass Jeitteles (bzw. die Auffassung seiner Zeit, die er ja nur wiedergibt) der Prime offensichtlich eine Sonderstellung beimisst, die aus dem Umstand hergeleitet wird, dass die reine Prime eben
keinen Abstand zwischen Tönen bezeichnet.
Wichtig ist auch die Definition, dass die Intervalle nach
"den Stufen der Tonleiter ... abgezählt" wird. Nicht ausdrücklich erwähnt, aber eindeutig voraus gesetzt wird dabei die siebenstufige Tonleiter, wie wir sie in der Dur- und der Moll-Tonleiter als quasi als ´Standard´ kennen.
Im Gebrauch der überkommenen Intervallnamen machen wir das implizit immer noch so. Würden die Stufen nach der chromatischen Skala abgezählt, hätte die Quinte 8 Stufen Abstand und müsste "Okatve" heißen
.
Wie dem auch sei, wenn man von einer "verminderten Prime" reden möchte, kommt man nicht um eine Ausnahme-Annahme herum, da es im Verhältnis zu den anderen, im Sinne Jeitteles ´eigentlichen´ Intervallen nun mal das logische Paradox gibt, dass man einen Abstand nicht mehr verkleinern kann, wenn es von vorne herein gar keinen Abstand gibt. Ziegenrücker listet daher sowohl C-Cis als auch C-Ces als übermäßige Prime, da sich in beiden Fällen eine Vergrößerung des Abstandes im Vergleich zur reinen Prime ergibt.
Von der Nomenklatur finde ich das aber etwas unglücklich, da man diese beiden doch unterschiedlichen Notationen so nicht eindeutig benennen kann.
In anderen Veröffentlichungen zu Intervallen findet sich hingegen wie selbstverständlich die Unterscheidung C-Cis als ü1 und C-Ces als v1 (z.B. in "Grundlagen der Jazzharmonik" von Joe Viera, 8. Aufl. 1981, die ich gerade zufällig im Notenstapel vor mir liegen habe), auf das logische Paradoxon wird aber weiter nicht eingegangen.
In der Bezeichnung "v1" wird das Paradox stillschweigend umgangen, indem die Richtungsvorgabe der Vorzeichen als bestimmend angenommen wird: "#" zur Bezeichnung "ü1" und das Vorzeichen "b" zur Bezeichnung "v1" .
Wer im Sinne der "enharmonischen Verwechslung" beides als "kleine Sekunde" bezeichnet, braucht sich aber keine Sorgen zu machen, dass er in Musikerkreisen nicht verstanden wird, wahrscheinlich wird er sogar von den meisten
besser verstanden. Mit "ü1" und "v1" wird man vielleicht sogar von dem einen oder anderen als "Korinthenkacker" schräg angeschaut.
Und bevor ich in den Verdacht gerate, hier als ebensolcher zu gelten, will ich es hiermit zu diesem Thema auch gut sein lassen.
Bleibt noch, allen ein "Frohes Neues Jahr" zu wünschen!
Gruß, Jürgen